Die Entlastungen bei hohen Energiekosten müssen auch in der Breite spürbar sein. Dazu braucht es einen Energiepreisdeckel. Die Bundesregierung muss Reformen konsequent angehen: die Umsetzung eines Tariftreuegesetzes, Einführung der Kindergrundsicherung, die Wohngeldreform und die Weiterentwicklung der Grundsicherung. Weil starke Schultern mehr tragen können, geht es auch um eine steuerpolitische Umverteilung, zum Beispiel über eine Vermögensteuer.
DGB / G. Welters
Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi macht klar, was Gewerkschaften in der aktuellen Krise fordern: "Die Entscheidung zu einer Gasumlage war zwar in der Sache richtig. Sie belastet einen Durchschnittshaushalt aber vier Mal mehr, als es die EEG-Umlage zuletzt getan hat. Es ist daher richtig, gleichzeitig die Mehrwertsteuer auf Gas zu senken. Aber warum wird nicht auch endlich die Stromsteuer auf das europäisch zulässige Mindestmaß gesenkt?
Der Druck zur Entlastung bei den Energiekosten bleibt weiterhin unzweifelhaft hoch. Und zwar nicht nur für einige wenige Bedarfsgruppen, sondern tatsächlich auch in der Breite. Das geht mit gezielten Zahlungen und einem Energiepreisdeckel.
Wir werden eine genauere Debatte darüber führen müssen, wer in welchem Maße entlastet wird. Klar ist: Diejenigen, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können, also insbesondere Transferleistungsempfänger*innen, müssen eine vollständige Entlastung erfahren.
Schwierig ist es aber auch für Menschen mit niedrigen Jahreseinkommen oder kleinen Renten. Die haben auch keine Reserven und bei denen geht es auch nicht allein darum, an dem einen oder anderen Urlaub zu sparen. Auch wenn wir nicht jede Belastung zu 100 Prozent abfangen können, müssen wir diesen Menschen ein Signal geben, dass wir sie auffangen und dass es auch für sie wieder Planbarkeit gibt.
Entlastungsmaßnahmen müssen auch in der Breite spürbar sein. Klar: die Bundesregierung kann nicht eine große Käseglocke über uns stülpen. Es gibt eine große Bereitschaft zur Solidarität und eine große Einsicht, dass nicht alle Belastungen weggenommen werden können. Aber es gibt zunehmend Verärgerung darüber, dass in der Krise Verzicht immer von denen am meisten abverlangt wird, die am wenigsten haben. Deshalb muss die Regierung eine kluge Gesamtlösung anbieten.
Es gibt eine große Bereitschaft zur Solidarität und eine große Einsicht, dass nicht alle Belastungen weggenommen werden können. Aber es gibt zunehmend Verärgerung darüber, dass in der Krise Verzicht immer von denen am meisten abverlangt wird, die am wenigsten haben.
Es geht ja nicht allein darum, ob ich die Strom- und Gasrechnung für dieses Jahr bezahlen kann. Sondern was ist mit der Perspektive 2023, 2024? Kann ich überhaupt noch irgendetwas planen wie Urlaub oder irgendwelche Anschaffungen? Oder muss ich das alles zurückhalten? Wir müssen auch auf den psychologischen Effekt achten, der wiederum Auswirkungen auf die Kaufkraft hat.
Die Gasumlage ist eine kurzfristige Maßnahme, die auch kurzfristige Entlastungen erfordert. Aber das Problem steigender Energiepreise wird nächstes Jahr und wahrscheinlich auch übernächstes Jahr nicht weg sein. Natürlich setzen wir uns dafür ein, dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr weitere Maßnahmen ergreift. Das kann beispielsweise eine weitere Energiepreispauschale sein, die sollte dann aber auch für Rentner*innen und Studierende gelten.
Aber eine Pauschale kann keine Dauerlösung sein, weil sie ja auch durch Steuergelder bezahlt werden muss. Deshalb ist unsere Forderung nach einem Energiepreisdeckel aktueller denn je. Das ist nicht in ein, zwei Monaten umsetzbar, aber umso dringlicher müssten wir das Thema in diesem Jahr konzeptionell angehen. Wir brauchen mehr als einfach nur eine steuerpolitische Umverteilung. Das werden wir auch in der konzertierten Aktion weiter thematisieren.
Unser Vorschlag bedeutet, dass es für einen definierten Grundbedarf einen garantierten Preis gibt, auf den sich alle verlassen können und der einigermaßen bezahlbar bleibt. Für den Mehrverbrauch gibt es einen höheren Marktpreis.
Unser Vorschlag bedeutet, dass es für einen definierten Grundbedarf einen garantierten Preis gibt, auf den sich alle verlassen können und der einigermaßen bezahlbar bleibt. Für den Mehrverbrauch gibt es einen höheren Marktpreis. Das setzt auch Anreize zum Energiesparen. Weil man sich dann vielleicht doch überlegt: Reicht mir das normale Gefrierfach meiner Kombi oder brauche ich wirklich die Gefriertruhe im Keller? Kann ich das Licht konsequenter ausschalten und die Heizung erst anmachen, wenn ich wirklich zu Hause bin?
Selbst wenn uns in den nächsten zwei Jahren eine ausreichende Beschaffung von Gas aus anderen Ländern als Russland gelingt, ist die Preislage erstmal hoch. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren sollen die Energiepreise perspektivisch aber wieder sinken. Warum strecken wir dann die Belastung nicht einfach? Wir sollten die Kosten über einen längeren Zeitraum verteilen. Unser Vorschlag ist: Wir deckeln jetzt den Energiepreis und sagen, die Verbraucher*innen müssen das dann festgelegte Niveau nicht zwei Jahre, sondern zum Beispiel vier Jahre zahlen. Aber der Preisschock kommt dann nicht mit einem großen Knall und erschlägt uns alle. Das wäre im Übrigen auch für die Industrie ein interessantes Modell. Denn die Energiepreise fordern nicht nur unsere Geldbeutel, sondern stellen auch ganze Produktionsbranchen in Frage.
In der konzertierten Aktion geht es nicht nur um die Entlastung wegen hoher Energiepreise – hier geht es schwerpunktmäßig auch um die Bekämpfung der Inflation. Dagegen hilft nur eins: Wachstum und Kaufkraft stabilisieren. Und wir müssen den großen Fachkräftemangel und die Probleme in den Lieferketten mitberücksichtigen. Sonst gehen die wichtigen Wertschöpfungsstandorte gleich doppelt in die Knie. Wir müssen aufpassen, dass wir keinen Zusammenbruch einzelner Branchen erleben.
Stärker als bisher sollten wir die Mobilität in den Blick nehmen. Das 9-Euro-Ticket war gut und schön. Es hat aber nicht dazu geführt, dass die Menschen massenhaft das Auto stehen ließen. Das von uns vorgeschlagene Mobilitätsgeld ab dem ersten Kilometer hat den Vorteil, dass es unabhängig vom Einkommen und dem gewählten Verkehrsmittel gewährt würde. Kostendruck dämpfen durch bezahlbare Mobilität ist richtig – aber fair und wirksam. Wenn wir die Krise auch als Chance begreifen wollen, dann dürfen wir nicht zu kleinteilig und kurzfristig denken.
Das große Credo der Ampelkoalition war zu Beginn, mit größerer Dynamik in die Fortschrittsgeschichte dieses Landes einzutreten. Warum soll das jetzt nicht mehr gelten? In den letzten 15, 20 Jahren haben wir einige Chancen verpasst, um solche grundsätzlichen Weichen zu stellen – ob in der Digitalisierung oder beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Vieles war zu kleinmütig und zu kleinteilig. Jetzt sehen wir die Konsequenzen.
Wichtige Reformen sind angestoßen oder angekündigt. So soll es ein Tariftreuegesetz geben. Die Einführung der Kindergrundsicherung, eine Reform des Wohngeldes und die Weiterentwicklung der Grundsicherung sind bereits angekündigt. Das sind wichtige Schritte, auch wenn wir beim Bürgergeld leider noch nicht sehen, dass die Regelbedarfssätze wirklich existenzsichernd sein werden. Auch viele Verabredungen hinsichtlich Weiterbildung und Qualifizierung sind wesentlich für eine erfolgreiche Transformation unserer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Insofern würde ich der Bundesregierung einen gewissen Vertrauensvorschuss geben. Aber sie wird erst noch die Beweise erbringen müssen, dass sie diese Fortschritte auch mit aller Konsequenz angeht.
Wir sind in einer Phase, in der wir wirtschaftliche Impulse geben, Kaufkraft stabilisieren und Menschen vor existenzieller Not schützen müssen. Im Zweifelsfall ist es besser, dann Schulden zu machen, anstatt so tief in die Krise abzurutschen, dass jeder Versuch, sich zu modernisieren, später das Doppelte und Dreifache kostet.
Ich bin keine Freundin des Schuldenmachens per se. Aber ein Staatshaushalt ist nicht mit einem Privathaushalt vergleichbar. In der Wirtschaft funktioniert das auch anders, da heißt das nicht Schulden machen, sondern Kapitalbeschaffung und Investitionen. Auch der Staat muss nun ausreichend Kapital bereitstellen, um das Land zukunftsfähig zu machen.
Wir müssen auch fragen: Wie kann der Staat mehr Einnahmen generieren? Diese Frage ist für uns eng verbunden mit dem Gedanken der sozialen Gerechtigkeit. Seit 30 Jahren erleben wir, dass immer weniger Menschen immer reicher werden. Immer mehr Menschen werden entweder ärmer, oder sie profitieren nicht mehr vom Wohlstandsgewinn, sondern können gerade einmal ihren Standard halten.
Ich fände es mehr als angemessen, hier wirklich einmal eine sehr grundsätzliche und vielleicht sogar historische Entscheidung zu treffen. Da reden wir über eine gerechte Erbschaftsteuer, wir reden über die Wiedereinführung der Vermögensteuer, wir reden über den Spitzensteuersatz und vielleicht auch über einmalige Sonderabgaben, um wirklich einmal eine Veränderung hinzubekommen.
Was mit uns gar nicht geht, ist eine Konsolidierung des Staatshaushalts, indem der Sozialstaat beschnitten wird.
Völlig klar ist, dass die jetzigen Herausforderungen nicht allein mit Lohnpolitik zu lösen sind. Dann müssten wir mit Lohnforderungen von 15 Prozent und mehr in die Tarifrunden gehen. Gleichzeitig kann auch die Politik die Probleme nicht allein lösen. Es kommt nun genau auf dieses Zusammenspiel von politischen Entscheidungen und einer Tarifpolitik an, die sich diesen Realitäten stellt.
Die hohe Inflation geht nicht einfach wieder weg. Wir können sie auch nicht erst irgendwann später mit einer Reallohnentwicklung nachholen. Das muss man jetzt gut ausbalancieren.
Die Tarifabschlüsse der vergangenen Monate und die aktuellen Lohnforderungen sind hoch verantwortungsvoll und alles andere als übertrieben. In Zeiten der Inflation spielt die Frage der unmittelbaren Lohnerhöhung natürlich eine besonders zentrale Rolle. Aber Tarifverhandlungen gehen darüber hinaus. Da werden viele verschiedene Aspekte miteinander abgewogen – etwa auch der Fachkräftemangel und die Wirtschaftlichkeit. Es geht dabei auch um qualitative Aspekte, wie Arbeitszeit und vieles mehr.
Es gibt auch jetzt Branchen mit extrem hohen Profiten. Anderswo werden ganze Produktionslinien geschlossen. Und das nicht nur wegen der Energiepreise, sondern auch wegen der Störungen in den Lieferketten. Deswegen findet Tarifpolitik in Deutschland in den Branchen statt und zum Teil mit Öffnungsklauseln für einzelne Betriebe, weil die wirtschaftliche Lage eben sehr verschieden sein kann.
Es muss auch eine Zeitenwende in der Tarifbindung geben. Es ist richtig, dass die Bundesregierung in der konzertierten Aktion mit den Sozialpartnern gemeinsame Schritte anstrebt. Aber man kann nicht immer uns als Sozialpartner in die Pflicht nehmen und gleichzeitig dabei zusehen, wie die Tarifbindung in diesem Land darnieder geht. Auch die Arbeitgeber können nicht jedes Mal, wenn sie in Schwierigkeiten geraten, sagen: Wir brauchen jetzt die Gewerkschaften, um gute Lösungen zu finden. Aber in der nächsten Hochkonjunkturphase haben sie kein Problem damit, wenn Arbeitgeber nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes und der Tarifgemeinschaft sind. Die Sozialpartner sorgen für Kaufkraft, Lohnentwicklung, sozialen Frieden, Gesundheit und sichere Arbeitsplätze. Das alles entlastet die Politik. Die Tarifbindung ist ein hohes Gut, das die Bundesregierung besser schützen muss."