Deutscher Gewerkschaftsbund

Von Arbeitszeit bis Vereinbarkeit

22.10.2014
Beamtenmagazin 10/2014 - Titel

Whistleblowing: Risiko für Beamte

Spätestens seit den Enthüllungen durch Wikileaks und den US-amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden ist das Phänomen Whistleblowing auch hierzulande in der medialen Öffentlichkeit angekommen. Im Kampf gegen Missstände in ihrem Arbeitsumfeld stehen Hinweisgeber oft alleine da.

Sie agieren in einer rechtlichen Grauzone. Aufgrund unklarer Regelungen sind die zu erwartenden Konsequenzen für offenlegungswillige BeamtInnen kaum zu überblicken. Nicht selten endet mutiges Verhalten in Isolation, Mobbing und Frühpensionierung.

Whistleblower gehen existenzielles Risiko ein
Titel Beamtenmagazin zum Thema Whistleblowing

DGB Beamtenmagazin 10/2014

Ein Umweltamtsleiter wird mit 50 Jahren aufgrund „seiner weisungswidrigen öffentlichen Kritik an der kommunalen Trinkwasseraufbereitung“ in den Ruhestand versetzt. Ein Arbeitsamt- Revisor, der zunächst intern, später öffentlich darauf hinweist, dass die offizielle Statistik der Arbeitsämter falsch zu sein scheint, wird als „Denunziant“ systematisch gemobbt und mit 50 Jahren frühpensioniert. Eine Gruppe von Steuerfahndern, die gegen eine Amtsverfügung remonstriert (sprich: sich ihr widersetzt), wird von der Amtsleitung mit Sanktionen belegt: mit Disziplinarverfahren, entsprechenden dienstlichen Beurteilungen, Abordnungen, Umsetzungen und Versetzungen. Vier von ihnen werden letztendlich von einem amtlich bestellten Psychiater für dienstunfähig erklärt. Diese und viele weitere Fälle von Whistleblowing durch BeamtInnen und ArbeitnehmerInnen im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft sind in der Ausstellung „Whistleblowing – Licht ins Dunkel bringen!“ des Vereins Whistleblower- Netzwerk e.V. dokumentiert.

Sanktionen schutzlos ausgeliefert

Als Whistleblower oder Hinweisgeber bezeichnet man Personen, die auf grobe Missstände in ihrem Arbeitsumfeld hinweisen. Ein wichtiges Merkmal von Whistleblowing (wörtlich übersetzt: „Pfeife blasen“) ist, dass es aus primär uneigennützigen Motiven erfolgt. Inhaltlich bezieht sich das Hinweisgeben vor allem auf Fragen des Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutzes sowie auf Korruption und Verschwendung in staatlichen und privatwirtschaftlichen Bürokratien. Erfolgt die Anzeige innerhalb der Organisation spricht man von internem Whistleblowing, erfolgt sie außerhalb (beispielsweise gegenüber Strafverfolgungsbehörden) beziehungsweise gegenüber der Öffentlichkeit, so handelt es sich um externes Whistleblowing. Gewerkschaften und Bürgerrechtsorganisationen kritisieren, dass praktisch alle Hinweisgeber möglichen nachfolgenden Sanktionen durch Arbeitgeber und KollegInnen weitestgehend schutzlos ausgeliefertsind.

Beamte und Whistleblowing

Im Jahr 1999 unterzeichnete Deutschland das Zivilrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption, das von den unterzeichnenden Staaten verlangt, die Rechte von Whistleblowern zu stärken. Dazu heißt es in Artikel 9 (Schutz von Beschäftigten) des Übereinkommens: „Jede Vertragspartei sieht in ihrem innerstaatlichen Recht vor, dass Beschäftigte, die den zuständigen Personen oder Behörden in redlicher Absicht einen begründeten Korruptionsverdacht mitteilen, angemessen vor ungerechtfertigten Nachteilen geschützt werden.“ Zur Umsetzung des Artikels im Beamtenrecht hätte der deutsche Gesetzgeber eine positivgesetzliche Zulässigkeitsregelung für das Offenlegen von Missständen durch BeamtInnen einführen können. Dies wurde jedoch nicht getan. Stattdessen hob man im Rahmen des im Jahr 2009 neugefassten Bundesbeamtengesetzes (BBG) und des neuen Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) lediglich die Verschwiegenheitspflicht auf soweit Korruptionsstraftaten angezeigt werden. Andere Beamtenpflichten – wie das Gebot des achtungs- und vertrauenswürdigen Verhaltens, die Pflichten zur Beratung und Unterstützung des Vorgesetzten sowie zur Einhaltung des Dienstweges – können Hinweisen jedoch im Wege stehen. Dadurch ist unklar, was zulässig ist und wann ein Verstoß gegen genannte Maßgaben vorliegt.

Strafanzeige als ultima ratio

Weitere Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht gelten hinsichtlich der gesetzlich begründeten Pflicht, strafbare Handlungen anzuzeigen und für die Erhaltung der freiheitlich demokratischen Grundordnung einzutreten. Aber auch hier verbleiben für offenlegungsentschlossene BeamtInnen Rechtsunsicherheiten. Ein kürzlich veröffentlichtes Gutachten des schleswig-holsteinischen Landtags befasst sich auf Antrag der Piratenfraktion mit Whistleblowing im öffentlichen Dienst. Die Gutachterin kommt zu dem Schluss, „dass in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage, die die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Whistleblowings normiert, eine Rechtsunsicherheit“ verbleibe. Unsicherheiten und Auslegungsprobleme kennzeichneten die Situation von Whistleblowern im öffentlichen Dienst. Abhängig vom Einzelfall sei das Spannungsverhältnis – gemeint sind die unter Umständen widerstreitenden Interessen von Dienstherr und BeamtIn – im „Rahmen der praktischen Konkordanz“ aufzulösen, so zitiert die Verfasserin des Gutachtens einschlägige juristische Literatur. Nach dieser Lesart fungiere eine Strafanzeige nur als ultima ratio – nachdem alle zumutbaren internen Abhilfemöglichkeiten ausgeschöpft seien. Eine unmittelbare Einschaltung der Medien erfordere darüber hinaus rechtfertigende Sonderregelungen oder massive Missstände in der Verwaltung in Form besonders schwerer Verfassungsverstöße. Andernfalls bedeute die Offenbarung dienstlicher Angelegenheiten eine pflichtwidrige Flucht in die Öffentlichkeit. In der Rechtsprechung seien diese Fragestellungenallerdings weitestgehend ungeklärt.

Handlungsoptionen für Personalräte

In einer Handreichung der Hans-Böckler-Stiftung, die sich in erster Linie an Betriebs- und Personalräte wendet, zeigt der Rechtsanwalt und Mediator Björn Rohde-Liebenau Möglichkeiten auf, wie Hinweisgeber im Rahmen der Mitbestimmung durch organisatorische Maßnahmen, aber auch durch gute Beratung unterstützt werden können. Er empfiehlt, Regelungen über Whistleblowing als Teil der organisationsinternen Risikokommunikation in einer Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung festzuschreiben. Dies sei sowohl im Interesse der Beschäftigten als auch des Arbeitgebers. Ein strukturell offeneres Kommunikationsklima könne dazu beitragen, dass nicht nur Hinweise auf Missstände, sondern auch Verbesserungsvorschläge besser aufgegriffen werden könnten. Der Autor weist allerdings deutlich auf die Grenzen der Personalratsarbeit im Zusammenhang mit Whistleblowing hin. Im Hinblick auf die Annahme von Informationen mahnt er, Personalräte müssten Grundregeln erarbeiten, welche Informationen sie überhaupt entgegennehmen können, da weder Rechtsberatung zu ihren Aufgaben gehöre, noch hätten sie in den Angelegenheiten der KollegInnen ein Aussageverweigerungsrecht. Darüber hinaus unterliege der Personalrat in Sachen Whistleblowing keinem besseren Schutz als die KollegInnen. Seine Mitglieder könnten daher selbst in Gefahr kommen, wie Whistleblower verfolgt zu werden, wenn sie dieerhaltenen Informationen weitergeben.

Bundesgesetzgeber gefordert

Deutlich ist: Eine offenere Organisationskultur und Dienstbzw. Betriebsvereinbarungen sind zwar Bestandteile eines effektiven Schutzes von Hinweisgebern. Sie können den dringend erforderlichen hinreichenden gesetzlichen Schutz aber nicht ersetzen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert Regelungen, die BeamtInnen Rechtssicherheit und Schutz vor Sanktionen bieten. Damit BeamtInnen wirklich guten Gewissens geraten werden kann, einen Hinweis auf schwerwiegende Missstände zu geben, muss zunächst der Bundesgesetzgeber tätig werden. Alle Versuche, auf Bundesebene einen weiterreichenden Hinweisgeberschutz zu schaffen, sind bisher gescheitert. Ein Gesetzentwurf der Grünen, der das BBG und des BeamtStG dahingehend verändern sollte, dass BeamtInnen ein Anzeigerecht bei rechtswidrigen Diensthandlungen erhalten, wurde im Juni 2013 vom Bundestag in zweiter Lesung abgelehnt.

Literaturtipps

Spielräume für Whistleblowerschutz auf Landesebene, Wissenschaftlicher Dienst des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Umdruck 18/3198 vom 22. Juli 2014.
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Whistleblowing –Beitrag der Mitarbeiter zur Risikokommunikation, edition der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf.
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