Einseitig und einfallslos: Die wirtschaftspolitischen Vorschläge der Leopoldina zur Coronakrise können zu einem erfolgreichen Umgang mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie nichts beitragen. Der DGB-klartext hat die Stellungnahme analysiert.
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Die Corona-Krise treibt die Regierung zu schnellem Handeln an. Umso wichtiger ist es, dass die Politikerinnen und Politiker auf wissenschaftliche Expertise zu verschiedenen Fragen zurückgreifen können. Dass manche Ratschläge aber zu Recht besser ignoriert werden, zeigt sich an den jüngst veröffentlichen Vorschlägen der nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina. Zumindest die dort enthaltenen wirtschaftspolitischen Vorschläge sind in großen Teilen olle Kamellen aus der neoliberalen Mottenkiste, die zu einem erfolgreichen Umgang mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie nichts beitragen können.
Beispielsweise legt das Papier der Bundesregierung zur Belebung der Wirtschaft eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags nahe – über die schon beschlossene teilweise Abschaffung hinaus. Das wäre nicht nur unsozial, sondern auch ineffizient – also gleichzeitig teuer und ungeeignet, um die Wirtschaft nach Corona zu beleben. Schließlich bezahlen vor allem Gutverdienende den Soli und profitieren entsprechend von seiner Abschaffung (siehe Grafik). Aktuelle Berechnungen gehen davon aus, dass die Abschaffung des „Rest-Soli“ (über das beschlossene Maß hinaus, wie es das Leopoldina-Papier empfiehlt) rund 8,8 Milliarden Euro kosten würde, wovon 93 Prozent an die reichsten zehn Prozent gingen.
Quelle: DIW
Zur Nachfragesteigerung, also zur Ankurbelung des Wirtschaftskreislaufs nach Corona, würde das nur wenig beitragen, weil Topverdiener zusätzliches Geld eher auf die hohe Kante legen, als auszugeben. Andere Maßnahmen, die die Einkommen der breiten Bevölkerung stützen, wären viel wirksamer. Offenbar ging es den Leopoldina-Ökonomen beim Ruf nach Soli-Abschaffung weniger um die Corona-Krise, als um die Wiederholung alter neoliberaler Glaubenssätze.
Ähnliches denkt man angesichts anderer wirtschaftspolitischer Empfehlungen des Papiers: Beispielsweise wird eine möglichst schnelle Rückkehr zu einer „freiheitlichen Marktordnung“ (von „sozialer Marktwirtschaft“ ist nicht die Rede) gefordert: Der Staat solle sich möglichst schnell wieder aus Unternehmen zurückziehen, wenn er sich zur Sicherung der Solvenz an ihnen beteiligt und Geld gibt. Überhaupt solle sich die öffentliche Hand möglichst über „stille Beteiligungen“ engagieren und bei Unternehmensentscheidungen nicht weiter mitreden. Das soll offenbar privaten Investoren vorbehalten sein.
Auch der Abbau der Staatsverschuldung wird als eine der wichtigsten Aufgaben nach der Krise genannt. Das ist angesichts der aktuellen Situation und dem vergleichsweise niedrigen Schuldenstand Deutschlands nicht nur eine überflüssige Forderung. Sie könnte sogar schädlich sein, wenn sie zu früh umgesetzt wird und die Erholung dadurch wieder abwürgt.
Immerhin: Ein öffentliches Investitionsprogramm fordert auch das Leopoldina-Team richtigerweise. Dennoch bleibt seine Stellungnahme wirtschaftspolitisch einseitig und einfallslos. Das zeigt, dass auch vermeintliche Expertenmeinungen zu hinterfragen und Beratungsgremien möglichst ausgewogen zu besetzen sind.