Das Programm Polizei 2020 des Bundeskriminalamtes soll die IT der deutschen Polizei ins digitale Zeitalter überführen, doch konkrete Verbesserungen für die KollegInnen im Einsatz- und Ermittlungsdienst sind bislang kaum sichtbar. Oliver Stock beschäftigt sich seit vielen Jahren mit digitalen Themen und sieht wesentliche Ursachen in der Komplexität der fachlich-technischen Herausforderungen, aber auch in den gremienimmanent langen Abstimmungsverfahren: „Bei der Weiterentwicklung von Sicherheitstechnologien muss die Polizei ihre Prozesse deutlich beschleunigen, um ihre Rolle als Garant der inneren Sicherheit in diesem dynamischen Umfeld weiter wahrnehmen zu können.“
Dieser Beitrag ist Titel im BM Ausgabe 05/2021 - dem Magazin für Beamtinnen und Beamte des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Viele MitarbeiterInnen in der Polizei warten händeringend auf Verbesserungen bei IT-Anwendungen: Mobiler Zugang zu Informationen, wann und wo sie gebraucht werden, Plattformen für länder- und fallübergreifende Kommunikation und Zusammenarbeit, bundesweit nutzbarer Messenger, Vorgangs- und Verfahrensbearbeitungssysteme mit technischer Assistenz und vieles mehr wünschen sich die KollegInnen seit Jahren. Angesichts dessen sind die Ziele des Programms Polizei 2020 auch möglichst schnell umzusetzen: Die zentrale Aufgabe ist es, eine gemeinsame, moderne und einheitliche Informationsarchitektur für die Polizeien des Bundes und der Länder aufzubauen, mit der die PolizistInnen jederzeit und überall Zugriff auf die Informationen haben, die sie benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Die drei Kernziele sind:
Geplant ist ein einheitliches Verbundsystem mit zentraler Datenhaltung, ein sogenanntes Datenhaus im Bundeskriminalamt als zentralen und serviceorientierten Dienstleister für alle Polizeien in Deutschland. Im Gespräch mit der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Frühjahr 2020 kündigte BKA-Präsident Holger Münch an, ab 2022 könne die Plattform nach dem Prinzip „alle unter einem Dach, aber jeder mit seiner eigenen Wohnung“ bestückt werden. Doch wo steht die Polizei vier Jahre nach dem Start aus Sicht der AnwenderInnen?
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So lautet der Anspruch an eine moderne IT in der deutschen Polizei. Moderne Hard- und Software soll die KollegInnen im polizeilichen Einsatz und bei der Kriminalitätsbekämpfung unterstützen – und dabei sowohl nützlich als auch intuitiv bedienbar sein. Wer heute allerdings digitale Alltagserfahrungen mit PolizeibeamtInnen im Einsatz- und Ermittlungsdienst macht, wird sicher nicht immer von dieser modernen IT-Ausstattung sprechen können. Zwar sind vielerorts bereits mobile Endgeräte im Einsatz, die darauf verwendeten Technologien sind aber häufig nur begrenzt benutzerfreundlich und im Sinne moderner Datennutzung selten miteinander verknüpft, weil die Informationen nach wie vor z. T. umständlich in dezentralen Datenbanken erhoben, verarbeitet und verfügbar gemacht werden müssen.
Derweil verkünden immer wieder Meldungen, Deutschland erlebe in der Corona–Krise einen Digitalisierungsschub. Von der Bevölkerung und zahlreichen Experten wird das noch immer bezweifelt. Im internationalen Vergleich fällt Deutschland in der Digitalisierung weiter zurück, so die Kernaussage des Digital Riser Reports 2020 des Center for Digital Competitiveness an der ESCP Business School in Berlin. Auch der deutsche Digitalreport 2021 der ESCP Business School vergibt für die öffentliche Verwaltung und speziell für die Polizei weiterhin schlechte Noten. In einer Befragung unter einem repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt sowie 500 TOP-Führungskräften aus Wirtschaft und Politik des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des ESCP, sehen die Befragten bei den Behörden keine Fortschritte. Im Gegenteil attestieren sie hier sogar eine Entschleunigung der Digitalisierung gegenüber dem Jahr 2019: Bei Polizei und Sicherheitsbehörden glauben nur noch 11 Prozent (Vorjahr 19 Prozent) daran, dass die Digitalisierung schnell voranschreitet. Ist der Eindruck in der Öffentlichkeit zutreffend oder sind zumindest in absehbarer Zeit spürbare Verbesserungen zu erwarten?
Digitalreport 2021, Herausgeber: European Center for Digital Competitiveness by ESCP Business School
Während sich die Informationsgewinnung aus stetig zunehmenden Datenmengen bei den Polizeien von Bund und Ländern immer schwieriger gestaltet, kommen die Abstimmungen zur technischen Infrastruktur und zu zahlreichen Softwareanwendungen nur langsam voran. Infrastrukturfragen entscheiden aber über einen effizienten Einsatz von Technologien, damit die angestrebten Services überhaupt umgesetzt werden können. Das Datenzeitalter stellt an Cloudinfrastrukturen hohe Anforderungen, speziell bei umfangreichen Datenanalysen im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung gibt es große Herausforderungen im Bereich der digitalen Spuren. Aktuell sind beispielsweise forensische Softwareprodukte so spezifisch, dass sie nur noch von speziell daran ausgebildeten Datenexperten bedient werden können. Hier braucht es neue Analyseprodukte, mit denen auch ErmittlungsbeamtInnen wieder umgehen können. Auch bei der digitalen Vision der mobilen Einmalerfassung bei höchstmöglich automatisierter Weiterverarbeitung von Daten und Informationen entlang assistierter polizeilicher Arbeitsprozesse, wie sie beispielsweise bei Apps zur Unfallaufnahme oder bei der Fahndung ansatzweise erkennbar werden, ist man von einer bundesweiten Umsetzung noch weit entfernt.
Die digitale Transformation trifft überall in modernen Gesellschaften auf etablierte kulturelle und organisatorische Strukturen. Föderale Gremienstrukturen, schwierige Abstimmungsprozesse, aktuelle Rechtsentwicklungen, Vergabe- und Beschaffungsrecht, IT-Sicherheit, Haushaltsrecht usw. führen dazu, dass sich bereits die Abstimmungsverfahren über Jahre hinziehen. Ein übergreifendes technologiegetriebenes Organisationsprojekt in bestehenden Management- und Gremienstrukturen einer Polizeigemeinschaft mit über 300.000 Beschäftigten stößt überall an Grenzen der bestehenden Verhältnisse. Es besteht daher Anlass zur Sorge, dass vielfach stärker über Probleme statt über Chancen verhandelt wird.
Es kann also nicht überraschen, dass über das bisher Erreichte mittlerweile auch öffentlich kontrovers diskutiert wird. Die Bundesregierung betont daher in ihrer Antwort zu einer Kleinen Anfrage der Grünen im Dezember 2020: „Mit dem Programm Polizei 2020 soll das polizeiliche Informationswesen modernisiert und harmonisiert sowie die bisher heterogene Datenhaltung durch ein gemeinsames Datenhaus vereinheitlicht werden. Die entsprechenden Strukturen, Projekte und Vorhaben zur Umsetzung der Ziele wurden in Bund und Ländern aufgebaut und spiegeln sich in den entsprechenden Gremien wider. Es werden an zentraler Stelle einheitliche, moderne Verfahren entwickelt, die von allen Polizeien nach gleichen Standards zu nutzen sind.“
In der April Ausgabe 2021 der Deutschen Polizei (Fachzeitschrift der Gewerkschaft der Polizei) wird aus dem Bundesministerium des Innern darauf hingewiesen, man sei im Rahmen des Projekts damit befasst, die Grobkonzepte für die Ausschreibung eines Generalunternehmers vorzubereiten. Danach planen und steuern derzeit überwiegend externe Berater das Programm, die technische Umsetzung soll ebenfalls durch einen externen Generalunternehmer erfolgen.
Hierzu ist festzustellen, dass die weitgehende Auslagerung des digitalen Wandels ein Problem darstellt. Externe Berater können wichtige Impulse setzen, sie können aber in aller Regel keinen inneren Kulturwandel bei der digitalen Transformation gestalten. Erfahrungen in Unternehmen zeigen, dass die größten Fortschritte in Sachen Digitalisierung dort erzielt werden, wo Transformationstreiber mit eigener Expertise im eigenen Unternehmen etabliert und von externen Experten unterstützt werden. Deshalb sollte im Programm Polizei 2020 ein Ansatz gewählt werden, bei dem parallel zu den föderalen Abstimmungsprozessen auch ein interner Transformationstreiber mit einem klaren Mandat und gestärkten Kompetenzen für agile IT-Entwicklungs- und Umsetzungsinitiativen ausgestattet wird. Damit könnten von dort sowohl Infrastruktur- als auch Produktlösungen mit Finanzmitteln aus dem gemeinsamen IT-Fond iterativ vorangetrieben werden, um das Vertrauen in das gemeinsame Vorgehen durch praxisorientierte Lösungen mit spürbaren Verbesserungen für die KollegInnen zu stärken.
Zum Autor: Oliver Stock ist Mitglied der IT-Kommission der Gewerkschaft der Polizei. Als Referent für Cybercrime und Finanzkriminalität arbeitet er im niedersächsischen Innenministerium und begleitet seit mehreren Jahren verschiedene digitale Projekte der Landespolizei.