Deutscher Gewerkschaftsbund

31.01.2012
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Hinz: "Durchlässigkeit des Bildungssystems erhöhen"

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Bildung ist die Grundlage für qualifizierte Fachkräfte und damit Voraussetzung für eine innovative und nachhal­tige Wirtschaft. Demographischer Wan­del und drohender Fachkräftemangel machen es nötig, die Weiterbildung an und den Zugang zu den Hochschulen zu erleichtern.

Von Priska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied des Deutschen Bundestages

Gute Bildung ist die Grundlage für soziale Teilhabe, individuelle Entfaltung und Selbstbestimmung. Gute Bildung ist aber auch Grundlage für qualifizierte Fachkräfte und damit Voraussetzung für eine innovative und nachhal­tige Wirtschaft. Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen: demographischer Wan­del, drohender Fachkräftemangel und mangelnde soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems. Der Politik und den Hoch­schulen kommt hier eine wichtige gestal­tende Rolle zu. Nur wenn die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen setzt und die Hochschulen sich wandeln und weiterentwickeln, kann die Durchlässigkeit des Bildungssys­tems erhöht, unsere Gesellschaft weiterbildungsaktiver werden. Lebenslan­ges Lernen muss die Hochschulen einbeziehen und diese sozial öffnen. Konkret heißt das unter anderem: 1. Beruflich Qualifizierten muss der Zu­gang zu den Hochschulen erleichtert werden. 2.: Weiterbildung muss an Hochschulen zu­künftig eine deutlich größere Rolle spielen.

Damit mehr beruflich Qualifizierten Chancen auf ein wissenschaftliches Studium eröffnet werden, müssen auf der einen Seite die Zulassungsvoraussetzungen und Verfahren zur Anerkennung beruflich erworbener Kom­petenzen durch die Länder und Hochschulen vereinfacht und einheitlicher geregelt werden. Auf der anderen Seite müssen die Hochschulen sich auf die spezifischen Bedürfnisse beruflich Qualifizierter stärker einstellen: Vor­bereitungskurse, um fehlende Qualifikationen vor der Aufnahme des Fach­studiums nachholen zu können, und eine Hochschulkultur, die Lehre nicht als lästiges Beiwerk, sondern als wesentliche Aufgabe der Hochschulen be­greift, gehören beispielsweise dazu.

Lebenslanges Lernen darf nicht länger nur eine Floskel sein. Deutschland hinkt im Vergleich zu anderen Staaten in Sachen Weiterbildungsbeteiligung massiv hinterher. Um dies zu ändern, brauchen wir neben einer besseren Bildungsberatung auch bessere Finanzierungsmöglichkeiten. Wir Grünen haben dazu Konzepte entwickelt und stellen diese zur Diskussion. Wir wol­len die Aufstiegsfortbildungsförde­rung („Meister-Bafög“) zu einer Erwachsenenbildungsförderung ausbauen, um das lebenslange Lernen durch einen individuellen Mix aus Zuschuss und Darlehen für Maßnahme- und Lebenshaltungskosten zu unterstützen und so die Weiterbildungsbeteiligung, vor allem der bisher unterrepräsentierten Gruppen, deutlich zu erhöhen.

Bisher haben die massgeblichen Akteure in Deutschland die Chancen sträf­lich ungenutzt gelassen, die in der gleichzeitigen Umsetzung des Kopenha­gen- und des Bologna-Prozesses liegen. Die Hochschulen blickten bei der Bologna-Reform wie bisher fast ausschliesslich auf die Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit Hochschulzugangsberechtigung. Wenn Reformbe­darf für den Studienbeginn gesehen wurde, dann höchstens mit Blick auf die unterschiedlichen Voraussetzungen, die sich aus der Umstellung von G9 auf G8 ergaben. Auch das zentrale Prin­zip beider Reformkonzepte - „Gleichwertigkeit ohne Gleichartigkeit“ – steht in Deutschland bisher allein auf dem Papier. In einem Staat, in dem Länder und Hochschulen die Abi­turnoten noch immer nach dem Bundesland des Erwerbs „um­rechnen“ zu müssen meinen, scheint seine Umsetzung noch immer zu viel verlangt. Wenn das so bleibt, verbaut sich Deutschland seine wirtschaftliche und ge­sellschaftliche Zukunft. Wer ein zukunftsfähiges Bildungssystem in einer offenen Gesellschaft will, darf nicht mehr kategorisch zwischen den „berufli­chen“ und den „akademischen“ Fachkräften unterscheiden. So wie niemand zu alt ist, um weiterzulernen, hat auch niemand  „das Falsche“ oder gar „auf die falsche Art und Weise gelernt“, um im vierten oder fünften Lebensjahr­zehnt erfolgreich ein Hochschulstu­dium abzuschliessen. Die Umsetzung des Deutschen Qualifikationsrahmens in diesem Sinne ist eine notwendige Voraussetzung, um Kompetenzen aus der be­ruflichen Aus- und Weiterbil­dung für die Hochschulbildung erkennbar, anerkennbar und nutzbar zu ma­chen.

Auf der anderen Seite stehen die Hochschulen in der Pflicht ihren Beitrag für eine weiterbildungsaktive Gesellschaft zu leisten. Dazu gehört unter an­derem neue berufsbegleitende Studiengänge zu entwickeln, sich auf die spezifischen Bedürfnisse berufstätiger, auch älterer Studentinnen und Studenten einzustellen und die Lehre und ihre Anerkennung in der Wissen­schaftsgemeinde zu stärken. Wir wollen, dass Bund und Länder die Hoch­schulen gemeinsam so ausstatten, dass allen Studier­willigen der Zugang zum konsekutiven wie zum späteren berufsbegleitenden Master-Studien­gang ermöglicht wird. Diese Maßnahmen könnten einen wichtigen Schub für mehr Weiterbildung auch an den Hochschulen bringen.

In der Politik bekommt das Feld der Weiterbildung leider oft noch nicht die Aufmerksamkeit, die ihm angesichts der gesellschaftlichen Herausforderun­gen eigent­lich zukommen müsste. Und bei den Hochschulen beobachte ich häufig noch eine gewisse Scheu, sich für neue Zielgruppen zu öffnen und eine gewisse Schwerfäl­ligkeit, die gewohnten und bewährten Bahnen zu veranlassen. Sowohl die Politik als auch die Hochschulen stehen in der Pflicht, ihrer Verantwortung nachzukom­men und ihren Beitrag für eine weiterbildungsaktive Hochschule, die sich sozial öffnet, zu leisten. Eine gesell­schaftliche Verständigung über ein Leitbild für die Hochschule der Zukunft ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.


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