Deutscher Gewerkschaftsbund

13.06.2012
Mindestlohn-Interview

Olaf Scholz: Mindestlohn wird zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen

Olaf Scholz, Erste Bürgermeister von Hamburg

Olaf Scholz, Erste Bürgermeister Freie und Hansestadt Hamburg www.olafscholz.de

Der Mindestlohn im Vergaberecht sei nur eine Notlösung, vielmehr brauche es einen gesetzlichen Mindestlohn, damit alle Beschäftigten vor Dumpinglöhnen geschützt werden könnten – das sagt der Erste Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz (SPD) in einem Interview mit mindestlohn.de. Er verteidigt die Arbeitsmarktreformen (Hartz-Gesetze), hätte es aber richtig gefunden, sie von vornherein mit einem gesetzlichen Mindestlohn zu flankieren.

Immer mehr Bundesländer haben mittlerweile Lohnuntergrenzen in den Vergabegesetzen: zum Beispiel  Brandenburg 8,00 Euro, Berlin 8,50 Euro, Rheinland-Pfalz 8,50 Euro, Nordrhein-Westfalen sogar 8,62 Euro. Die SPD-Fraktion in Hamburg hat nun auch einen Antrag auf eine Mindestlohn-Regelung von 8,50 Euro bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen gestellt. Warum ist dies aus Ihrer Sicht notwendig und wann wird es das novellierte Vergaberecht geben?

Olaf Scholz: Zunächst ist es mir wichtig zu betonen, dass Lösungen in einzelnen Bereichen wie dem Vergaberecht nur eine Notlösung darstellen. Alle Beschäftigten sind vor Dumpinglöhnen zu schützen. Unfaire Löhne sind eine der größten Bedrohungen des sozialen Friedens und des sozialen Zusammenhalts. Mindestlöhne dienen auch der Etablierung eines dauerhaften Wirtschaftswachstums: Die Stärkung der Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine steigende Binnennachfrage sind wichtige Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung.Daher ist es erforderlich, eine unterste Grenze für Vergütungen festzulegen. Meines Erachtens kann das nur über einen gesetzlichen Mindestlohn erreicht werden. Politisch ist diese Forderung zurzeit nicht durchsetzbar, so dass auch wir landesspezifische Regelungen anstreben.

Wir wollen wenigstens vermeiden, dass Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge untertariflich entlohnte Beschäftigte einsetzen und sich damit ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile verschaffen. Eine derartige Praxis hat nicht nur unsoziale Folgen für die Beschäftigten, sie gefährdet auch in erheblichem Maße die Wettbewerbsposition derjenigen Unternehmen, die tarifgebundene Arbeitsplätze anbieten.

Mit dem vergabespezifischen Mindestlohn kann zwar eine untertarifliche Entlohnung nicht generell verhindert werden, aber er gewährleistet, dass sich die öffentlichen Auftraggeber nicht mit Steuergeldern mittelbar am menschenunwürdigen Lohndumping beteiligen. Ich gehe davon aus, dass wir der Bürgerschaft noch in diesem Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf zuleiten können.

Die rot-grüne Regierungskoalition in Bremen geht ja mit dem geplanten Mindestlohngesetz besonders weit. Es sieht vor, dass nicht nur Bremen und Bremerhaven den Beschäftigten mindestens 8,50 Euro zahlen müssen, sondern auch alle Firmen, die mehrheitlich der öffentlichen Hand gehören. Ebenso Firmen, die öffentliche Aufträge oder Bürgschaften haben wollen und Verbände und Vereine, die Zuschüsse für ihre Arbeit beantragen. Streben Sie auch in Hamburg den Bremer Weg an?

Olaf Scholz: Die Hamburgische Bürgerschaft verfolgt mit dem beschlossenen Antrag die gleichen Ziele wie Bremen – insofern sind wir längst auf dem Bremer Weg*). Und wir sind den Bremern dabei sogar ein gutes Stück voraus, da die Beschäftigten der Stadt nicht unter 8,50 Euro pro Stunde brutto verdienen. Wir haben damit bereits die Forderung nach einem Mindestlohn für unsere eigenen Beschäftigten umgesetzt.

Auf Bundesebene unter schwarz-gelb ist offenbar kein echter Mindestlohn gewollt, der alle Löhne unterhalb von 8,50 Euro kassiert. Sie setzen sich deshalb im Bundesrat für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ein. Was sind die Gründe?

Olaf Scholz: Es ist meine feste Überzeugung, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns die soziale Schere wieder etwas schließt und damit zu mehr sozialer Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft beiträgt. Beschäftigte brauchen Anerkennung für ihre Arbeit und die beste Anerkennung ist ein anständiger Lohn, von dem sie leben können. Der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion zu einer allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze bleibt deutlich hinter den Möglichkeiten eines gesetzlichen Mindestlohns zurück. Diese Lohnuntergrenze kann durch Tarifverträge mit niedrigerem Stundenlohn unterlaufen werden. Es gibt immer noch zu viele Tarifverträge mit einem Lohn unter 6,50 Euro. Da die FDP eine Diskussion des Themas Mindestlohn ablehnt, ist von der derzeitigen Bundesregierung kein angemessener Umgang mit dem Thema zu erwarten. Deshalb setzt sich Hamburg im Bundesrat gemeinsam mit anderen Bundesländern für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ein.

Die rot-grüne Bundesregierung hat die Hartz-Gesetze eingeführt. Doch mit den verschärften Zumutbarkeitsregeln und der schnellen Rutschbahn für Arbeitslose in Hartz IV (auf Sozialhilfeniveau) gerieten (Tarif-) Löhne unter Druck, die Zahl der Menschen, die arbeiten und trotzdem auf Hartz IV angewiesen sind, stieg. Kurz: der Niedriglohnsektor wurde massiv befördert. Gerade um den freien Fall der Löhne einzudämmen, fordern die Gewerkschaften den gesetzlichen Mindestlohn, obwohl sie natürlich lieber höhere tariflich vereinbarte Löhne hätten. Wenn Sie im Rückblick die Folgen der Agenda-Politik ansehen: War es ein Fehler, diese sogenannten Arbeitsmarktreformen beschlossen zu haben?

Olaf Scholz: Die Arbeitsmarktreformen, insbesondere die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur „Grundsicherung für Arbeitsuchende“, waren notwendig, um alle arbeitslosen Bürgerinnen und Bürger in Arbeit zu vermitteln - unabhängig davon, ob sie jemals in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Unter den alten Bedingungen waren insbesondere die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger von Beratung, Förderung und Vermittlungsbemühungen der Arbeitsämter ausgeschlossen – ein Umstand, der weder menschlich noch gesellschaftlich hinnehmbar war. Es wäre allerdings richtig gewesen, wenn diese Maßnahme von vornherein durch einen gesetzlichen Mindestlohn begleitet worden wäre. Und der Missbrauch von Leiharbeit und befristeter Beschäftigung rechtzeitig und beherzt gestoppt worden wäre. Weitere Maßnahmen müssen ergriffen werden. Hamburg unterstützt daher die Bestrebungen, die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld I zu senken (Erweiterung der Rahmenfrist von 2 auf 3 Jahre und Senkung der Anwartschaftszeit innerhalb der Rahmenfrist von 12 auf 6 Monate) und damit das schnelle Abgleiten in den Bezug von Arbeitslosengeld II bei Arbeitslosigkeit zu verhindern.

Welche Auswirkungen hätte die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro in Hamburg? Wie groß wäre die finanzielle Entlastung der Stadt durch sinkende Transferkosten, wenn es weniger Aufstocker gibt? Lässt sich abschätzen, wie hoch die Mehreinnahmen durch steigende Steuereinnahmen und Sozialbeiträge sein würden?

Olaf Scholz: Zu den finanziellen Auswirkungen für Hamburg liegen noch keine validen Zahlen vor. Das Unternehmen prognos schätzt in einer Untersuchung vom 26.04.2011 für den Fall eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro die positiven fiskalischen Effekte auf bundesweit rund 7 Milliarden Euro. Die Einführung des Mindestlohns wird daher auch zu einer Entlastung des Hamburger Haushaltes führen. Sinkenden Aufstockerzahlen und Steuermehreinnahmen stehen jedoch auch Mehrausgaben entgegen, wenn der Mindestlohn auch von Unternehmen, die öffentliche Aufträge ausführen, zu zahlen ist. Steigende Lohnkosten führen zu steigenden Preisen für die in Anspruch genommen Dienstleistungen. Über das Gesamtsaldo aus Mehreinnahmen und Minderausgaben kann ich zurzeit noch keine Aussagen treffen. Für die hamburgischen öffentlichen Unternehmen hätte die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde nur wenig Auswirkungen, da in den meisten Unternehmen ein höherer Stundenlohn gezahlt wird.


*) Die Bürgerschaft hat mit Beschluss vom 18. April 2012 den Senat ersucht, bis Ende 2012 ein „Hamburger Mindestlohngesetz“ zu prüfen und einen Gesetzentwurf vorzulegen (Drucksache 20/3743).

Ziel ist es, folgende Gruppen von Beschäftigten zu schützen:

  • Beschäftigte der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH),
  • Beschäftigte öffentlicher Unternehmen,
  • Beschäftigte von Unternehmen, die Zuwendungen der FHH erhalten,
  • Beschäftigte von Unternehmen, die öffentliche Aufträge der FHH erhalten.

Der Senat unterstützt das Anliegen, die genannten Gruppen der Beschäftigten zu schützen, und wird dazu einen Gesetzentwurf vorlegen. Solange ein gesetzlicher Mindestlohn, der alle Beschäftigten erfassen würde, auf Bundesebene nicht mehrheitsfähig ist, sollen in Hamburg die Möglichkeiten des Landesrechts genutzt werden. Insofern geht Hamburg bei der angestrebten Regelung im Landesrecht über die Beschäftigten der FHH hinaus. Zu Einzelheiten, insbesondere den angesprochenen Fragestellungen zu Empfängern von Zuwendungen, gibt es aber noch keine Festlegungen.


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