Deutscher Gewerkschaftsbund

19.09.2019

Internationale Solidarität und Migration - Wie Gewerkschaften Migration mitgestalten

von Henrik Meyer (Leiter des Landesbüros Tunesien der FES), Sami Adouani (Koordinator des Migrationsprojekts RSMMS), Maren Lorenzen-Fischer

Wie können wir menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Migrant*innen sichern? Diese Frage beschäftigte das Treffen des gewerkschaftlichen Netzwerks für Migration im Mittelmeerraum und Subsahara-Afrika in Tunis. Da Arbeit die Hauptursache für Migration ist, rufen die Gewerkschaften ihre Regierungen von Westafrika bis in die EU auf, stärker für faire und gute Arbeit für Migrant*innen einzustehen.

Zwei Handwerker tragen ein Bauteil

Colourbox.de

Tunesien steht als Pufferland zwischen Afrika und Europa im Mittelpunkt der Herausforderungen der internationalen Migrationspolitik. Das Land befindet sich seit den Umbrüchen des „Arabischen Frühlings“ in einem demokratischen Transitionsprozess, der einen günstigen Rahmen für den tunesischen Gewerkschaftsbund UGTT  (Union Générale Tunisienne du Travail) bietet, um Alternativen zum sicherheitsorientierten Ansatz in der Migrationspolitik zu entwickeln.

Es ist daher kein Zufall, dass vom 2. - 4. Juli 2019 in Tunis eines der wichtigsten internationalen Gewerkschaftstreffen zum Thema Migration stattfand. Auf der fünften Generalversammlung des sogenannten „Réseau Syndical Migrations Méditerranéennes Subsahariennes“ (RSMMS), eines gewerkschaftlichen Netzwerks für Migration im Mittelmeerraum und in Subsahara-Afrika, waren insgesamt 26 verschiedene Gewerkschaftsorganisationen mit mehr als 200 Teilnehmenden aus West- und Nordafrika sowie aus Europa vertreten, um über „interregionale gewerkschaftliche Verständigung im Dienste menschenwürdiger Arbeit für Migrant*innen“ zu diskutieren. Auch Vertreter von Ver.di und ein deutscher Kollege aus dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) waren vor Ort und brachten ihre Expertise zur Regulierung des Arbeitsmarktes für ausländische Arbeitskräfte und eine solidarische euro-mediterrane Partnerschaft ein.

Gemeinsamer Einsatz für die Rechte von Migrant*innen 

Seit der Gründung von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt, und seit 2014 von der UGTT koordiniert, hat sich das Netzwerk das Ziel gesetzt, die Ressourcen aus den verschiedenen Regionen zu bündeln, um sich national, regional und international für die Rechte von Arbeitsmigrant*innen einzusetzen. Die Idee hinter dem Zusammenschluss ist simpel und dennoch innovativ: Das transnationale Phänomen der Migration verlangt nach länderübergreifenden Strategien. Da 59 Prozent aller Migrant*innen weltweit Arbeitsmigrant*innen sind, müssen gerade Gewerkschaften ihre Stimme erheben, ihr Know-how zusammenführen und die Rechte der Migrant*innen verteidigen. Um sich nicht einer Rhetorik der Abschottung zu verschreiben, welche Einschnitte in die Rechte von Arbeiter*innen befördert, müssen sie miteinander in Austausch treten und ihre Strategien zum Umgang mit Migrant*innen aufeinander abstimmen. Die eigenen Kräfte sollen mobilisiert werden, um Unterstützung und Anlaufstellen für Migrant*innen auszubauen sowie einen besseren Zugang für Migrant*innen zu Gewerkschaften zu schaffen. Eine Besonderheit des Netzwerkes ist überdies, dass es Gewerkschafter*innen aus Herkunfts-, Transit- und Zielländern zusammenbringt, um gemeinsam der Ausbeutung und Diskriminierung von Migrant*innen entgegenzutreten.

Denn die aktuellen Umstände sind beunruhigend. So zeichnete die Konferenz ein düsteres Bild von prekären und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen von Migrant*innen, von Zwangsarbeit und von sexualisierter Gewalt. Man war sich einig, dass die nationalen Migrationspolitiken im Mittelmeerraum wie auch in Subsahara-Afrika bei der Bekämpfung dieser Missstände versagen. Vor allem der sicherheitspolitische Ansatz, der derzeit sowohl die Nord-Süd Beziehungen als auch die Süd-Süd Beziehungen prägt, trage kaum zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage bei. Das Netzwerk stellt diesem Fokus auf Sicherheit daher explizit einen alternativen Ansatz gegenüber, der auf Integration statt Abgrenzung und auf Debatten auf Augenhöhe setzt. Dabei spielt Solidarität zwischen Gewerkschaften und die Schaffung eines gemeinsamen Verantwortungsbewusstseins für die Belange von Arbeitsmigrant*innen eine entscheidende Rolle. Stärkere gewerkschaftliche Kooperation zwischen Nord-Süd und Süd-Süd ist dringend notwendig, um effektive Schutzmechanismen zu entwickeln und eine aktive Rolle bei der Entwicklung von Mechanismen für legale Migration zu spielen sowie um künftig nationale und internationale Migrationspolitik mitzugestalten.

Migration innerhalb Afrikas stärker im Blick

Vor diesem Hintergrund fokussierte sich die Konferenz in Tunis auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Mobilität und sozialen Sicherheit von Migrant*innen und auf die praktischen Erfahrungen der Mitglieder des RSMMS mit Mechanismen der Regulierung und Integration. Darüber hinaus standen auch die Themen Xenophobie und Rassismus im Zentrum der Debatten, in deren Zuge sich die Gewerkschafter*innen das Ziel setzten, die eigene Basis zu sensibilisieren. Im kommenden Jahr plant das RSMMS, hierfür eine gemeinsame überregionale Kampagne gegen Xenophobie und Rassismus zu lancieren.

Insbesondere die subsaharischen Mitgliedsgewerkschaften betonten in diesem Kontext, dass eine echte Partnerschaft auf Augenhöhe auch voraussetze, dass Migrationsprozesse zwischen Ländern des Globalen Südens ebenso ernst genommen werden wie Migration aus Afrika nach Südeuropa. Eine gewerkschaftliche Gesamtstrategie müsse der Realität von Migration Rechnung tragen und stärker als bislang die Bedürfnisse der afrikanischen Länder und ihrer Gewerkschaftsbünde berücksichtigen: Rund 80 Prozent der Migrant*innen bewegen sich innerhalb der Region West- und Nordafrika. Da reiche es nicht aus, wenn europäische Gewerkschaften Mobilität vor allem als Süd-Nord-gerichtet verstünden.

Wachsendes Engagement in der Gewerkschaftsbewegung

Die Aufnahme fünf neuer Gewerkschaften aus Belgien, Italien, Togo, Niger und dem Senegal in das RSMMS zeigt indes die wachsende Bedeutung eines inklusiven und integrativen Ansatzes. Das Netzwerk umfasst fortan 29 Organisationen aus 16 Ländern und bildet damit zunehmend die Gesellschaften entlang der bedeutendsten Migrationsrouten für Arbeiter*innen ab. Durch diese größere Repräsentativität und vermehrte Aktivitäten in den einzelnen Regionen wächst der Einfluss des Netzwerks und letztlich auch die Hoffnung, dass die Regierungen im Mittelmeerraum und Subsahara-Afrika den Appell der Gewerkschaften ernstnehmen, für eine faire Migrationspolitik einzustehen, welche die Menschenrechte von  Arbeitsmigrant*innen schützt und ihre Integration unterstützt.

Im Kern ist dies die Botschaft der Abschlussdeklaration der Konferenz in Tunis, welche die Mitglieder des RSMMS ihren europäischen, maghrebinischen und westafrikanischen Regierungen übermittelten. Gleichzeitig ist die Deklaration auch als Auftrag an die Organisationen im Netzwerk selbst zu verstehen – ihr Mandat als Verfechter*innen von menschenwürdiger Arbeit für alle künftig noch besser zu erfüllen.


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