Deutscher Gewerkschaftsbund

Absicherung bei Krankheit, Pflege und Geburt

25.06.2019
Magazin für Beamtinnen und Beamte 6/2019

Pauschale Beihilfe: Segen oder Fluch?

Eine Änderung des Hamburgischen Beamtengesetzes löste im vergangenen Jahr eine kleine emotionale Welle in der Bundesrepublik aus: Bei den einen war es eine Welle der Erleichterung, bei den anderen eine Schockwelle. Auslöser dieser Reaktionen war die Einführung der pauschalen Beihilfe. Dabei handelt es sich um eine zusätzliche Form der Beihilfe. BeamtInnen im Dienst der Freien und Hansestadt Hamburg können sich damit seit dem 1. August 2018 neben der bisherigen Beihilfe, die individuell zu einzelnen Aufwendungen gewährt wird, alternativ für eine pauschale Zahlung des Dienstherrn zur Deckung der hälftigen Kosten einer Krankenvollversicherung entscheiden. Zwei Punkte vorab: Die pauschale Beihilfe hat keine negativen Auswirkungen auf die bisherige Beihilfe und die Heilfürsorge.

Frauenbeine mit Krücken, gebrochenes Bein im Gips

Colourbox.de

Warum diese Gesetzesänderung nötig war

Das Beihilferecht der BeamtInnen regeln Bund und Länder selbst in ihren Beamtengesetzen und den entsprechenden Beihilfeverordnungen. Mit der Beihilfe kommen die Dienstherren ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren BeamtInnen und deren Familien nach. Kosten, die den BeamtInnen im Fall von Krankheit, Pflege oder Geburt entstehen, werden teilweise von der Beihilfe erstattet. Zu welchem Prozentsatz sie übernommen werden, hängt unter anderem vom Familienstand ab. So ist der Beihilfebemessungssatz für BeamtInnen mit zwei oder mehr Kindern sowie für berücksichtigungsfähige Ehepartner und Kinder grundsätzlich erhöht. Gleiches gilt für VersorgungsempfängerInnen. Die Kosten, die nicht durch die Beihilfe erstattet werden, tragen die BeamtInnen. Gegen dieses Risiko schließen sie einen Krankenversicherungsschutz ab. Da BeamtInnen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) laut Fünftem Buch Sozialgesetzbuch versicherungsfrei sind, können sie sich nur freiwillig in einer gesetzlichen Krankenkasse versichern. Hierfür müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, etwa ausreichend Vorversicherungszeiten. Entscheiden sich BeamtInnen für eine freiwillige Mitgliedschaft in der GKV, müssen sie den kompletten Beitragssatz alleine bezahlen. Der Grund: Das Beihilferecht sieht keine Erstattung von Beitragskosten vor. Zudem benötigen beihilfeberechtigte Personen angesichts der bisherigen Systematik des Beihilferechts keine Krankenvollversicherung, sondern einen Versicherungsschutz, der die Restkosten absichert. Deshalb entscheidet sich die Mehrheit der BeamtInnen in der Regel für einen Versicherungsschutz eines privaten Krankenversicherungsunternehmens. Dort findet sich eine Vielzahl an beihilfefähigen Tarifen. Für Beihilfeberechtigte, die aus den unterschiedlichsten Gründen dennoch in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind oder sein wollen, fehlte damit bislang eine für sie passende Lösung. Dies wollte Hamburg ändern.

Fürsorge weiterentwickeln

Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg brachte 2017 den Entwurf eines Gesetzes über die Einführung einer pauschalen Beihilfe zur Flexibilisierung der Krankheitsvorsorge in die Hamburgische Bürgerschaft ein. Diese verabschiedete den Gesetzentwurf im Mai 2018. Zum 1. August 2018 ist das Gesetz in Kraft getreten. Seit dem steht den BeamtInnen die pauschale Beihilfe als Alternative zur individuellen Beihilfe zur Verfügung. Die pauschale Beihilfe wird unabhängig von der Art des Versicherungsverhältnisses gewährt. In der Praxis ist die Inanspruchnahme vor allem im Fall einer freiwilligen GKVMitgliedschaft von Vorteil. Damit schließt sie in Hamburg die eingangs beschriebene Fürsorgelücke, die bislang im Beihilferecht bestand und stellt somit einen Beitrag zur Weiterentwicklung und Verbesserung des durch Artikel 33 Abs. 5 GG geschützten Fürsorgegrundsatzes dar. Entscheidend ist, dass die Gewährung einer zusätzlichen Beihilfe im Ausnahmefall zur Vermeidung besonderer Härten bestehen bleibt. Damit ist die pauschale Beihilfe mit der bisherigen Rechtsprechung zur Fürsorgepflicht und zur Beihilfe kompatibel. Zudem werden die Ansprüche auf eine amtsangemessene Alimentation im Krankheitsfall, auf Leistungen aus der Dienstunfallfürsorge oder auf Leistungen der Beihilfe im Pflegefall von der Entscheidung der BeamtInnen für die pauschale Beihilfe nicht berührt. Die pauschale Beihilfe wird darüber hinaus auch nach der Pensionierung weiter gezahlt.

So funktioniert die pauschale Beihilfe in Hamburg

Die Pauschale wird monatlich zusammen mit den Bezügen gewährt und bemisst sich nach der Hälfte des nachgewiesenen GKV-Krankenversicherungsbeitrags der beihilfeberechtigten Person unter Berücksichtigung der Hälfte des kassenabhängigen Zusatzbeitrags. Aktuell beträgt der ermäßigte Beitragssatz für freiwillige GKV-Mitglieder 14,0 Prozent des Bruttoeinkommens. Für VersorgungsempfängerInnen gilt der allgemeine Beitragssatz von 14,6 Prozent. Bei freiwillig gesetzlich Krankenversicherten werden neben den Bezügen auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie Einnahmen aus Kapitalvermögen, Aktien und Ähnlichem verbeitragt. Die Einkünfte werden aber nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze (2019: 54.450 Euro im Jahr) berücksichtigt. 2019 liegt der monatliche GKV-Höchstbeitrag für freiwillig Versicherte ohne Krankengeldanspruch bei 635 Euro. Hinzu kommt der eventuell erhobene kassenabhängige Zusatzbeitrag.

Die einmal durch schriftlichen Antrag getroffene Entscheidung für die pauschale Beihilfe ist unwiderruflich. Ein Hinund Herwechseln zwischen der pauschalen und der individuellen Beihilfe ist damit nicht möglich. Ausgaben für Leistungen, die gegebenenfalls über dem Leistungsniveau der ge setzlichen Krankenversicherung liegen, können damit auch nicht mehr bei der Beihilfestelle geltend gemacht werden. Allerdings ist in besonderen Ausnahmefällen nach wie vor eine zusätzliche Beihilfe zur Vermeidung von Härtefällen möglich.

Wem die Pauschale hilft

BeamtInnen, die bereits freiwillig in der GKV versichert waren und bisher den Arbeitgeberund Arbeitnehmeranteil selber gezahlt haben, können künftig alternativ zu den klassischen Leistungen der Beihilfe einen Zuschuss des Dienstherrn in Form der pauschalen Beihilfe erhalten. Dies stellt für diese Gruppe eine erhebliche Entlastung dar. Neue BeamtInnen wiederum, die die Bedingungen für eine freiwillige Mitgliedschaft in der GKV erfüllen, haben jetzt eine tatsächliche Wahlmöglichkeit zwischen PKV und GKV.

DGB

Da in der GKV die Beiträge einkommensabhängig und risikounabhängig sind sowie eine beitragsfreie Familienmitversicherung existiert, dürfte nach Ansicht des DGB das Modell der pauschalen Beihilfe insbesondere für Menschen mit Familie, mit einer Schwerbehinderung oder anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen interessant sein. Gleiches gilt für BeamtInnen in Teilzeit und in niedrigen Besoldungsgruppen. Aus Sicht des DGB steigert die durch die pauschale Beihilfe eingeräumte Wahlmöglichkeit darüber hinaus die Attraktivität des Beamtenstatus. Dies spricht insbesondere jene mit erheblichen Vorversicherungszeiten in der GKV an. Ein in Zeiten des Fachkräftemangels nicht zu unterschätzender Fakt.

Gegner des Modells

Die pauschale Beihilfe hatte von Beginn an Gegner, darunter den Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) und den dbb Beamtenbund und Tarifunion. Der PKV-Verband – vermeintlich in Sorge um die GKV – warnt vor schlechten Risiken: „Insbesondere „schlechte Risiken“ für die GKV (z. B. Versicherte mit schlechtem Gesundheitszustand, geringem Ein kommen und/oder beitragsfrei mitversicherten Angehörigen) hätten bei Gewährung eines Arbeitgeberzuschusses einen Anreiz, sich in der GKV zu versichern. Dieses Vorteilshopping führt zu einer finanziellen Schwächung der GKV.“ VertreterInnen der GKV sehen das selbst anders. Angesichts der Größe des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung sei keine Belastung für die gesetzlichen Krankenversicherungen zu erwarten – auch nicht, wenn die pauschale Beihilfe bundesweit eingeführt würde. Diese Einschätzung teilt der DGB. Die GKV versichert insgesamt mehr als 72 Millionen Menschen, die alle ohne Gesundheitsprüfung aufgenommen wurden. Im Vergleich hierzu sind die Zahlen der BeamtInnen, insbesondere der Neuverbeamtungen, sehr gering. Verbeamtet kann zudem nur werden, wer die körperliche und gesundheitliche Eignung für das jeweilige Amt aufweist. Die Warnung des dbb geht Richtung Beamtenschaft: „Zudem wird jede Beamtin und jeder Beamte zunächst einmal eine langfristige Lebensplanung vornehmen müssen, ob sich dieses neue Gesetz für sie oder ihn tatsächlich lohnt, denn wer sich einmal zu einem Entschluss – wie auch immer geartet – durchringt, wird lebenslang an eine einmalige Entscheidung gebunden sein.“ Warum ein Mensch, der sich für das auf Lebenszeit angelegte Beamtenverhältnis entscheiden kann, nicht die Folgen seiner Wahl eines Krankenversicherungssystems überblicken können soll, legt der dbb allerdings nicht näher dar.

Resümee

Die pauschale Beihilfe ist eine gute Weiterentwicklung des Beihilferechts und ihre Einführung entspricht einer langjährigen Forderung des DGB. So hat der DGB-Bundeskongress 2018 diese ausdrücklich im Rahmen des Beschlusses „C007: Für ein demokratisches Berufsbeamtentum – Der DGB als aktive Spitzenorganisation der Beamtinnen und Beamten“ bekräftigt.

DGB

Die Gegner der pauschalen Beihilfe verneinen mit Verweis auf die ihrer Meinung nach geringen Fallzahlen in Hamburg die Notwendigkeit dieser. Dabei verkennen sie, dass genau diese Zahlen ihre Argumente widerlegen. Weder handelt es sich um Einzelfälle, noch um eine Masse an die GKV überstrapazierenden BeamtInnen mit „schlechten Risiken“. Was spricht also gegen diesen Weg? Lediglich ein Fakt: So lange nicht alle Länder sowie der Bund die pauschale Beihilfe anbieten, bleibt ein finanzielles Risiko für die BeamtInnen im Fall des Wechsels zu einem Dienstherrn ohne pauschale Beihilfe. In einem solchen Fall müssten die Betroffenen dann wieder den kompletten Krankenkassenbeitrag alleine zahlen. Damit dieses Risiko sinkt, setzt sich der DGB für eine flächendeckende pauschale Beihilfe in Deutschland ein, genauso wie für den Schutz der bisherigen Beihilfeberechtigten.

Während die Kritiker der pauschalen Beihilfe gebetsmühlenartig ihre Argumente wiederholen, folgten bereits Bremen (bei Neuverbeamtung ab 1. Juni 2019, für Bestandsfälle zum 1. Januar 2020) und Brandenburg (zum 1. Januar 2020) dem Vorreiter Hamburg. Der Thüringische Landtag wird im Juli darüber entscheiden. In Berlin hat der Senat einen Beschluss für eine Gesetzesinitiative gefasst. Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns steht dem Vorhaben positiv gegenüber. In Schleswig-Holstein sowie Nordrhein-Westfalen ist die pauschale Beihilfe aktuell Gegenstand der parlamentarischen Beratung.


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