Deutscher Gewerkschaftsbund

01.07.2009
Mindestlohn-Interview

Neues aus dem Bus: Im Gespräch mit Ute Berg (SPD)

Ute Berg (SPD) Reinhard Dombre (DGB)

DGB

Die Bundestagsabgeordnete Ute Berg (SPD) stellte sich diesmal im Mindestlohnbus den Fragen von Reinhard Dombre (DGB). "Soziale Marktwirtschaft heißt für uns unternehmerische Freiheit verbunden mit sozialer Verantwortung", betont die wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Die Absicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sieht sie als "Daueraufgabe", die durch "eine tragfähige und gerechte Sozialpolitik gewährleistet" werde. Ute Berg ist seit 2002 Abgeordnete im Deutschen Bundestag und seit 2003 Mitglied im Parteivorstand der SPD. 

Wie finden Sie die Idee mit der Forderung nach 7,50 Euro auf dem Bus, in dem wir fahren?

Ute Berg: Eine Superidee, auf diese Art auf das Thema aufmerksam zu machen! Als echter „Hingucker“ wird der Bus sicher von vielen Passanten wahrgenommen. Ich hoffe, dass sich eine große Anzahl von ihnen auch mit der Forderung nach einem solchen Mindestlohn identifiziert.

Was sind die Gründe für die enorme Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland, der mittlerweile 22 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse umfasst?

Ute Berg: Es gibt unterschiedliche Gründe dafür. Fakt ist, dass die Tarifbindung in Deutschland sinkt. Nur noch gut die Hälfte aller Arbeitnehmer/innen ist durch Flächentarifverträge geschützt. Ein großer Bereich des Arbeitsmarktes ist also gar nicht oder nur ungenügend geregelt. Das betrifft vor allem den privaten Dienstleistungssektor, in dem aber auch die meisten neuen Jobs - gerade für gering qualifizierte Arbeitnehmer/innen entstehen.

Welche Auffassung vertreten Sie, wie dieser Entwicklung begegnet werden kann?

Ute Berg: Der Mindestlohn ist für mich das Instrument, um die Arbeitnehmer/innen vor Lohndumping zu schützen. Da wir den Mindestlohn mit der Union aber noch nicht flächendeckend durchsetzen konnten, haben wir unsere Bemühungen vor allem darauf konzentriert, dass möglichst viele Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen wurden. Zuletzt ist uns das bei der Pflegebranche, den Sicherheitsdienstleistungen und den Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen im Bereich der Arbeitsmarktförderung gelungen. Mittlerweile sind rund 3 Millionen Arbeitnehmer/innen in neun Branchen durch Mindestlöhne geschützt. Unser Ziel bleibt aber der flächendeckende Mindestlohn.

Was muss die Politik unternehmen, damit Existenz sichernde Löhne gezahlt werden?

Ute Berg: Weil wir den flächendeckenden Mindestlohn mit der Union noch nicht umsetzen konnten, haben wir bestehende Gesetze weiterentwickelt, um einen verlässlichen Rahmen vorzugeben. Mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz besteht zumindest in den Branchen die gesetzliche Grundlage für Lohnuntergrenzen, in denen sich Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen auf einen Mindestlohntarifvertrag einigen, die gesetzliche Grundlage für Lohnuntergrenzen. Für Branchen, die eine Tarifbindung von weniger als 50 Prozent haben, greift das Mindestarbeitsbedingungengesetz, womit unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls ein Mindestlohn festgesetzt werden kann. Die Reform dieser beiden Gesetze haben wir mit den von Olaf Scholz vorgeschlagenen gesetzlichen Anpassungen Ende Januar abgeschlossen.

Welche Position vertritt die SPD im Hinblick auf die Bundestagswahl 2009 bzgl. Existenz sichernder Mindestlöhne?

Ute Berg: Unser Ziel bleibt ein flächendeckender Mindestlohn für alle. Die Orientierungsmarke von 7,50 Euro halte ich derzeit für realistisch. Damit wollen wir eine Untergrenze ziehen, unter die Löhne in Deutschland nicht fallen dürfen.

Verstoßen Niedriglöhne gegen die Garantie des Grundgesetzes, die Würde des Menschen sei unantastbar?

Ute Berg: Da sie die Arbeitsleistungen von Menschen nicht genügend honorieren, halte ich sie jedenfalls für unakzeptabel.

Ist die soziale Marktwirtschaft mit Niedriglöhnen vereinbar?

Ute Berg: Soziale Marktwirtschaft heißt für uns unternehmerische Freiheit verbunden mit sozialer Verantwortung. Es zeugt aber nicht von sozialer Verantwortung, Menschen, die Vollzeit arbeiten, Löhne zu zahlen, von denen sie nicht leben können. Der Staat muss dann mit Sozialtransfers einspringen. Die Zeche zahlt die gesamte Gesellschaft.

Würde die soziale Marktwirtschaft durch flächendeckende Lohnuntergrenzen unsozial?

Ute Berg: Nein! Unsozial ist es, wenn eine Gesellschaft die Arbeit der Menschen nicht wertschätzt und entsprechend bezahlt. Sozial – und damit Kennzeichen einer sozialen Marktwirtschaft – ist, wenn persönliches Engagement anerkannt wird, wenn Anstrengung sich im wahrsten Sinne des Wortes lohnt. Die entscheidende Grundlage dazu würden wir mit dem Mindestlohn schaffen.

20 von 27 EU-Staaten sichern Lohnuntergrenzen über Mindestlöhne. Sind die alle schlecht beraten?

Ute Berg: Natürlich nicht! Mir hat bisher noch niemand erklären können, warum diese Länder ohne die von Kritikern an die Wand gemalten verheerenden Folgen für die Volkswirtschaft Mindestlöhne einführen konnten, aber wir in Deutschland nicht.

Kann der deutsche Arbeitsmarkt angesichts der bevorstehenden Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU ab Mai 2011 auf verbindliche Lohnuntergrenzen verzichten?

Ute Berg: Ich finde, er sollte darauf nicht verzichten. Im Wettbewerb mit unseren EU-Nachbarn wollen wir den Kampf um gute Marktpositionen nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer/innen austragen. Wir wollen nicht immer billiger, sondern immer besser werden und mit innovativen Produkten und Dienstleistungen punkten. Mindestlöhne sind europaweit ein gutes Instrument, um die Arbeitnehmer/innen vor Lohndumping zu schützen.

Sollte es für die Zeitarbeit auch einen Mindestlohn geben?

Ute Berg: Ja, selbstverständlich.

Berücksichtigt die Politik bei ihren Konjunkturprogrammen die tatsächlich Bedürftigen, z.B. Niedriglohnbeschäftigte?

Ute Berg: Mit den Konjunkturprogrammen haben wir viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, die letztlich unserer gesamten Gesellschaft zu Gute kommen - darunter die Sicherung der Spareinlagen der Bürgerinnen und Bürger oder die Erhöhung von Kinderzuschlag und Kindergeld. Zudem ist das Wohngeld deutlich gestiegen und der Beitrag der Arbeitnehmer/innen zu den gesetzlichen Krankenkassen sinkt ab 1. Juli. Konjunkturprogramme sind aber in erster Linie dazu da, die Wirtschaft anzukurbeln. Sie sollen kurzfristig und zielgerichtet sein und sind zeitlich begrenzt. Die Absicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist hingegen eine Daueraufgabe und wird durch eine tragfähige und gerechte Sozialpolitik gewährleistet.

Es werden Rettungsschirme für die Wirtschaft gespannt. Sind Lohnuntergrenzen nicht auch Rettungsschirme für die Betroffenen?

Ute Berg: In gewisser Weise schon. Rettungsschirme für die Banken und die Wirtschaft haben wir gespannt, um die negativen Auswirkungen der aktuellen Krise zu dämpfen. Wir haben das getan, um Schäden für unsere Wirtschaft so gering wie möglich zu halten und damit Arbeitsplätze und Wohlstand für die Menschen zu sichern. Mindestlöhne können auch eine stabilisierende Wirkung auf die Wirtschaft haben, indem sie die Kaufkraft erhalten bzw. erhöhen.


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