Die Digitalisierung verändert alles – diese Binse gilt auch für die Verwaltung in Deutschland. Doch hierzulande ist die Digitalisierung der öffentlichen Dienste bislang keine Erfolgstory. Das Mammutprojekt stockt an allen Ecken und Enden. Drei Tage Intensivprogramm beim Klassenprimus in puncto Digitalisierung, Dänemark, zeigen, dass die Gründe dafür vielschichtig sind: Denn Veränderung ist kein Automatismus. Veränderung benötigt Offenheit und Pragmatismus, einen langfristigen Plan sowie Zusammenarbeit und Investitionen. Vor allem aber Vertrauen. Und zwar bei Beschäftigten und BürgerInnen. Unser Fazit: Das dänische Erfolgsmodell passt als Vorbild für Deutschland nur bedingt. Allerdings können wir von den DänInnen dennoch einiges lernen.
DGB/Jan Piegsa
Die Politik in Deutschland will mehr „Drive“ in die Digitalisierung der Verwaltungen bekommen. Erklärtes Vorbild dabei ist auch Dänemark. Wie einfach es der Staat seinen BürgerInnen machen kann, zeigt unser Nachbar im Norden. „Die Steuererklärung dauert bei uns für die meisten maximal fünf Minuten“, sagt Lone Skak-Nørskov, Botschaftsrätin für Digitalisierung in der dänischen Botschaft in Berlin. Denn die wichtigsten Daten der BürgerInnen liegen den Behörden vor. Schulanmeldungen und andere Behördengänge erledigen fast alle DänInnen so in kurzer Zeit im Netz, selbst die Rente beantragen 95 Prozent digital. Basis dafür ist die sogenannte CPR-Nummer, eine persönliche Identifikationsnummer, die einen schnellen Datenaustausch ermöglicht. Unter anderem deshalb liegt Dänemark beim europäischen Digitalisierungsindex (DESI) auf Platz eins, Deutschland dagegen auf Platz 14.
Doch wie hat Dänemark das geschafft? Und wichtiger, taugt Dänemark überhaupt als Vorbild für Deutschland? Zeit für den DGB, sich vor Ort ein eigenes Bild vom „digitalen Dänemark“ zu machen. Vom 14. bis 16. Mai 2019 sprachen Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des DGB, und eine Gewerkschaftsdelegation in Kopenhagen mit Wissenschaftlern, BehördenvertreterInnen, BürgerInnen und GewerkschafterInnen.
Historisch gesehen hat die Digitalisierung der dänischen Verwaltung bereits in den 1970er Jahren begonnen. Das Land befand sich durch die Ölkrisen in den 1970er Jahren in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Die Politik reagierte 1983 unter anderem mit einer Reform der öffentlichen Verwaltung. Der Einsatz von PCs machte die Verwaltung papierärmer, effizienter und kostengünstiger. Heute ist der dänische Staat durchdigitalisiert, die Kommunikation mit der Wirtschaft und den BürgerInnen läuft fast nur noch über Portale wie etwa dem Bürgerportal borger.dk. Damit wird vor allem eines deutlich: Die Digitalisierung der öffentlichen Dienste kommt weder von alleine, noch über Nacht. Immerhin sprechen wir in Dänemark von über 36 Jahren zielgerichteter Veränderung. Einer Veränderung, die von allen politischen Blöcken mitgetragen wurde. Auch die Gewerkschaften haben sich selbstbewusst eingebracht: „Es gibt in Dänemark keine Reform, die ohne die Beteiligung der Gewerkschaften gemacht wurde,“ betont Majbrit Berlau, stellvertretende Vorsitzende des dänischen Gewerkschaftsbundes (FH).
DGB/Jan Piegsa
Hinzu kommt: Bereits 2001 begannen der dänische Staat zusammen mit dem kommunalen wie regionalen Landesverband mit der Entwicklung der digitalen Infrastruktur, die heute das dänische Modell kennzeichnet. Seit dem wurden laut Lucia Velasco Mena von der dänischen Digitalisierungsbehörde mehr als über 100 Dienstleistungsgebiete innerhalb des öffentlichen Sektors digitalisiert, viele davon sind mittlerweile obligatorisch – hierunter Post und Steuerangabe. „Alle fünf Jahre definieren wir die Agenda für die nächsten Jahre. Die Kosten für die Umsetzung dieser Digitalisierungsstrategie werden zu jeweils 40 Prozent auf Staat und Gemeinden aufgeteilt“, so Velasco Mena weiter. Die Regionen beteiligen sich mit 20 Prozent an der Finanzierung. Diese Form der Kooperation ist Teil des dänischen Pragmatismus. Die Kooperation geht aber noch weiter. Viele, fast alle, öffentliche Aufgaben werden an Private ausgegliedert, öffentliche mit privaten Angeboten verzahnt: Mit der sogenannten NemID werden seit 2010 alle DännInnen ab 15 Jahren zu digitalen BürgerInnen. Mit diesem Zugang können sie beispielweise Kindergeld oder die Rente beantragen, aber eben auch Geld überweisen, Arzttermine buchen und in den Bibliotheken Bücher ausleihen. Der Preis für diesen Service? Die BürgerInnen sind praktisch gläsern, nehmen daran aber wenig Anstoß. Und das hat Gründe.
Die Unterschiede zwischen Dänemark und Deutschland liegen auf der Hand. Deutschland ist groß, Dänemark ist klein. Deutschland ist eine parlamentarische Bundesrepublik mit 16 Bundesländern und über 10.000 Gemeinden. Dänemark ist eine parlamentarische Monarchie mit fünf Regionen und 98 Kommunen. Deutschland hat 83 Millionen Einwohner, Dänemark 5,6 Millionen. Und dennoch – das Dänemark ein Vorreiter in Sachen Digitalisierung ist, hat nicht nur etwas mit schlankeren Strukturen und weniger Einwohnern zu tun. „Am Ende ist es eine Sache des Vertrauens“, erklärt Botschaftsrat in der Deutschen Botschaft Hans von Schroeder. In Dänemark vertrauten die BürgerInnen ihren Behörden. Sie stellen daher auch bereitwillig ihre Daten bereit, während in Deutschland das Vertrauen in staatliche und gesellschaftliche Institutionen eher sinkt. Dass das Vertrauen bleibt, ist erklärtes Ziel der dänischen Regierung, erklärt Merete Elisabeth Røder, Leiterin des Sekretariats im Bürgeramt von Frederiksberg. Transparenz ist hierfür wesentlich und bedeutet praktisch, dass die BürgerInnen einen Einblick in Verwaltungsverfahren, Beschlussgrundlagen und natürlich ihre Daten erhalten. Sie können ganz konkret nachverfolgen, wer wann und warum auf ihre Daten zugegriffen hat.
DGB/Jan Piegsa
Hinzu kommt: BürgerInnen und Beschäftigte sind während des steten Digitalisierungsprozesses immer beteiligt und eingebunden worden. Ob verpflichtende Schulungen, Kurse und Weiterbildung, das Erlernen der digitalen Selbstbedienung als Erfolgsfaktor wurde berücksichtig. Aber die Digitalisierung der öffentlichen Dienste hat natürlich trotzdem die Beschäftigtenstruktur und viele Tätigkeiten verändert. Früher arbeiteten knapp 90 MitarbeiterInnen im Bürgeramt von Frederiksberg. Heute sind es 20 bis 25 Prozent weniger. Viele Tätigkeiten sind automatisiert worden, beziehungsweise werden von BürgerInnen zu Hause oder im Amt an Computern mit Touchscreens (gegebenenfalls mit Unterstützung) eigenständig getätigt. Mehr Beschäftigte arbeiten daher heute im sogenannten Backoffice und beantworten Fragen per Mail oder Telefon. Ihr Berufsalltag hat sich massiv verändert. Sie sollen gegenüber den BürgerInnen heute mehr als Coach mit Allroundwissen auftreten, als Spezialist für ein bestimmtes Verwaltungsverfahren.
Trotz Automatisierung und Digitalisierung ist der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Sektor seit 2008 von knapp 712.000 leicht auf circa 713.600 Beschäftigte gestiegen. Allerdings hat auch der Anteil an höher qualifizierten Beschäftigten zugenommen. Auch hat sich die Altersstruktur gewandelt. Die Arbeit in der Verwaltung scheint nun für Ältere weitaus weniger attraktiv als für Jüngere. Entwicklungen, die vor dem Hintergrund der Digitalisierung der Verwaltung auch in Deutschland bedacht werden müssen.
Der Blick über den Tellerrand hilft. Dänemark ist in vielen Bereichen bei der Digitalisierung der öffentlichen Dienste Vorbild. Aber nicht alles davon ist auch in Deutschland erstrebenswert. Der hohe Grad an Privatisierung, vor allem der Daten von BürgerInnen, gehört aus Sicht des DGB sicherlich nicht dazu. Gleichzeitig können wir in anderen Bereichen lernen. Für Elke Hannack ist eines deutlich geworden: „Um die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben, brauchen wir wie in Dänemark endlich eine koordinierende Stelle mit ausreichend Personal und Kompetenzen, die Vorhaben und Aktivitäten von Bund, Ländern und Kommunen stärker und strategischer als bisher zusammenführt. Zudem kann die Digitalisierung nur funktionieren, wenn die Beschäftigten und ihre Interessenvertreter beteiligt werden. Gerade richtungsweisende Entscheidungen müssen gemeinsam getroffen und dann auch getragen werden. Nicht zuletzt müssen die Beschäftigten entsprechend qualifiziert werden. Die Digitalisierung erfordert neue, teils anders gelagerte Kompetenzen. Um auch die nötige Offenheit bei Beschäftigten zu erhalten, sind – das haben wir in Dänemark deutlich gesehen – entsprechende Weiterbildungen unerlässlich und können zudem die Angst nehmen, durch die Veränderungen auf der Strecke zu bleiben.