Deutscher Gewerkschaftsbund

16.06.2009
Mindestlohn-Interview

Neues aus dem Bus: Im Gespräch mit Ralf Brauksiepe (CDU)

Ralf Brauksiepe und Reinhard Dombre

DGB

Im fünften Interview aus dem Mindestlohnbus steht Ralf Brauksiepe, Bundestagsabgeordneter seit 1998 und zudem Vorsitzender der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Rede und Antwort. Im Gespräch mit Reinhard Dombre vom DGB betonte der CDU-Politiker: "Es entspricht unserem christlichen Menschenbild, jedem Menschen ein Einkommen zuzugestehen, von dem dieser ein Leben in Würde führen kann." Er sei jedoch Aufgabe des Staates, existenzsichernde Einkommen zu gewährleisten - nicht Aufgabe der Unternehmen. 

Wie finden Sie die Idee mit der Forderung nach 7,50 EUR auf dem Bus, in dem wir fahren?

Ralf Brauksiepe: Als Mitglied einer Gewerkschaft finde ich es richtig, dass sich der DGB für gute Arbeitsbedingungen einsetzt. Dies schließt die Forderung nach möglichst hohen Löhnen für die Beschäftigten mit ein. Der DGB-Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro kann ich mich allerdings nicht anschließen. Die Gewerkschaften vereinbaren mit den Arbeitgeberverbänden zahlreiche Verträge, in denen die Löhne zwischen Branchen und Regionen differenzieren. Dies ist für mich ein Beleg dafür, dass eine einheitliche gesetzliche Regelung der Situation in unserem Land nicht gerecht wird. Auch deshalb entspricht ein gesetzlicher Mindestlohn nicht meinem Verständnis von Tarifautonomie.

Was sind die Gründe für die enorme Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland, der mittlerweile 22 % aller Beschäftigungsverhältnisse umfasst?

Ralf Brauksiepe: Eine wesentliche Ursache dafür liegt in den Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre. Es war und ist unser Ziel, auch geringer Qualifizierten die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Auch diejenigen, denen aufgrund ihrer geringen Qualifikation für die Unternehmen nur ein geringer Lohn gezahlt werden kann, müssen Anreize haben, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Die Umsetzung des die Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre prägenden Leitmotivs „Fördern und Fordern“ findet ihren Ausdruck in zahlreichen neuen Stellen, die zum Teil eben auch nicht so hoch entlohnt werden.
Vor diesem Hintergrund möchte ich die Aussagekraft der in der Frage genannten Größe des Niedriglohnsektors relativieren. Niedriglohn heißt nach gängiger internationaler Statistik zwei Drittel vom Durchschnittslohn. In Deutschland sind dies etwa 9,60 Euro. Wenn nun also ein Langzeitarbeitsloser in Deutschland auch dank unserer Arbeitsmarktreformen eine Stelle für 9,60 Euro pro Stunde antritt, so ist dies für mich in erster Linie Ausdruck sozialen Fortschritts. Wenngleich auch aus meiner Sicht in Deutschland z.T. zu niedrige Löhne gezahlt werden, bitte ich an dieser Stelle doch um eine etwas differenziertere Darstellung des Themas.

Welche Auffassung vertreten Sie, wie dieser Entwicklung begegnet werden kann?

Ralf Brauksiepe: Das beste Mittel gegen niedrige Löhne sind ein hoher Beschäftigungsstand sowie Bildung und Qualifizierung. Wir müssen die Menschen, die in unserem Land leben, so gut qualifizieren, dass sie bei der Erstellung von Gütern und Diensten mitwirken, die weltweit nachgefragt und für die hohe Preise gezahlt werden.

Was muss die Politik unternehmen, damit Existenz sichernde Löhne gezahlt werden?

Ralf Brauksiepe: In den vergangenen Jahren hat die unionsgeführte Bundesregierung einiges zur Stabilisierung des Lohnniveaus im unteren Bereich unternommen. Die Aufnahme von Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz sorgt dafür, dass die Lohndrift gestoppt wurde. Grundvoraussetzung für die Aufnahme in das Entsendegesetz war für uns jedoch, dass die Branchen selbst diesen Wunsch hatten und dass gültige Tarifverträge vorlagen. Ich weiß, dass die meisten DGB-Gewerkschaften einen anderen Weg zur Erzielung Existenz sichernder Löhne favorisieren. Ich bin aber überzeugt, dass der Weg, den wir in der Großen Koalition eingeschlagen haben, der Erfolgversprechendere ist.

Welche Position vertritt die CDU im Hinblick auf die Bundestagswahl 2009 bzgl. Existenz sichernder Mindestlöhne?

Ralf Brauksiepe: Wir als CDU sind der Ansicht, dass die Lohnfindung im Wesentlichen den Tarifvertragsparteien obliegen sollte. In Zeiten einer abnehmenden Tarifbindung sehen wir es daher als Aufgabe der Politik an, die Tarifvertragsparteien zu stärken, aber nicht zu ersetzen. Sache des Staates ist im Gegensatz dazu die Sicherung Existenz sichernder Einkommen. Es entspricht unserem christlichen Menschenbild, jedem Menschen ein Einkommen zuzugestehen, von dem dieser ein Leben in Würde führen kann. Dieses Mindesteinkommenskonzept sieht dementsprechend vor, dass der Staat jene Menschen finanziell unterstützt, deren Erwerbseinkommen nicht ausreichen, sich selbst oder eine Familie zu ernähren. Der Staat kann die Unternehmen nur bedingt zwingen, einen bestimmten Lohn zahlen zu müssen. Er kann aber die Menschen unterstützen, die trotz Erwerbstätigkeit bedürftig bleiben.

Verstoßen Niedriglöhne gegen die Garantie des Grundgesetzes, die Würde des Menschen sei unantastbar? Ist die soziale Marktwirtschaft mit Niedriglöhnen vereinbar?

Ralf Brauksiepe: Nochmals: Niedriglohn heißt nach gängiger internationaler Statistik zwei Drittel vom Durchschnittslohn. In Deutschland sind dies etwa 9,60 Euro. Es gibt zahlreiche, auch von DGB-Gewerkschaften ausgehandelte Tarifverträge, die einen deutlich niedrigeren Lohn vorsehen. Angesichts dessen kann ich nicht erkennen, dass Löhne von 9,60 Euro die Existenz der Sozialen Marktwirtschaft in Frage stellen. Zudem glaube ich nicht, dass DGB-Gewerkschaften ihre Unterschrift unter einen Tarifvertrag setzen würden, den sie selbst als einen Verstoß gegen die Würde des Menschen ansehen.

Würde die soziale Marktwirtschaft durch flächendeckende Lohnuntergrenzen unsozial?

Ralf Brauksiepe: Die Große Koalition hat auf diese Frage eine klare Antwort gegeben. So hat sie Tarifverträge, die die Mehrheit einer Branche repräsentieren, für allgemein verbindlich erklärt und damit branchenspezifische Lohnuntergrenzen eingezogen. Die entscheidende Frage ist dabei, wer denn eine solche Lohnuntergrenze bestimmt. Sind die Tarifvertragsparteien sich einig und wollen zum Wohle der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Branche ein bestimmtes Lohnniveau festschreiben, so sieht unsere Soziale Marktwirtschaft zu Recht vor, dass der Staat an dieser Stelle Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände unterstützen kann. Unsozial sind Lohnuntergrenzen also per se nicht.

20 von 27 EU-Staaten sichern Lohnuntergrenzen über Mindestlöhne. Sind die alle schlecht beraten?

Ralf Brauksiepe: 2 EU-Mitgliedstaaten haben einen Mindestlohn unter einem, 8 Staaten unter 2 Euro. Diese Länder eignen sich insofern von vornherein nur bedingt für einen Vergleich. Darüber hinaus ist Deutschland sowohl von der Größe als auch von seiner geographischen Lage her und dem damit verbundenen großen Lohngefälle zu seinen mittel- und osteuropäischen Nachbarn nur begrenzt mit jenen anderen EU-Staaten vergleichbar, in denen höhere Mindestlohnniveaus gesetzlich verankert sind. Ich möchte das mit einem Beispiel belegen: In NRW hat mein CDA-Bundesvorsitzender und NRW-Arbeitsminister, Karl-Josef Laumann, einen Tariflohn von 7,60 Euro für Friseure für allgemein verbindlich erklärt. In Thüringen hat ver.di für die gleiche Berufsgruppe mit 3,18 Euro abgeschlossen. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Staaten, an die Thüringen grenzt, andere Lohnniveaus haben als die Nachbarn von NRW. So hat Polen einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von etwa 2,10 Euro, die Niederlande und Belgien weisen hingegen Mindestlöhne von 8,71 bzw. 8,41 Euro auf. Während also in meiner Heimat NRW ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe der Lohnuntergrenzen in Holland und Belgien u.U. weniger Probleme verursachen würde, sähe dies, wie das Beispiel zeigt, in anderen Regionen Deutschlands ganz anders aus.

Kann der deutsche Arbeitsmarkt angesichts der bevorstehenden Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU ab Mai 2011 auf verbindliche Lohnuntergrenzen verzichten?

Ralf Brauksiepe: Ich begrüße die Ausschöpfung der Option, die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit erst im Mai 2011 zu gewährleisten. Bis dahin werden die Lohnniveaus der mittel- und osteuropäischen Länder wieder ein Stück weit zu unserem aufgeschlossen haben. Unabhängig davon gehe ich aber davon aus, dass wir wirksame Instrumente zur Sicherung der Beschäftigung der in Deutschland lebenden Arbeitnehmer haben. In den vergangenen Jahren haben wir über die Aufnahme von Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz doch gerade die Voraussetzungen für Lohnuntergrenzen geschaffen, auf die sich die Tarifvertragsparteien verständigt haben und die der Staat auch für ausländische Arbeitnehmer für allgemein verbindlich erklärt hat. Ich schließe nicht aus, dass dieses Instrument gerade im Zusammenhang mit der vollen Freizügigkeit der Arbeitnehmer ab Mai 2011 noch stärker genutzt wird.

Sollte es für die Zeitarbeit auch einen Mindestlohn geben?

Ralf Brauksiepe: Entsprechend der Vereinbarung des Koalitionsausschusses sind CDU und CSU dafür, unter Wahrung der Tarifautonomie im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eine Lohnuntergrenze für die Zeitarbeit einzuziehen. Ich bedaure, dass Bundesarbeitsminister Scholz bislang noch keinen Entwurf vorgelegt hat, der den Absprachen des Koalitionsausschusses entspricht.

Berücksichtigt die Politik bei ihren Konjunkturprogrammen die tatsächlich Bedürftigen, z.B. Niedriglohnbeschäftigte?

Ralf Brauksiepe: Die Krise trifft viele Beschäftigte, deren Unternehmen unverschuldet allein aufgrund der Krise in Not geraten sind. Um diesen Menschen zu helfen, hat die Politik z.B. die Regelungen zum Kurzarbeitergeld in einer Weise verändert, die dessen Inanspruchnahme wesentlich attraktiver macht. Ich gehe fest davon aus, dass unter den Begünstigten Arbeitnehmer mit hohen und auch niedrigen Löhnen sind.

Es werden Rettungsschirme für die Wirtschaft gespannt. Sind Lohnuntergrenzen nicht auch Rettungsschirme für die Betroffenen?

Ralf Brauksiepe: Anständige Arbeit muss auch anständig bezahlt werden. Mit unserer Politik der Festlegung tariflicher Lohnuntergrenzen haben wir zur Umsetzung dieses Zieles beigetragen. Der Vergleich mit den Rettungsschirmen für die Banken stellt sich nicht. Der Finanzsektor ist von systemischer Bedeutung für unsere Wirtschaft insgesamt. Hier musste der Staat stützend eingreifen. Hätte er nicht gehandelt, so würden wir heute ein Einbrechen der wirtschaftlichen Aktivität und damit verbunden einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in unserem Land in einem Ausmaß erleben, die über die tatsächlichen Entwicklungen erheblich hinausgehen würden.

Wir danken Ralf Brauksiepe für das Interview.


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