Deutscher Gewerkschaftsbund

19.10.2016
Konferenz

ver.di: Die Digitalisierung braucht einen Neustart

Gute Arbeit und Digitalisierung – wie geht das zusammen? Diesem Thema widmete sich der diesjährige ver.di-Digitalisierungskongress „Arbeit und Gesellschaft 4.0: Mitbestimmen, mitgestalten!“ mit Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Sie diskutierten unter anderem, wie die neuen Techniken Wirtschaft und Gesellschaft verändern – und wie Gewerkschaften diese Entwicklung positiv mitgestalten können.

Frau mit Laptop sitzt auf dem Boden

DGB/Kaspars Grinvalds/123rf.com

Unternehmen müssen Algorithmen offenlegen

Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske stellte in seinem Eröffnungsvortrag die Frage, ob Algorithmen – also Handlungsanweisungen, mithilfe derer Computer Entscheidungen treffen – neutral seien. Seine Antwort war klar: Algorithmen werden von Menschen erdacht, die bestimmte Interesse verfolgen. Deshalb, sagte Bsirske, müssten Unternehmen offenlegen, welche Kriterien ihren Algorithmen zugrunde liegen. Gleichzeitig forderte er eine „Erziehung zur digitalen Mündigkeit“. Kinder müssten schon in der Grundschule mit der Sprache der Digitalisierung, der neuen "lingua franca", bekannt gemacht werden.

Bsirske: Totalüberwachung führt zu Duckmäusertum

Ist der Kapitalismus digitaler Prägung ein besserer? Nein, meinte Bsirske. Die Wirtschaft zeige gefährliche Tendenzen – und müsse eingedämmt werden. "Ausbeutung und lückenlose Kontrolle in allen Lebenslagen und am Arbeitsplatz, das wollen wir nicht“, sagte er. "Totalüberwachung führt zu Anpassungszwang und Duckmäusertum, und das ist brandgefährlich." Dennoch betonte Bsirske auch die Chancen der Arbeit 4.0: Sie könne etwa die medizinische Diagnose verbessern und flexible Arbeitszeitmodelle ermöglichen. Doch "die Digitalisierung bedarf eines Relaunches", forderte der ver.di-Vorsitzende. Arbeit 4.0 brauche ein "soziales Betriebssystem" - mit Mitbestimmung der Beschäftigten und gleibhberechtigter Teilhabe. 

Beckedahl: "Noch können wir die Regeln beeinflussen"

"Wenn wir uns nicht selbst schützen, sind wir total überwacht“, sagte Markus Beckedahl, der Chefredakteur von netzpolitik.org. In seinem Vortrag zeigte er auf, mit welchen Mitteln die Digitalisierung schon in das Privatleben eindringt: So gebe es etwa schon Kaffeemaschinen, die nur mit Softwareupdates laufen und Puppen, die die Gespräche der Kinder aufzeichnen. Zudem könnten die Nachrichtendienste so gut wie unbeschränkt die Bürger überwachen – auch in Deutschland. „Wir brauchen eine Bewusstseinsschaffung für Verschlüsselung“, sagte Beckedahl. „Wir sind erst am Anfang einer digitalen Gesellschaft, und heute können wir noch die Regeln beeinflussen und bestimmen.“

Glorifizierung des "Normal-Arbeitsplatzes"?

Über die Gefahren und Chancen der Digitalisierung debattierten Expertinnen und Experten aus Praxis und Wissenschaft bei der Podiumsdiskussion zum Thema "Arbeit 4.0: Neue Freiheit oder moderne Knechtschaft?". Die Autorin und Unternehmerin Catharina Bruns betonte das Potenzial der neuen Arbeitsformen. So sei es viel einfacher geworden, sich selbstständig zu machen. Dank der Internetökonomie könne jeder seine Ideen umsetzen und zum Unternehmer werden – unabhängig davon, ob er den passenden Lebenslauf oder das richtige Studium habe. Bruns sah darin einen Vorteil, der in der öffentlichen Debatte viel zu selten auftauche. "Wir glorifizieren den Normal-Arbeitsplatz", sagte Bruns. Dabei seien viele Festangestellte mit ihrer Arbeit sehr unzufrieden. Von Plattformen wie Clickworker riet Bruns Selbstständigen allerdings wegen der schlechten Honorar-Bedingungen ab.

"Erbärmliche Arbeitsbedingungen" für Klickworker

„Denkt an die Tengelmann-Beschäftigten, die haben ganz andere Probleme als über Selbstständigkeit nachzudenken“, sagte der Jurist Peter Wedde, Professor an der Frankfurt University of Applied Sciences. Er betonte: Selbstständigkeit in der Internetwirtschaft könne nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung als Freiheit erlebt werden. Viele andere dagegen litten unter "erbärmlichen Arbeitsbedingungen". So berichtete Wedde von einer Übersetzerin, die ihre Aufträge über eine Onlineplattform bekomme und pro Stunde nur vier bis fünf Euro erhalte. "Es gibt Arbeit, die wie Sklaverei ist", sagte er – und führte etwa die Lagerarbeiter von Amazon als Beispiel an. Deshalb müsse das Arbeitsrecht ausgeweitet werden – und nicht eingeschränkt, wie es derzeit in ganz Europa passiere.


Link: ver.di: Digitalisierungskongress - Arbeit und Gesellschaft 4.0 mitgestalten


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