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Nach langjährigem Personalabbau gibt es wieder mehr neue Stellen bei der Polizei. Doch nicht wenige Bewerbungen scheitern an den Deutschtests. Gewerkschafter warnen vor einem Aufweichen der Ausbildungsstandards. Ein Beitrag von Thomas Gesterkamp.
DGB/Best Sabel/Eisenmeier
Winfried Kretschmann machte sich unbeliebt. Von allen Seiten erntete Baden-Württembergs Ministerpräsident Schelte, als er in Sachen Rechtschreibung zur Entspannung aufrief. Der frühere Lehrer hält es für kein Problem, wenn jemand das Wort Rhythmus nicht buchstabieren kann. Pädagogenverbände, Arbeitgeber, aber auch Gewerkschafter widersprechen dem grünen Politiker: Der korrekte Umgang mit der deutschen Sprache sei zentral für eine erfolgreiche berufliche Entwicklung, das entscheide mit über künftige gesellschaftliche Chancen.
„Erschreckend“ findet zum Beispiel die Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Schwächen, die sich bei den internen Tests für einen Ausbildungsplatz offenbaren. Zwischen einem Drittel und einem Sechstel der Prüflinge, die Zahlen schwanken je nach Bundesland, fallen wegen falscher Orthografie durch. Die potenziellen PolizistInnen wissen nicht, dass man „im Allgemeinen“ groß schreibt oder „Aggression“ zweimal ein „g“ und zweimal ein „s“ enthält. Und wenn Betrunkene vor einer Kneipe für Unruhe sorgen, „krakehlen“ oder „krakelen“ sie nicht, sondern sie „krakeelen“. Für den zu klärenden Sachverhalt mag das irrelevant sein, nicht jedoch für das schriftliche Protokoll, das nach der Randale anzufertigen ist.
"Schreibfehler im Protokoll sind dann nicht nur peinlich, sie können auch juristische Folgen haben."
Kleinliche Rechthaberei? Kann sich die Polizei leisten, bei der Nachwuchsförderung wählerisch zu sein? Ist es bei Demonstrationen von Rechtsextremisten oder bei einem Hochrisiko-Fußballspiel bedeutsam, dass ein Beamter „In-Kraft-Treten“ richtig schreibt? Wegen umfangreicher Dokumentationspflichten müssen immer mehr Ereignisse, und seien sie noch so banal, schriftlich erfasst werden. Auch durch digitale Netzwerke im Internet steigt der Bedarf an Legitimation für das polizeiliche Verhalten. Zudem müssen die Berichte später bei den Staatsanwaltschaften und vor Gericht bestehen. Schreibfehler im Protokoll sind dann nicht nur peinlich, sie können auch juristische Folgen haben.
Dennoch begnügen sich manche Einstellungsbehörden mit niedrigen Standards bei den Aufnahmeprüfungen. So dürfen Bewerber oder Bewerberinnen für die Landespolizei-Hochschule in Rheinland-Pfalz bei Rechtschreibübungen mit 150 Wörtern bis zu 20 Fehler machen. In jeder Klassenarbeit an einer Schule wäre das zumindest „mangelhaft“ oder gar „ungenügend“. Auch wer bei der Bundespolizei in den mittleren Dienst einsteigen will, darf sich bei den Tests relativ viele Schnitzer erlauben. Die Verantwortlichen argumentieren, sonst könne man neu geschaffene oder frei werdende Stellen gar nicht besetzen.
"Die Sprache und nicht die Schusswaffe ist das wichtigste Arbeitsmittel der künftigen Beamtinnen und Beamten."
Die Gewerkschaft der Polizei sieht diese Entwicklung kritisch. Die laschen Regelungen seien „sträflich, das verwässert unser Berufsbild“, warnt GdP-Vizechef Jörg Radek. Die Sprache und nicht die Schusswaffe sei das wichtigste Arbeitsmittel der künftigen Beamtinnen und Beamten. Radek hält es für ein gravierendes Manko, wenn in den Eignungstests die ermittelte körperliche Fitness meist besser ausfällt als die geistige.
Fehlende sprachliche Kompetenzen kann man auch nicht vollständig mit Technik ausgleichen, elektronische Korrekturmöglichkeiten in Schreibprogrammen sind bestenfalls ein Hilfsmittel. Andererseits besitzen PolizeianwärterInnen mit Rechtschreibschwäche vielleicht andere Fähigkeiten, die dringend gebraucht werden. Oft können sie zum Beispiel sehr souverän mit Computern umgehen – angesichts wachsender Cyberkriminalität ein gewichtiger Faktor.
Ein weiteres Argument zielt auf die besonderen Qualifikationen von BewerberInnen mit Zuwanderungsgeschichte. Interkulturelle Fähigkeiten seien bedeutsamer als ein perfektes Schriftdeutsch, glaubt Ernst Marx von der Polizeihochschule in Rheinland-Pfalz. Mit der in seinem Bundesland erlaubten hohen Fehlerzahl in der Sprachprüfung wolle man gezielt Bewerbungen aus migrantischen Familien fördern. Annette Jedamzick von der Bundespolizeiakademie plädiert für Nachschulungen während der laufenden Ausbildung. Der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow lehnt dagegen jedes Herunterschrauben der Auswahlkriterien ab. Nach den vielen Jahren des Personalabbaus bei der Polizei dürften „die von der Politik jetzt endlich zugesagten Neueinstellungen nicht zu Abstrichen bei den Anforderungen führen“.
Der Autor: Thomas Gesterkamp, 62, ist Journalist in Köln. Er schreibt seit mehr als 30 Jahren über den Arbeitsmarkt, Gewerkschaften und sozialpolitische Themen.