Deutscher Gewerkschaftsbund

28.10.2020

Künstliche Intelligenz für Gute Arbeit

von Oliver Suchy (DGB)

Künstliche Intelligenz wird unsere Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig verändern. Um klare Regeln für die Arbeit der Zukunft zu schaffen, müssen die Beschäftigten bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz in den Betrieben eingebunden werden. Die Europäische Kommission hat dieses Jahr ein Weißbuch zu diesen Fragen veröffentlicht.

 

Mann im Anzug tippt auf visualisierte Datenströme

DGB/olegdudko/123rf.com

KI: „Unvermeidliche Kompromisse“

„We tend to overestimate the effect of a technology in the short run and underestimate the effect in the long run“. Ein prägender Satz des amerikanischen Zukunftsforschers Roy Charles Amara aus dem Jahr 2006, der seitdem als „Amara’s Law“ gilt und die Diskussion über Künstliche Intelligenz (KI) gleichsam ins Bild setzt. So gibt es eine Reihe an Studien, die von enormen kurzfristigen Potenzialen durch KI schwärmen. Gleichwohl haben nur fünf Prozent der Unternehmen in Deutschland KI-Systeme im operativen Einsatz. Zumeist geht es dabei um die Optimierung von Maschinen oder Prozessen. Doch KI hat in der Tat auch „disruptive“ Potenziale, die grundlegende Veränderungen mit sich bringen. Es geht um eine neue Form datenbasierter Personalisierung, das sogenannte ‚Customizing‘: Auf der Basis von Datenanalyse, Plattformeffekten und KI entstehen neuen Kundenbeziehungen, bei denen „der Mensch“ tatsächlich im „Mittelpunkt“ steht – aber derart, dass Kund*innen vernetzt und gleichsam „eingekapselt“ werden, um ihr zukünftiges Verhalten immer treffender vorherzusagen, zu beeinflussen und so die Wertschöpfung zu verändern.

Sinnbildlich für diese Einkapselung sind KI-gesteuerte mobile Apps, gefolgt von sprachgesteuerten Assistent*innen auf dem Handy oder im Smart Home. Die Dominanz aus den USA und China in der digitalen Wertschöpfung gründet sich zwar auch auf KI-Systeme, jedoch noch weit mehr auf Netzwerk- und Lock-In-Effekte sowie auf eine infrastrukturelle Marktmacht – eine ganz andere Ebene, die im Rahmen des „Digital Services Act“ inzwischen auch in der Europäischen Union diskutiert wird. Es geht also im globalen Wettbewerb nicht um KI allein, sondern um die Kombination moderner Machtinstrumente, um die Verbindung von industrieller Wertschöpfung und Dienstleistungen sowie nicht zuletzt um innovative Prozesse und Geschäftsmodelle.

KI wird Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft – langfristig betrachtet – maßgeblich und nachhaltig verändern. Hier liegen aus Sicht der Gewerkschaften auch neue Chancen. Im Kern geht es um die Frage, wie Zielkonflikte gelöst werden können. Ein Momentum hierzu bietet das aktuelle Zeitfenster. So spricht selbst Google in seinem Kommentar zum KI-Weißbuch der EU Kommission (Mai 2020) von „unvermeidlichen Kompromissen“ – genau dies wird die Herausforderung sein.

Mitbestimmung: gemeinsam die Zukunft bauen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat dazu im Januar 2019 einen Vorschlag entwickelt, der sich auf das Prinzip „Gute Arbeit by design“ gründet. Dazu hat der DGB im März 2020 konkrete Leitlinien ausgearbeitet. Das Ziel ist eine vorausschauende Arbeits- und Technikgestaltung, die Mitbestimmung und Beteiligung in ihre Verfahren aufnimmt. Denn auch wenn es rechtliche Leitplanken wie das Betriebsverfassungsgesetz, die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) oder den Arbeitsschutz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt, so braucht es bessere Verfahren, um die „unvermeidlichen Kompromisse“ zu erreichen.

Das Konzept „Gute Arbeit by design“ fußt auf sechs Prozessschritten, bei denen die Beteiligung und Mitbestimmung durch die Beschäftigten von Anfang an verbindlich ist, um eine vertrauensvolle Nutzung von KI zu erreichen. Im ersten Schritt sollten kollektive Vereinbarungen über die betrieblichen Ziele für die KI-Anwendung getroffen werden. Danach sind die Funktionalitätsanforderungen an die KI und das dazugehörige Arbeitssystem zu klären. Dabei sollten Kritikalitätsstufen definiert werden, zum Beispiel ein Ampelsystem, nach dem die Anwendungen eingeordnet und bewertet werden, um Risiken auszuschließen und die Folgen für die Arbeitsgestaltung abzuschätzen. Im dritten Schritt sollten Regeln und Grenzen der Datenverarbeitung vereinbart werden. Entscheidend ist aber, dass dazu eine frühzeitige, transparente, kollektive Nutzungsvereinbarung als Grundlage zur Einwilligung (nach DSGVO) abgeschlossen wird. Von Vorteil ist eine zusätzliche Vereinbarung zum Ausschluss arbeitsrechtlicher Konsequenzen für Beschäftigte, die sich aus einer digitalen Überwachung ergeben könnten. Auf dieser Grundlage folgt die betriebliche Folgenabschätzung, um Beschäftigung zu sichern, zu erkennen, wie sich Arbeitsprofile ändern, um Qualifizierungsbedarfe zu erheben und nicht zuletzt mögliche Belastungsveränderungen zu antizipieren.

Dazu sollten in einem weiteren Schritt Regeln zur Verantwortung in der Mensch-Maschine-Interaktion getroffen werden. Da unterschiedliche Stufen der algorithmischen Entscheidungsfindung bzw. -unterstützung möglich sind, muss geklärt werden, ob und in welcher Weise Entscheidungsvorschläge der KI bindende Wirkung für Beschäftigte haben und welche Haftungsfragen sich daraus ergeben können. Das Letztentscheidungsrecht muss immer beim Menschen liegen. Dies sollte insbesondere für alle personalpolitischen Maßnahmen gelten. Im letzten Schritt sollten beteiligungsorientierte Tests und Feedbacks eingeführt werden, um den Einsatz zielorientiert anpassen zu können. Da es sich um „lernende“ Systeme handelt, sollten auch „lernende“ Vereinbarungen getroffen werden, die im Rahmen einer stetigen Überprüfung angepasst werden können. Um diese Prozesse durchzusetzen, ist allerdings die Modernisierung des Rechtsrahmens, allen voran ein Update für die Mitbestimmung, nötig.

Transparenz und Risiken

Dem Prozess vorgeschaltet sein müssen Transparenzanforderungen an die Anbieter von KI-Anwendungen. Da es nicht „die“ eine KI gibt, sondern jeder Anwendungsfall betrachtet werden muss, ist ein an bestehende Risiken angepasster Ansatz sinnvoll, wie es die Datenethikkommission 2019 mit der „Kritikalitätspyramide“ vorgeschlagen hat. Danach sollen KI-Anwendungen nach Risiko- und Gefahrenmomenten eingestuft werden. Voraussetzung für diese Einstufung ist eine Transparenzpflicht, die im Prinzip für alle KI-Systeme gelten sollte, um das Risikopotenzial überhaupt einschätzen zu können. Auch die Europäische Kommission hat mit ihrem Weißbuch zu KI von 2020 einen ähnlichen Ansatz gewählt und schlägt vor, KI-Anwendungen grundsätzlich als hochriskant einzustufen, wenn sie sich „auf die Rechte von Arbeitnehmern auswirken“. Für die betrieblichen Gestaltungsprozesse wäre diese Einstufung hilfreich, allerdings nur in Verbindung mit der Transparenzpflicht. Es werden also Offenheit und eine Art „Beipackzettel“ für die KI benötigt, um die betriebliche Folgenabschätzung und Umsetzung im Sinne Guter Arbeit zu ermöglichen.


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