Darf sich der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) noch politisch äußern? Weil diese Frage sogar vor dem Bundesverwaltungsgericht gelandet ist, novelliert Bundeswirtschaftsminister Altmaier aktuell das Industrie- und Handelskammergesetz (IHKG). Den eingetragenen Verein mit freiwilliger Mitgliedschaft will er in eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft für die Kammern machen. Altmaiers Ziel ist, dass sich der DIHK weiterhin allgemeinpolitisch äußern kann und nicht weiter zerfällt, weil die Kammern nach und nach austreten. Die Gewerkschaften kritisieren das Gesetzesvorhaben: Arbeitnehmerinteressen bleiben unberücksichtigt. Dazu stellen wir Stefan Körzell, DGB-Bundesvorstandsmitglied, drei Fragen.
Colourbox.de
In der Industrie- und Handelskammer sind Unternehmen mit sehr unterschiedlichen Interessen organisiert. Sie können sich das nicht aussuchen, denn sie sind Pflichtmitglieder. Das gilt für internationale Industrieunternehmen genauso wie für den Bio-Supermarkt von nebenan oder Sozialunternehmen. Weil die Unternehmen so unterschiedlich sind, sind Interessenkonflikte vorprogrammiert. Ein Beispiel: Ein Industrieunternehmen sieht beispielsweise das Lieferkettengesetz kritisch, während es, aus Sicht der Bio-Supermärkten, ruhig weitergehend sein kann. Das Gesamtinteresse ist nicht eine zugespitzte Mehrheitsposition, sondern die Pluralität aller in der IHK gebündelten Interessen.
DGB/Simone M. Neumann
Der DIHK soll nach dem Willen des Wirtschaftsministeriums in Zukunft das Gesamtinteresse ermitteln und nach außen vertreten. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Dafür muss er laut dem Gesetzentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium nicht einmal zwingend Abstimmungen in den regionalen Kammern durchführen oder eine Vollversammlung der Bundeskammer einberufen, in der alle Industrie- und Handelskammern vertreten sind. Nein, es kann reichen, wenn das 32-köpfige Präsidium über das Gesamtinteresse beschließt. Das ist undemokratisch, weil es die Ermittlung des Gesamtinteresses von unten erschwert. Der Prozess wird auch durch die neu geschaffenen und damit gestärkten Organe, der regionalen Industrie- und Handelskammern weiter verkompliziert. Denn der Gesetzentwurf regelt nicht, wie die einzelnen Organe zueinander stehen und wie zur Bundeskammer. Das ist handwerklich alles ziemlich schlecht gemacht.
Das ist unser zentraler Kritikpunkt: Die Arbeitnehmer und ihre Interessen kommen dabei gar nicht vor. Wenn das Gesetz so kommt wie von Altmaier vorgeschlagen, würde das die Vormacht der Arbeitgeber im System der demokratischen Interessenvertretung zementieren und sogar weiter stärken. Die Unternehmerinteressen werden als quasi objektive Positionen über den DIHK eingebracht, während die Arbeitnehmer nicht einmal ein Stimmrecht in der Vollversammlung der Kammern erhalten. Auch das in der Vollversammlung repräsentierte Gesamtinteresse ist also ein reines Unternehmerinteresse. Die Interessen der Arbeitnehmer können dann nur noch von den Gewerkschaften in die Debatte eingebracht werden. Das ist besonders problematisch, wenn sich der DIHK dann in Zukunft auch offiziell beispielsweise zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik äußern darf, ohne Arbeitnehmerinteressen berücksichtigen zu müssen.