Deutscher Gewerkschaftsbund

18.12.2020

Sanierungs- und Insolvenzrecht: Stärkere Beteiligung von Arbeitnehmervertretungen erreicht

Der Bundestag hat ein Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts beschlossen. Auch der Bundesrat hat dem Gesetz inzwischen zugestimmt. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften konnten sich im Vorfeld erfolgreich mit ihrer Forderung nach stärkerer Beteiligung von Arbeitnehmervertretungen in Teilen durchsetzen.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften waren mit ihrer Forderung nach hinreichendem Schutz von ArbeitnehmerInnen sowie der Beteiligung ihrer Vertretungen zur Novelle des Sanierungs- und Insolvenzrechts erfolgreich. „Dies ist ein guter Tag für Beschäftigte in den Betrieben, um durch Einflussnahme ihrer VertreterIinnen in Restrukturierungs- und Sanierungsverfahren insolvenzbedrohte Arbeitsplätze retten zu können“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel am Donnerstagabend in Berlin.

Bundestag

DGB/Simone M. Neumann

Am 17.12.2020 hat der Bundestag das umfangreiche und in Fachkreisen lange erwartete Gesetzespaket zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) beschlossen. Mit seinem „Stammgesetz“, dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), wird auch mit Blick auf die Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie ein insolvenzabwendendes Restrukturierungsverfahren geschaffen, das Auswirkungen auf den Erhalt von Arbeitsplätzen hat. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften hatten im Vorfeld gerügt, dass die dringend gebotene verfahrensspezifische Arbeitnehmerbeteiligung darin zu kurz kommt. Der Appell der Gewerkschaften war in Teilen erfolgreich:

Mit einem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen aus CDU/CSU und SPD vom 15.12.2020 wurde quasi „in letzter Sekunde“ eine ergänzte Arbeitnehmerbeteiligung für das Restrukturierungsverfahren des neuen „vorinsolvenzlichen“ Sanierungsrechts geschaffen: In Verfahren, die einer Eigenverwaltung gleichkommen, kann das Gericht einen Gläubigerbeirat einsetzen, dem ArbeitnehmervertreterInnen angehören. Danach können - nach einer in dem Gesetzespaket enthaltenen gesetzlichen Klarstellung in der Insolvenzordnung (InsO) z.B. auch Beauftragte von Gewerkschaften in den vorläufigen Gläubigerausschüssen sein. Das Gesetzespaket wird - mit kleineren Ausnahmen – bereits am 1.1.2021 in Kraft treten.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften bewerten das im Rahmen der Reform des Sanierungs- und Insolvenzrecht zum Schutz von ArbeitnehmerInnen und ihren Vertretungen erreichte Ergebnis im Großen und Ganzen als positiv. „Aufgrund unserer gewerkschaftlichen Initiativen und Interventionen gegenüber den Koalitionsfraktionen haben wir gegen großen Widerstand der beteiligten Interessengruppen einen Gläubigerbeirat mit ArbeitnehmervertreterIn als Regelung im StaRUG erhalten. Das ist wichtig und ein Schritt in die richtige Richtung“. Hier gibt es allerdings Einschränkungen: es handelt sich nur um eine Ermessensentscheidung in Verfahren, die die Gesamtheit der Gläubiger betreffen, also einer Eigenverwaltung gleichkommen. Darüber hinaus bleiben im Restrukturierungsverfahren Arbeitnehmerrechte und das Arbeitsrecht unbeeinträchtigt. Zur Betrieblichen Altersversorgung ist zudem durch den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen klargestellt worden, dass auch Anwartschaften unangetastet bleiben.

Zur Bewertung ausgewählter Regelungen der Reform im Einzelnen

Bereits in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG-E) vom 2.10.2020, als auch in seiner Stellungnahme vom 4.11.2020, zum nachgefolgten Kabinettsbeschluss der Bundesregierung (Regierungsentwurf zum SanInsFoG-E) hatten der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften deutlich gemacht, dass eine verfahrensrechtliche Beteiligung von ArbeitnehmervertreterInnen in einem vorläufigen Gläubigerausschuss in Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahren unerlässlich ist. Denn diese Verfahren ähneln denen einer (vorläufigen) Eigenverwaltung bzw. einem Schutzschirmverfahren. Dort ist ein – vorläufiger - Gläubigerausschuss zur Kontrolle der Eigenverwaltung und Überwachung der Sanierung unter Beteiligung von VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen gesetzlich geregelt. Die Gewerkschaften haben in den Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass das mit Inkrafttreten des SanInsFoG im StaRUG vorgesehene Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahren in der Praxis in großem Umfang an die Stelle der Verfahrensform einer Eigenverwaltung treten werde.

Wenn in einem weitgehend funktionsgleichen Verfahren die Einfluss- und Kommunikationsmöglichkeiten einer Arbeitnehmervertretung in vorläufigen Gläubigerausschüssen jedoch fehlten, stelle das einen abzulehnenden Rückschritt gegenüber den entsprechenden Regelungen in der Insolvenzordnung dar. Hier wie dort würde ein solches Gremium außerdem dazu dienen, durch eine vorstrukturierende Beteiligung der Betroffenen die Sanierung und den Erhalt von Arbeitsplätzen zu erleichtern. Die Arbeitnehmervertreter im Gläubigerausschuss, in der Praxis oft Gewerkschaftsvertreter, würden von vornherein bei den Gesprächen über die Zukunft des Unternehmens beteiligt und nicht erst im Nachhinein mit vollendeten Tatsachen konfrontiert. Das würde gewiss auch der Akzeptanz des neuen Restrukturierungsverfahrens dienlich sein.

Mit der Annahme der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 15.12.2020 hat der Bundestag einer Regelung (§ 93 StaRUG) zugestimmt, die diese Forderung der Gewerkschaften nach einem Gläubigerbeirat im Restrukturierungsverfahren aufgreift, allerdings unter eingeschränkten Voraussetzungen, d.h. mit Ausnahmen: Zum einen handelt es sich nur um einen „Kann“-Ausschuss, d.h. das Gericht kann, muss im Restrukturierungsverfahren aber keinen Gläubigerbeirat einsetzen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Eine zweite Hürde besteht zum anderen darin, dass alle - außer den privilegierten (also ausgenommenen) - Gläubigern beteiligt sein müssen und eine Sache insoweit „gesamtverfahrensartige Züge“ aufweist. Allerdings wurde die Beteiligung eines/einer ArbeitnehmervertreterIn durch den Verweis auf § 21 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1a InsO (§ 93 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) ausreichend abgesichert. Durch § 93 Abs. 1 Satz 3 StaRUG, wonach in dem Beirat auch nicht planbetroffene Gläubiger vertreten sein können, ist darüber hinaus klargestellt worden, dass auch GewerkschaftsvertreterInnen als ArbeitnehmervertreterInnen benannt werden können.

Ferner bleibt es erfreulicherweise insbesondere dabei, dass Gewerkschaftsbeauftragte durch eine in dieser Reform vorgesehenen Änderung der Insolvenzordnung (Art. 5) bereits in vorläufige Gläubigerausschüsse bestellt werden können (Art. 5 Nr. 12 SanInsFoG-E). Auch ansonsten wurde der durch den Einsatz des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften in diesem Gesetzgebungsverfahren erzielte Erfolg nicht an anderer Stelle durch Verschlechterungen der von den Gewerkschaften begrüßten Forderungen „verwässert“ oder „eingetauscht“: So bleibt es ebenso dabei, dass jegliche Arbeitnehmerforderungen von der Gestaltung durch Restrukturierungspläne (§ 4 StaRUG) ausgenommen sind. Konkretisiert und verbessert wurde durch den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen in diesem Zusammenhang gar noch, dass nicht nur Forderungen, sondern (alle) „Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung unberührt“ bleiben (§ 4 Nr. 1 StaRUG). Damit bleiben auch Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung unangetastet. Schließlich bleiben Arbeitnehmerforderungen auch weiterhin von möglichen Vollstreckungs- und Verwertungssperren ausgenommen (§ 49 Abs. 2 StaRUG).

Bedauerlich ist aber, dass § 92 StaRUG („Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz“) nicht dahingehend geändert wurde, die Informations- und Konsultationsrechte für ArbeitnehmervertreterInnen, wie sie unter Verweis auf die RL 2002/14/EG (Rahmenrichtlinie zur Information und Konsultation der ArbeitnehmervertreterInnen in den EU-Mitgliedstaaten) in Art. 13 der mit dieser Sanierungs- und Insolvenzrechtsreform umzusetzenden RL (EU) 2019/1038 für das Restrukturierungsverfahren und den Restrukturierungsplan enthalten sind, entsprechend auf dieses Verfahren anzuwenden und gegenüber der geltenden Rechtslage auszuweiten. Denn die Sicherstellung dieser Rechte von Arbeitnehmervertretungen, wie den Betriebsräten in Deutschland, etwa über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens, das Restrukturierungsverfahren sowie über den Restrukturierungsplan informiert und konsultiert zu werden, wird den Mitgliedstaaten durch Art. 13 der dem StaRUG zugrunde liegenden „vorinsolvenzlichen Richtlinie“ vorgegeben. Sie kommen im Betriebsverfassungsgesetz mangels Umsetzung der RL 2002/14/EG teilweise jedoch nicht zum Zuge (vgl. Beispiel hier). Mit anderen Worten: Solange die RL 2002/14/EG mit ihren Rahmenvorschriften zur Information und Konsultation in Deutschland nicht vollständig und inhaltlich umfassend – insbesondere für die Betriebsverfassung - umgesetzt ist, bleibt auch die Anordnung in § 92 StaRUG entsprechend defizitär, dass die „…Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz … von diesem Gesetz unberührt (bleiben)“. Damit erweist sich das StaRUG in diesem Punkt einer fehlenden Umsetzung des Art. 13 der RL (EU) 2019/1038 gar als unionsrechtswidrig.

Schließlich fehlen weiter verfahrensspezifische Rechte für Betriebsräte, wie solche in §§ 156 Abs. 2, 218 Abs. 3, 232, 235 InsO geregelt sind.

In diesen vorgenannten Punkten sind trotz aller begrüßenswerten Regelungen der Sanierungs- und Insolvenzrechtsreform Defizite festzustellen, für deren Beseitigung der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften auch zukünftig eintreten werden.


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