Über den vermeintlichen Fachkräftemangel gäbe es nichts zu sagen, würde mehr getan für die Beschäftigung von jungen Menschen, Frauen, MigrantInnen und Älteren.
Von Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Es ist gut, dass die Bundesregierung mit den Sozialpartnern über das Thema Fachkräftebedarf und die Zukunft unseres Wohlstandes redet. Aber Reden ist Silber, Handeln ist Gold: Die Bundesregierung muss die Herausforderungen endlich anpacken. Leider hat sie es im zurückliegenden Jahr nicht geschafft, die inländischen Fachkräftepotenziale zu heben. Die Gewerkschaften sehen zwar einen Fachkräftebedarf in einigen Branchen, wie in der Pflege-, Gesundheits- oder in der IT-Branche, aber keinen allgemeinen Fachkräftemangel.
Im Juni 2012 fand der Transformationskongressin Berlin statt. Transformation, das heißt Wandel: Der Kongress sollte eine grundsätzlicheDebatte über das westliche Fortschritts undLebensmodell anstoßen.
Das Ziel ist eine neue, gerechte Wirtschaftsordnung,die gute Arbeit sichert, die natürlichen Lebensgrundlagen erhält und die Gesellschaft trägt. Die Organisatoren setzen sich für eine Neuordnung der Wirtschaft, die Stärkung der Demokratie und ökologische Nachhaltigkeit ein. Mehrere Panels des Zukunftstreffens fanden mit Beteiligung der DGB-Jugend statt.
Der DGB, der Deutsche Naturschutzringund Einrichtungen der Evangelischen Kirchewaren erstmals gemeinsam Veranstalter.
Das Jammern von Arbeitgebern und Regierung über einen »Fachkräftemangel« ist unglaubwürdig, solange immer noch zu wenig getan wird für die Beschäftigung und Weiterbildung von jungen Menschen, Frauen, MigrantInnen und älteren Beschäftigten. Statt mit einer guten Kinderbetreuung mehr Frauen in Arbeit zu bringen, wird mit dem Betreuungsgeld ein rückwärtsgewandtes Signal gesendet. Die Milliarden für das Betreuungsgeld sind in den Wind geschossen, statt sie in den Kita-Ausbau zu stecken. Noch immer beklagen wir 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss, die auf ihre zweite Chance warten. Bei der Beschäftigung von Älteren ist so gut wie nichts passiert, und bei Langzeitarbeitslosen werden sogar Programme gestrichen. Mit diesen Maßnahmen verschwendet die Bundesregierung leichtsinnig die bestehenden Potenziale.
Wir brauchen gut bezahlte Fachleute, um unseren Wohlstand auch in Zukunft zu sichern. Gut ausgebildete und engagierte ArbeitnehmerInnen sind und bleiben unser wichtigster Standortvorteil. Denn: Unsere Stärke von morgen sind die Errungenschaften von heute. Unser duales Ausbildungssystem und die betriebliche Mitbestimmung sind zwei wesentliche Erfolgsfaktoren für den Standort Deutschland. Mit niedrigen Löhnen und einem Abbau von Arbeitnehmerrechten werden wir die Herausforderungen der Zukunft mit Sicherheit nicht bewältigen. Für Innovationen braucht es sichere Rahmenbedingungen und die Wertschätzung der Arbeit.
Wesentlich für den zukünftigen Erfolg der deutschen Wirtschaft wird eine konsequente Umsetzung der Energiewende sein. Leider hat die Bundesregierung auch auf diesem Weg wertvolle Zeit verloren. Zu einer gelungenen Energiewende in Deutschland gehören gute Arbeit, innovative Produkte und qualitatives Wachstum. Damit können wir zur grünen Industrienation der Welt werden und eine neue Quelle für Wachstum und Wohlstand erschließen.
Erschienen in soli aktuell Juli 2012