Deutscher Gewerkschaftsbund

28.09.2020

Europäisches Plädoyer für eine starke Mitbestimmung

von Isabelle Schömann (EGB) und Rainald Thannisch (DGB)

Es bewegt sich etwas in der Europäischen Union: Nach jahrzehntelanger Dominanz des kurzfristigen Denkens beginnt die EU-Kommission derzeit eine Diskussion über nachhaltige Unternehmensführung (Sustainable Corporate Governance). Justizkommissar Didier Reynders will europäische Unternehmen künftig durch einen EU-Rechtsrahmen stärker an Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele binden.

Gruppe junger Menschen stehen lachend im Kreis und legen ihre Hände aufeinander

DGB/rawpixel/123rf.com

In gleicher Weise erklärte der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil anlässlich der diesjährigen EGB-Jahreskonferenz der Europäischen Betriebsräte die Mitbestimmung zu einer der wichtigsten Komponenten bei der Entwicklung und Gestaltung von nachhaltiger und sozial verträglicher Transformation, insbesondere in den aktuellen Umstrukturierungsprozessen der Unternehmen. Er rief außerdem zu mehr Demokratie am Arbeitsplatz in der EU auf.

Der DGB begrüßt diese Entwicklung. Und plädiert nachdrücklich dafür, in diesem Kontext auch die Mitbestimmung der Arbeitnehmer*innen zu stärken. Denn diese ist eine der Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts. Die Bekämpfung des Klimawandels, die Herstellung einer sozial gerechten Transformation und auch die Beachtung der Menschenrechte in Wertschöpfungs- und Lieferketten werden nur mit und nicht gegen die Beschäftigten gelingen.

Europäische Betriebsräte (EBR) organisieren tagtäglich europäische Solidarität und sorgen mit dafür, dass es nicht allein die Interessen der Arbeitgeber sind, die unsere Arbeits- und Lebenswelt gestalten. Auf der Agenda der Interessenvertretungen steht der faire Ausgleich zwischen den Interessen der Beschäftigten und denen der Arbeitgeber, zwischen verschiedenen Standorten in multinationalen Konzernen – und schließlich natürlich auch der Ausgleich von verschiedenen Interessen in den globalisierten Lieferketten. Um diese Agenda in Zukunft noch besser verfolgen zu können, sollten die Durchsetzungsfähigkeiten der EBR nachhaltig gestärkt werden. Ein Unterlassungsanspruch bei Missachtung der EBR wäre ein guter Anfang.

Mitbestimmung – Schlüsselfrage für nachhaltige Unternehmenspolitik

Arbeitnehmervertreter*innen im mitbestimmten Aufsichtsrat wiederum engagieren sich im obersten Unternehmensorgan für eine nachhaltige Unternehmenspolitik. Und das mit Erfolg: Eine aktuelle Studie zeigt, dass sich Unternehmen, bei denen Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat sitzen, seit der Finanz- und Wirtschaftskrise besser entwickelt haben als Firmen ohne Mitbestimmung. Das gilt für die operative Rendite, die Bewertung am Kapitalmarkt, die Beschäftigungsentwicklung sowie für die Investitionen in Anlagen und Forschung. Ähnliche Effekte in der aktuellen Corona-Krise sind wahrscheinlich.

Auf Basis des für die Hans-Böckler-Stiftung erarbeiteten Mitbestimmungsindex MB-ix können Wissenschaftler*innen zudem zeigen, dass Unternehmen mit starker Mitbestimmung mehr ausbilden, ein höheres Maß an Arbeitsplatzsicherheit bieten, mehr Frauen in den Aufsichtsrat berufen, Nachhaltigkeit häufiger in tägliche Entscheidungen integrieren, öfter den Dialog mit Stakeholdern suchen und die Vorstandsvergütung häufiger an Nachhaltigkeitsziele koppeln. 

Schlupflöcher führen zur Erosion der Mitbestimmung

Die Mitbestimmung wird ihre positive Wirkung jedoch nur dann entfalten können, wenn ihrer drohenden Erosion entschlossen entgegengetreten wird. Denn Schlupflöcher im europäischen und deutschen Recht führen dazu, dass sich alleine in Deutschland 194 Kapitalgesellschaften der paritätischen Unternehmensmitbestimmung entzogen haben. Zudem hören wir, dass Vorstände die aktuelle Corona-Krise dazu ausnutzen, um die Rechte der Europäischen Betriebsräte zu umgehen. Wir plädieren dagegen nachdrücklich dafür, die aktuelle Debatte um nachhaltige Unternehmensführung endlich mit der Diskussion zur Sicherung und Stärkung der Mitbestimmung zu verknüpfen.

Dafür ist es notwendig, die Mitbestimmung in Europa durch eine Europäische Rahmenrichtlinie zu stärken und so ihre drohende Erosion zu stoppen. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) wie auch der DGB haben erst jüngst Vorschläge zu einer Rahmen-Richtlinie zur Unterrichtung, Anhörung und Unternehmensmitbestimmung vorgelegt.

Es ist bedauerlich, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft diesen Aspekt nicht zentral in ihr Programm aufgenommen hat. Immerhin soll der informelle Rat der Arbeits- und Sozialminister am 13.10. das Thema in einer sog. Orientierungsdebatte diskutieren. DGB und EGB werden sich auch weiterhin für diese Forderungen stark machen – damit die nachhaltige Unternehmensführung schon bald eine Rückkehr auf die europäische Agenda schafft.


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