Deutscher Gewerkschaftsbund

28.04.2020
Kleine und Mittlere Unternehmen

KMU Strategie der EU-Kommission

Kurz vor der Corona Krise hat die EU-Kommission Vorschläge für eine KMU Strategie vorgestellt. Knapp zwei Drittel aller Beschäftigten der EU arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen, Gesetzesänderungen in diesem Bereich sind daher vor allem beschäftigungspolitisch relevant. Bisher enthält das Papier jedoch vor allem Mechanismen für einen vermeintlich dringenden "Bürokratieabbau". Der DGB fordert daher eine grundsätzliche Neuausrichtung, um Nachteile für Arbeitnehmer*innen zu vermeiden, und KMU wirklich zu unterstützen.

Europa-Flagge auf Holz

DGB/Alessandro Bianco/123rf.com

Der digitale Wandel und die Anforderungen der nationalen und internationalen Klimaschutzziele führen zu weitreichenden Veränderungen in den wirtschaftlichen Strukturen und Wertschöpfungsketten. Davon sind auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) betroffen. KMU, das sind neben den viel zitierten Start-Ups auch der örtliche Pflegedienst oder die Bäckerei von nebenan, tragen wesentlich zum Wohlstand in Europa bei und sind fest in ihrer jeweiligen Region verankert. In Europa und auch in Deutschland haben kleine und mittlere Unternehmen zudem eine enorme beschäftigungspolitische Bedeutung: Rund 60 % aller Beschäftigten arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen. Welche strategischen Ansätze die EU-Kommission zur Entwicklung von KMU verfolgt, wurde mit der „KMU-Strategie für ein nachhaltiges und digitales Europa“ Anfang März, und damit zu Beginn der Corona-Pandemie, deutlich gemacht.

Kein Lohndumping unter dem Deckmantel „Bürokratieabbau“!

Das Ziel der Europäischen Kommission, KMU im ökologischen und digitalen Wandel zu unterstützen, und somit zur Verwirklichung des Europäischen Green Deals beizutragen, ist zunächst einmal als positiv zu bewerten. Die Kommission will u.a. KMU zu Vorreitern für Innovationen im „grünen Sektor“ machen und dafür bereits 2020 Innovationen in diesem Bereich mit bis zu 300 Millionen Euro fördern. Im Großen und Ganzen liegt der Fokus des Strategiepapiers jedoch in einem ganz anderen Punkt: Einem vermeintlich dringenden „Bürokratieabbau“.

Was ist damit gemeint? Das Argument dabei ist, dass kleinere Unternehmen weniger Kapazitäten hätten, um Vorschriften zu erfüllen, Gütesiegel zu erhalten oder Verwaltungsverfahren zu durchlaufen. Daher würden kleineren Unternehmen Wettbewerbsnachteile gegenüber größeren Unternehmen entstehen, weshalb KMU „entlastet“ werden müssten. In früheren Initiativen, auch auf nationaler Ebene, bedeutete Bürokratieabbau jedoch konkret: Arbeitszeiten sollen verlängert, die ordnungsgemäße Zahlung des Mindestlohns nicht dokumentiert und Umweltschutzauflagen nicht erfüllt werden. Kurzum: Es ist zu befürchten, dass Beschäftigten und Umwelt erhebliche Nachteile aufgebürdet werden sollen.

Laut Vorschlag der EU-Kommission soll ein hochrangiger KMU-Beauftragter EU-Initiativen im Vorfeld auf eine KMU-„Verträglichkeit“ überprüfen. Aber auch bestehende Vorschriften sollen durch eine neue Plattform „Fit for Future“ unter die Lupe genommen werden. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, wie z.B. bei der Abfallbeseitigung oder dem öffentlichen Nahverkehr, sollen laut Eckpunktepapier insgesamt weniger Vorgaben, wie etwa ein bestimmtes Mindestentgelt, geben. Ohne klare Mindeststandards ist jedoch einer neuen Runde im Dumpingwettbewerb Tür und Tor geöffnet.

Die Kommission will zudem durch Pilotprojekte in Grenzregionen Regulierungen vereinheitlichen. Dies darf keinesfalls dazu führen, dass Regeln zum Verbraucherschutz, zur sozialen Sicherheit oder zu den Arbeitsbedingungen auf das jeweils niedrigere Niveau angeglichen werden. Solche Versuche lehnt der DGB daher strikt ab.

Für den DGB ist klar: Arbeits- und Umweltstandards müssen verbindlich für alle Unternehmen gelten! Lohndumping, Verlagerung und Standortwettbewerb dürfen nicht die Grundlage von Geschäftsmodellen sein, schon gar nicht wenn die Allgemeinheit, wie bei der öffentlichen Beschaffung, dafür aufkommt. Um kleine und mittlere Unternehmen wirklich, und nicht nur auf dem Rücken der Beschäftigten zu entlasten, könnten dagegen Beratungsstellen eingerichtet werden, um die KMU bei Verwaltungsaufgaben zu unterstützen.

Unternehmen, Beschäftigte und Auszubildende wirklich fit machen für den digitalen Wandel

Um Unternehmen im digitalen Wandel zu unterstützen, schlägt die EU-Kommission die intensivere Nutzung von Daten, insbesondere die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) und Blockchain vor. Dabei ergeben sich jedoch zwei grundsätzliche Probleme. Erstens gehören vielen KMU die selbst generierten Daten nicht, sondern vielmehr digitalen Plattformen oder großen Technologiekonzernen. Zweitens besteht, ohne die Beteiligung von betrieblichen Mitbestimmungsgremien, insbesondere bei KI die Gefahr von Überwachung und Datenmissbrauch. Betriebs- und Personalräte müssen daher in jedem Fall mit in die Entscheidung der Nutzung von Daten mit einbezogen werden, z.B. in der Frage, wie Algorithmen verwendet werden. Werden die Beschäftigten beim Thema KI mitgenommen, erhöht das auch die Akzeptanz. Künstliche Intelligenz kann eine große Chance für bessere Arbeitsbedingungen und somit zufriedenere Mitarbeiter*innen sein.

Der Vorschlag, Kurzlehrgänge zum Aufbau von Kompetenzen im Bereich Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit und Blockchain durchzuführen, greift bei den Herausforderungen des digitalen Wandels zu kurz. Einzelne Unterrichtseinheiten können nicht die Qualität der dualen Ausbildung ersetzen, sondern allenfalls ergänzen. Digitale Kompetenzen müssen viel umfassender, sowohl in der beruflichen Ausbildung, aber auch in der Weiterbildung vermittelt werden. Vorstellbar sind aus unserer Sicht daher Zusatzqualifikationen zur Digitalisierung der Arbeit, Datenschutz und Informationssicherheit, wie sie bereits bei den Metall- und Elektroberufen bestehen. Diese Zusatzqualifikationen ergänzen einerseits die Berufsausbildung, andererseits können sie für die berufliche Weiterbildung von Beschäftigten genutzt werden. Dennoch ist es richtig, dass der Zugang zu Aus- und Weiterbildung erweitert werden muss. Der DGB fordert daher bereits ein umfassendes Recht auf Weiterbildung, Umschulung und Nachqualifizierung. Dieses Recht soll sowohl für alle Beschäftigten, unabhängig von einer akuten Betroffenheit vom Strukturwandel, als auch für Erwerbslose gelten. Die Kombination von Kurzarbeit und Qualifizierung durch ein Transformationskurzarbeitergeld ist zudem ein wichtiger Schritt, die tiefgreifenden strukturellen Veränderungen und die sich daraus ergebenen Fachkräftebedarfe adäquat aufzufangen, und gute Arbeitsplätze aufzubauen.

Deutliche Neuausrichtung der KMU-Strategie notwendig

Für den DGB steht fest, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen nicht durch die Unterbietung von Umweltstandards und Arbeitnehmer*innenrechten, sondern vielmehr durch den Wettbewerb um innovative und hochwertige Produkte, gut qualifizierte Beschäftigte und möglichst hohe soziale Standards erreicht werden kann. In diesen Punkten bedarf es daher einer deutlichen Anpassung der KMU-Strategie, und einer Neuausrichtung der zu erwartenden Gesetzesvorhaben im Bereich kleine und mittlere Unternehmen. Die Stärkung von KMU und ihren Beschäftigten kann dabei auch ein wichtiges Handlungsfeld bei der Belebung der europäischen Wirtschaft nach der Corona-Pandemie sein. Schließlich hat dies enorme Auswirkungen auf die Lebensumstände der rund 100 Millionen in KMU Beschäftigten in Europa.


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