Deutscher Gewerkschaftsbund

20.09.2019
Der Referentenentwurf des Medizinprodukte-Anpassungsgesetzes EU (MPanpG EU)

Spagat zwischen Patientenschutz, Absatzinteressen und Kompetenzstreitigkeiten

Mit dem Medizinprodukte-Anpassungsgesetz EU bringt das Bundesministerium für Gesundheit einen Referentenentwurf auf den Weg, der zur zwingend erforderlichen Umwandlung der EU-Verordnungen (EU) 2017/745 und 2017/746 in mitgliedsstaatliches Recht dient. Was zur Stärkung des Patientenschutzes vor fehlerhaften Medizinprodukten auf EU-Ebene gedacht ist, soll gleichzeitig aber auch den Marktzugang für Hersteller von Medizinprodukten sicherstellen.

Stethoskop Tabletten Pillen Kardiogramm

DGB/Alexander Korzh/123RF.com

Wiederholt mangelhafte Medizinprodukte

Nicht abreißende Berichte über fehlerhafte, minderwertige oder verunreinigte Medizinprodukte, die teilweise massive gesundheitliche Konsequenzen für Versicherte und Patienten nach sich zogen, haben in den vergangenen Jahren wiederholt ihren Weg an die mediale Öffentlichkeit gefunden. Das Bundesministerium für Gesundheit hatte in einem ersten Schritt bereits die Einrichtung eines bundesweiten Implantateregisters durch das gleichnamige Gesetz angekündigt, um einen flächendeckenden und in Echtzeit verfügbaren Überblick über Gefährdungsverteilungen durch derartige Medizinprodukte zu erhalten.

Bis 2020 Regelungen an europäische Vorgaben anpassen

Dass man erst katalogisieren muss, bevor man schützen kann, verrät bereits viel über die potentielle Reich- und Tragweite dieses Problems. Da derartige Risiken nicht an den Grenzen einzelner Staaten halt machen und aufgrund der länderübergreifend verzweigten Lieferketten und komplexen Herstellungsprozesse von Medizinprodukten zu potentiell umfassenden Bedrohungen der EU- Bürgerinnen und Bürger werden können, hatten sich in Brüssel die EU-Kommission, das EU-Parlament und der EU-Rat im Jahr 2017 auf die EU-Verordnungen 745 und 746 verständigt. Diese Verordnungen zwingen die EU-Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2020 (VO745) bzw. 2022 (VO 746), ihre mitgliedsstaatlichen medizinprodukterechtlichen Regelungen an europäische Vorgaben und Standards anzupassen.

Referentenentwurf des Medizinprodukte-Durchführungsgesetzes

Der Referentenentwurf des Medizinprodukte-Durchführungsgesetzes reagiert auf diese beiden Anforderungen und regelt gleichzeitig das Verfahren, mit dem Zuständigkeiten und Aufgaben bei der Prüfung von Herstellern und der Reaktion auf mögliche Gesundheitsgefährdungen durch Medizinprodukte verteilt werden. Somit sollen künftig die zuständigen Bundesoberbehörden Maßnahmen gegen auffällig gewordene Wirtschaftsakteure anordnen können, während die Länderbehörden für die jeweilige Marktüberwachung zuständig sind und nur noch im akuten Gefahrenfall eigenständig tätig werden dürfen – bisher liegen die Kompetenzen zum Ergreifen von Maßnahmen jedoch bei den Ländern.

Neuordnung von Zuständigkeiten stärkt nicht den Patientenschutz

Aus Sicht des DGB stärkt diese Neuordnung von Zuständigkeiten aber nicht den Patientenschutz, sondern vorrangig die Handlungskompetenzen des Bundes: bei der Bewertung eines potentiellen Gesundheitsrisikos durch Medizinprodukte und dem Ergreifen erforderlicher Maßnahmen sollte es aus gewerkschaftlicher Sicht keine Rolle spielen, welche Behörde zuerst handelt. Wichtig ist, dass die Maßnahme schnell und gezielt erfolgt. Das Erfordernis einer Feststellung von Gefahr im Verzug darf nicht als Hürde für Landesbehörden dienen, eigenständig tätig zu werden – auch bei unklarer Gefahrenlage müssen diese das Recht behalten, auf Verdacht hin gegen auffällige Wirtschaftsakteure einzuschreiten.

BMG will möglichen Versorgungsengpässen mit Medizinprodukten vorbeugen

Mit einer weiteren Regelung will das BMG offensichtlich möglichen Versorgungsengpässen mit Medizinprodukten vorbeugen: auch, wenn die erforderliche Zertifizierung der jeweiligen Produkte nicht nach den durch die EU festgelegten Kriterien und Standards durchgeführt wurde, sollen diese Produkte durch ihre Hersteller vermarktet werden dürfen. Der Referentenentwurf spricht wörtlich davon, dass „es zukünftig notwendig werden [kann], dass die zuständigen Bundesoberbehörden wesentlich häufiger als bisher Sonderzulassungen auch für Produktgruppen erteilen müssen.“ Dahinter steht einerseits die Befürchtung, dass viele EU- Mitgliedsstaaten mit den Erfordernissen einer erfolgreichen Zertifizierung nicht Schritt halten können, da hierfür unter anderem die Einrichtung sog. „Benannter Stellen“ notwendig ist, die die Zertifizierung dann übernehmen. Neben Lieferengpässen aus dem EU-Ausland drohen derartige Schwierigkeiten jedoch auch in Deutschland selbst, da zwar geeignete Institutionen wie der TÜV existieren, die Bundesregierung es jedoch jahrelang versäumt hat, den Prozess der Vorbereitung dieser Institutionen auf die Zertifizierungserfordernisse nach neuen EU-Standards angemessen zu unterstützen.

Widersprüchliche Ziele

Damit künftig also auch Medizinprodukte im Inland abgesetzt werden dürfen, deren Zertifizierung noch nicht erfolgt ist, will das BMG per Referentenentwurf nun den Blankoscheck für die Sonderzulassung von Medizinprodukten ausstellen – offiziell, um den erwähnten Versorgungsengpässen vorzubeugen, aber zweifelsohne auch, um die durch die schleppende Einrichtung der Benannten Stellen drohende Absatzkrise von Medizinprodukten auf dem heimischen Absatzmarkt zu unterbinden. Der DGB sieht in diesem Vorgehen allerdings einen ernsten Widerspruch zum eigentlichen Ziel der ursächlichen EU-Verordnung, nämlich der Stärkung des Patientenschutzes, der durch eine regelmäßige Erteilung von Sonderzulassungen eher nicht vorangebracht werden dürfte.


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