Steuerhinterziehungen, Briefkastenfirmen, Lebensmittelskandale: Whistleblower:innen decken Missstände auf und erweisen damit der Gesellschaft einen wichtigen Dienst. Am Arbeitsplatz werden sie dafür oft schikaniert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat jetzt über den Fall eines Arztes entschieden, der gekündigt wurde, weil er einen Kollegen wegen des Verdachts auf aktive Sterbehilfe angezeigt hat.
DGB/Joe Golby/123rf.com
Whistleblower:innen decken Missstände auf und erweisen damit der Gesellschaft einen wichtigen Dienst – das gilt für Steuerhinterziehungen, Offshore-Briefkastenfirmen, Lebensmittelskandale, unzuträgliche hygienische Zustände. Am Arbeitsplatz werden sie deswegen oft sanktioniert und fristlos entlassen.
Der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hatte heute einen Fall eines Arztes zu entscheiden, der gekündigt wurde, weil er den Chefarzt seines Krankenhauses direkt bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts aktiver Sterbehilfe angezeigt hatte. Der Hinweisgeber hat in der Sache verloren, weil er nach Auffassung des Gerichtshofs seinen Verdacht nicht hinreichend anhand der Patientenakte überprüft hat, bevor er zur Staatsanwaltschaft gegangen ist.
Über den Ausgang des Verfahrens und die dem Urteil zugrunde liegende Begründung kann man triftig streiten. Sie macht aber eins deutlich, nämlich wie dringend Whistleblower:innen Rechtssicherheit brauchen. Es braucht klare, gesetzlich verankerte Verfahrensregeln und klare Irrtumsmaßstäbe, damit Whistleblower einschätzen können, wann und auf welcher Grundlage sie die vermeintlichen Verstöße melden können. Die aktuelle Situation in Deutschland ist alles andere als rechtssicher.
Ein vom DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften seit Jahren gefordertes eigenständiges Whistleblower-Schutzgesetz fehlt bis heute. Der Schutz anhand der Grundsätze der Rechtsprechung ist und bleibt lückenhaft. Die EU-Richtlinie zum Schutz der Hinweisgeber*innen bei Meldung von Verstößen in ausgewählten Bereichen des Unionsrechts gibt verbindliche Vorgaben, auf den gestützt in Deutschland endlich ein kohärentes Schutzsystem für Hinweisgeber:innen aufbauen könnte.
Die Frist zur Umsetzung der EU-Richtlinie läuft Ende 2021 ab. Bislang scheitert eine vernünftige Regelung an dem Widerstand der Wirtschaft und der wirtschaftsnahen Ressorts innerhalb der Bundesregierung. Damit schwindet auch die Chance auf eine umfangreiche Schutzregelung für Hinweisgeber:innen.
Auf Grundlage der Erkenntnisse dieses Gutachtens und unter Berücksichtigung der Schutzbedarfe abhängig Beschäftigten haben der DGB und seine Mitgliedgewerkschaften in einem Eckpunktepapier Anforderungen für die Umsetzung formuliert. Das Ziel ist eine effiziente und kohärente Regelung zum Schutz von Personen, die aufgrund von Geltendmachung von Rechten Benachteiligungen erfahren.
Positionspapier: Die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23. Oktober 2019) in deutsches Recht – Anforderungen aus gewerkschaftlicher Sicht
Der DGB und seine Mitgliedgewerkschaften fordern den Gesetzgeber dazu auf, die Perspektive der Beschäftigten im Gesetzgebungsverfahren in den Mittelpunkt zu stellen und endlich einen Gesetzesentwurf auf den Weg zu bringen, der den Namen eines Schutzgesetzes verdient!“