Deutscher Gewerkschaftsbund

31.03.2017
Vorstoß zur Dienstleistungskarte

Für fairen Wettbewerb in der EU

Für grenzüberschreitende Dienstleistungen gelten in der EU die Regulierungen des Ziellandes. Jetzt will die EU-Kommission in einem neuen Anlauf Schritte in Richtung Herkunftsland-Prinzip durchsetzen. Doch das hätte den massiven Abbau von sozialer Sicherheit, Lohn-, Arbeits- und Gesundheitsstandards zur Folge. Der DGB ist klar dagegen.

Kind mit in EU-Farben bemaltem Gesicht

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Die aktuell gültige Dienstleistungsrichtlinie basiert auf dem Prinzip, dass für Zulassung, Verbraucherschutz, Beschäftigtenrechte und Qualitätssicherung die Regulierungen des Ziellandes gelten: Dienstleistungen, die auf demselben Markt angeboten werden, unterliegen prinzipiell denselben Regulierungen, die vom Zielland festgelegt werden.

Auf diese Weise gelten einheitliche Regulierungen für sämtliche Dienstleistungen, die innerhalb eines Marktes angeboten werden und unabhängig davon, aus welchem Land die Anbieter kommen. Nur so ist fairer Wettbewerb möglich.

Herkunftsprinzip erfolgreich verhindert

Der damalige Binnenmarktkommissar Bolkestein wollte ursprünglich das sogenannte Herkunftslandprinzip einführen: Demnach könnte ein Unternehmen unter dem Recht seines Herkunftslandes, auch in allen anderen EU-Ländern, Dienstleistungen anbieten. Folglich könnten Dienstleistungsunternehmen, die in ihren Heimatländern nur schwachen Regulierungen zu Mindestlohn, Arbeitsschutz oder Bildungsabschlüssen unterliegen, auch in Ländern mit anspruchsvolleren Regeln ungehindert als Wettbewerber auftreten, ohne die strengeren Vorschriften beachten zu müssen!

Nicht zuletzt durch die Kritik der Gewerkschaften wurde damals die Einführung des Herkunftslandprinzips verhindert. Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, alle im Inland angebotenen Dienstleistungen wirksam zu regulieren, blieb erhalten. Zugleich wurden einheitliche Ansprechpartner eingeführt, die den Dienstleistungsanbietern helfen, in fremden Ländern tätig zu werden.

So wurden massiver Wettbewerbsdruck und Abbau von Standards erfolgreich verhindert. Höhere soziale Sicherheit, bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen, Gesundheits- und Verbraucherschutz blieben gewahrt.

Dienstleistungskarte als neuer Vorstoß

Die heutige EU-Kommission unternimmt nun einen neuen Anlauf: Eine „Dienstleistungskarte“ soll Unternehmen erlauben, in anderen EU-Ländern Dienstleistungen anzubieten. Diese Dienstleistungskarte – vor kurzem war noch vom Dienstleistungspass die Rede – wird jedoch durch eine Behörde im Herkunftsland des Unternehmens ausgestellt.
Zwar sollen formal weiter die Bestimmungen des Ziellandes gelten. So soll die Behörde im Herkunftsland bei der des Ziellandes klären, ob das Unternehmen die dort geltenden Regulierungen einhält. Allerdings werden die Behörden im Zielland dabei massiv unter Druck gesetzt. Wenn sie nicht innerhalb von vier bzw. sechs Wochen reagieren, gilt die Dienstleistungskarte als ausgestellt und die Bestimmungen des Ziellandes gelten als gewahrt. Kurzum: Eine ausländische Behörde kann die Dienstleistungskarte nach eigenen Kriterien ausstellen. Ob die dafür notwendigen Anforderungen eingehalten werden, müssen inländische Behörden innerhalb von kürzester Zeit prüfen. Inländische Behörden haben aber nicht Möglichkeit auf die notwendigen Informationen und Dokumente zuzugreifen. Im Ergebnis konkurrieren dann auf einem Dienstleistungsmarkt Unternehmen, die den Marktzugang durch Behörden unterschiedlicher Länder erhalten haben.

Gewerkschaften für ein soziales Europa

Die Gewerkschaften, aber auch Organisationen wie der ZDH, lehnen die Dienstleistungskarte ab. Denn von einem fairen Wettbewerb kann nur dann die Rede sein, wenn alle an einem Ort angebotenen Dienstleistungen denselben Regeln unterliegen! Und dafür ist es notwendig, dass die Behörden vor Ort die Einhaltung der Regulierungen effektiv und einheitlich kontrollieren und durchsetzen können. Die Dienstleistungskarte hebelt eine einheitliche und effektive Kontrolle aus. Deshalb trägt sie zum Abbau wichtiger sozialer und qualitativer Standards bei und untergräbt den fairen Wettbewerb.

Die EU-Kommission bringt den Vorschlag zur Dienstleistungskarte zu einer Zeit, in der bereits viele EU-Länder tief in die Misere geraten sind aufgrund der Eurokrise und der nachfolgenden Austeritätspolitik mit Kürzung der Staatsausgaben bei Sozialleistungen, Renten, Investitionen und Gehältern. In den Krisenländern ist die Jugendarbeitslosigkeit riesig. Die Einkommensunterschiede zwischen den europäischen Ländern wurden in den letzten Jahren noch größer. Viele Menschen verabschieden sich enttäuscht von der europäischen Integration und wenden sich wieder nationalen Lösungen zu.

Jetzt muss die EU in die Zukunft investieren und mehr für soziale Sicherheit und Rechte der Bürgerinnen und Bürger tun. Eine Dienstleistungskarte, die zum Abbau von Verbraucher- und Arbeitsschutz, sozialer Sicherheit und Qualität beiträgt, wird die europäischen Probleme nicht lösen. Sie wird die Legitimationskrise der Europäischen Union nur noch verstärken. So lässt sich die Vision eines sozialen Europas bestimmt nicht erreichen!


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