Deutscher Gewerkschaftsbund

06.09.2019
Digitale Versorgungs-Gesetz

Gesetzesentwurf des Digitale Versorgungs-Gesetzes (DVG): Ausgebremster Eifer

Wegen Bedenken des Bundesministeriums für Justiz wird das Digitale-Versorgungs-Gesetz in der Fassung des Kabinetts-Entwurfs um einen bedeutenden Punkt gekürzt. Viele andere, aus Sicht des DGB problematische Vorschläge wurden hingegen nicht angetastet.

Patient reicht Arzthelferin eine Krankassenkarte

DGB/racorn/123rf.com

Der Ansatz des DVG, für die Krankenkassen endlich die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um ihnen ein eigenes Versorgungsmanagement zu ermöglichen – im politischen Gespräch auch gerne als Rollenwechsel „vom Payer zum Player“ tituliert – dürfte bei den gesetzlichen Krankenkassen für kollektive Zustimmung gesorgt haben. Immerhin hat Gesundheitsminister Spahn damit zunächst im Referentenentwurf und nun auch per Kabinettsentwurf deutlich gemacht, dass er eine seit langem brachliegende Baustelle in der Versorgungslandschaft endlich angeht. Die Wahl der Mittel zur Erreichung dieses Zieles ist hingegen wie so oft in ihrer Wirksamkeit bestenfalls unklar: den Krankenkassen im Gesetzesentwurf wird die Möglichkeit eröffnet, die Entwicklung eigener, digitaler Gesundheitsanwendungen voranzubringen und die dafür zugrunde gelegten Datensätze in Kooperation „mit Dritten“ auszuwerten. Ob das Anonymisierungserfordernis für die fraglos sensiblen Nutzungsdaten der Versicherten damit unter allen Umständen erfüllt werden kann, wird durch den Gesetzesentwurf aber genau so wenig klargestellt, wie darin überzeugend vermittelt wird, wo die Grenze zwischen Forschungskooperationen zwischen Krankenkassen und Dritten inklusive Datenerhebung und- Auswertung auf der einen Seite und primär gewinnorientierter bzw. ökonomisch motivierter Datenverwendung durch Akteure aus eben diesem sehr weit gefassten „Dritten“-Spektrum künftig verlaufen soll. Konkret: durch den Gesetzesentwurf wird es den Krankenkassen ermöglicht, eine „fachlich-inhaltliche Kooperation mit Dritten“ einzugehen, „ Anteile an Investmentvermögen“ zu erwerben und Investment in Versorgungsinnovationen vorzunehmen.

Während der Gesetzesentwurf bei diesem Punkt also auf Linie blieb und zukünftig für einen schleichenden Paradigmenwechsel in der Versorgungslandschaft sorgen könnte – weniger klassische Vor-Ort-Angebote, mehr digital basierte und individualisierte Ansätze- hat sich die Regierungskoalition beim Versuch, das versorgungstechnologische Dauerthema der vergangenen Jahre schlechthin voranzubringen, vorerst festgefahren. Mit der elektronischen Patientenakte (ePA), die als Bestandteil der elektronischen Gesundheitskarte bereits seit langem für die versprochene Bündelung und Schnittstellenbildung für Versichertenstammdaten, Rezepte, Heilverordnungen, Impfpasseintragungen sorgen sollte, liegt seit Jahren ein Großvorhaben im Trockendock, das viele offene Baustellen zugleich aufweist: die Normierung und Verbreitung einer sicheren telematischen Infrastruktur in Arztpraxen und Versorgungseinrichtungen konnte im Gemeinsamen Bundesausschuss nur zäh vorangebracht werden, die an der Herstellung und Belieferung beteiligte Industrie blieb hinter dem Zeitplan zurück, und die Frage des Datenschutzes, die bei einem derart zentripetalen Konzept von immenser Bedeutung ist, konnte nie alle Kritiker zufrieden stimmen. Mit voranschreitender Zeit gesellte sich noch der technische Fortschritt hinzu, der Chipkarten gegenüber digitalen Gesundheitsanwendungen schnell veraltet aussehen ließ. Gesundheitsminister Spahn erklärte daher in bewährter Manier, dieses schwierige Thema nun mit Macht voranzubringen, sprich: die elektronische Patientenakte endlich zu vollenden, also ihre zugedachten Anwendungen Realität werden zu lassen und für ihre Verbreitung zu sorgen – sowohl im herkömmlichen Verfahren als Versichertenkarte wie auch in digitaler, per Smartphone oder Tablet verfügbarer Form.

Dieser Ansatz war zweifellos löblich und überfällig, scheiterte aber an der erwähnten datenschutzrechtlichen Unsicherheiten. In der Ressortabstimmung monierte das Justizministerium die fragliche Sicherheit der Daten sowie die Unklarheit hinsichtlich der Frage, welche Anwendungen als erstes freigeschaltet werden sollen. in der Folge wurde aus dem Gesetzesentwurf der geplante Paragraf 291h wieder gestrichen- was allerdings, auch das in typisch Spahn’scher Manier, nicht bedeutet, dass das Thema vom Tisch wäre. Das Bundesministerium für Gesundheit kündigte parallel zur Veröffentlichung des Gesetzesentwurfs an, das „in einem zeitnah folgenden Gesetz“ auch „weitere Anwendungen in die elektronische Patientenakte“ integriert werden sollen, um die Nutzbarmachung der ePa für alle Versicherten zum 01.Januar 2021 zu gewährleisten. Dass die Krankenkassen eben dies gewährleisten müssen, wurde bereits durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) festgelegt. Interessanterweise steckt der Gesetzesentwurf des DVG zwar in puncto Anwendungsumfang und Datenschutz im ePA-Kontext zurück, behält seine vorgesehene Verpflichtung der Ärzteschaft, gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen nachzuweisen, dass sie über die für die Verwendung der ePA notwendigen Komponenten und Dienste verfügen, bei: Dieser Nachweis soll nun bis zum 30. Juni 2021 erbracht werden, andernfalls droht eine pauschale Kürzung der Vergütung um ein Prozent sowie eine weitere Kürzung um 2,5 Prozent, wenn die Arztpraxen bis März 2020 nicht an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind. Folglich bleibt das Langzeitvorhaben ePA auf der Agenda des Gesundheitsministeriums und wird, um die knappen Fristsetzungen zur Einführung noch halten zu können, vermutlich in Kürze in einen neuen Gesetzesentwurf münden.

Darüber hinaus sind in den Gesetzesentwurf auch neue Regelungen zur Nutzung von Gesundheits-Apps eingeflossen: Preise und Vergütungsvereinbarungen zwischen App-Herstellern und Kassen bleiben nun vertraulich, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte soll die Aufsicht über das Verzeichnis der digitalen Gesundheitsanwendungen erhalten. Zugleich wird die Kassenärztliche Bundesvereinigung nun aufgefordert bis März 2020 durch eine Richtlinie die Gewährleistung der IT-Sicherheit in Arztpraxen und Zahnpraxen zu übernehmen. Ebenso wird durch das Gesetz die Fortführung des Innovationsfonds festgeschrieben, aus dessen Mitteln künftig auch Leitlinien finanziert werden können.

Und der aus Sicht des DGB entscheidende Regelungsinhalt bleibt offensichtlich völlig unangetastet: die problematische Verpflichtung der Krankenkassen, die Versichertenrücklagen zur Vergütung von für in ihrer Wirkung weitgehend unklaren digitalen Gesundheitsanwendungen zu verwenden. Sinnvoller und gerechter wäre stattdessen der Einsatz dieser Mittel für Maßnahmen, von denen alle Versicherten profitieren, wie zb. die Reintegration der vollständigen Kostenübernahme für Zahnersatzleistungen oder Sehhilfen in den GKV-Leistungskatalog.


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