Die Forderungen nach einer gerechteren Verteilungspolitik in Deutschland werden lauter. Denn vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren nur wenige. Mittlerweile befürworten zwei Drittel der Bevölkerung politische Maßnahmen, die Einkommensunterschiede verringern würden.
Das Verhältnis zwischen den Koalitionspartnern ist zerrüttet. Ob Betreuungsgeld, Frauenquote oder Rentenfrage – CDU, CSU und FDP sind sich nicht grün. Nun liefert der Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts neuen Zündstoff. Dieser Bericht offenbart die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung und den Fakt, dass Teile der Bevölkerung zu wenig haben, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Vizekanzler Rösler wiegelt den Bericht postwendend als „nicht ressortabgestimmt“ und Forderungen nach Umverteilung als „nicht zustimmungsfähig“ ab. Schärfer formuliert es der ehemalige „sozialdemokratische“ Wirtschaftsminister Clement. Er sieht in diesem Bericht gar einen „Aufruf zum Klassenkampf“.
Nun, der Bericht steht weder im Verdacht, umverteilungspolitisches Teufelswerk zu sein, noch zieht er
immer die richtigen Schlüsse. Doch zeigt er, dass die Zahl derer, die von der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung hierzulande abgehängt werden, stetig wächst. Da sind Äußerungen dieser Vertreter von Einzelinteressen nicht nur fern jeder Realität - sondern herbe Schläge ins Gesicht vieler Millionen Betroffener.
Grafik: DGB; Zahlen: Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik auf Basis European Social Survey
Gegner der Umverteilung führen gerne an, dass die deutsche Volkswirtschaft doch vergleichsweise gut dastehe. Auch liege die Arbeitslosigkeit auf einem historisch niedrigen Stand. Davon profitiere doch jede/r. Somit sei Umverteilung unnötig. Überhaupt werde ja schon mehr als genug umverteilt. Nun, dies ist mitnichten der Fall. Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren nur wenige.
Die Ergebnisse des Berichts zeigen: Reiche werden reicher, Arme ärmer. Diese Spaltung hat sich in den letzten Jahren gar verstärkt – und zwar schneller als anderswo. Die von Armut bedrohte Gruppe wuchs von unter zwölf Prozent im Jahr 2000 auf nahezu 16 Prozent im Jahr 2009. Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigung stieg von ca. 18 Prozent im Jahr 1998 auf 23 Prozent in 2010. Minijobs boomen: Über sieben Millionen Bundesbürger gehen einer geringfügigen Beschäftigung nach. Auch gibt es eine große Kluft zwischen Einkommen von Männern und Frauen. Der Personenkreis, der überschuldet ist, wuchs in den letzten fünf Jahren um neun Prozent auf 3,7 Millionen.
Die Missstände sind offensichtlich. Die Forderungen nach einer gerechteren Steuer- und Verteilungspolitik werden lauter – nicht nur von den „Maulhelden der Umverteilung“ (Wolfgang Clement), sondern auch von breiten Bevölkerungsschichten. Die Akzeptanz für politische Maßnahmen, die die Einkommensunterschiede verringern würden, nahm in den letzten Jahren stetig zu (siehe Graphik). Über zwei Drittel der Deutschen würden solche Maßnahmen befürworten, lediglich 18 Prozent ablehnen. Das sah vor 10 Jahren noch anders aus.
Gegen den Willen des Volkes kann die Politik auf Dauer nicht regieren. Die Zeit ist reif für eine Vermögensabgabe, die Wiederbelebung der Vermögensteuer und höheren Erbschaftssteuern. Die Verteilungsfrage ist keine Neidfrage, sondern eine der gesellschaftlichen und ökonomischen Vernunft.