Deutscher Gewerkschaftsbund

10.06.2013
Interview

Elke Hannack: Tarifkündigung im Einzelhandel ist skandalös

Der DGB will klare Regeln gegen den Missbrauch von Werkverträgen. Diese würden auch im Einzelhandel eingesetzt, um Leiharbeit zu unterbieten, sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack in der „Freien Presse“ aus Chemnitz. Es sei skandalös, dass die Arbeitgeber zudem sämtliche Tarifverträge aufgekündigt hätten. Die DGB-Gewerkschaften würden dagegen vorgehen - „zur Not mit Streiks“, so Hannack.

Elke Hannack Foto

Elke Hannack, Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB/Simone M. Neumann

Freie Presse: DGB-Chef Michael Sommer hat der schwarz-gelben Koalition eine katastrophale Bilanz ihrer Regierungszeit bescheinigt. Wie sehen Sie das, Sie sind auch Mitglied der CDU?

Elke Hannack: Genau, ich bin noch stellvertretende CDA-Bundesvorsitzende. Und ich möchte mich dem anschließen, was unser CDA-Bundesvorsitzender, Karl-Josef Laumann, vor einiger Zeit gesagt hat. Nämlich, dass diese Legislaturperiode eine sozialpolitisch verlorene war. Bei den wichtigen Themen – Armut, Mindestlohn und Altersarmut – hat diese Regierungskoalition keine Antworten gegeben. Das kritisiere ich im Übrigen auch genauso in meiner Partei. Insofern bin ich da ganz bei Michael Sommer.

Was wäre zu tun gewesen?

Die CDU hätte zumindest die von ihr beschlossene Lohnuntergrenze einführen müssen. Diese wirkt ja nur in Bereichen, in denen es keine Tarifverträge gibt. Aber selbst dort hätte sie zu positiven Effekten geführt. Man hätte sie aber auch schon weiterentwickeln können - hin zu einem gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro.

Bei der Frage eines flächendeckenden Mindestlohnes tut sich die Union aber nach wie vor sehr schwer...

Ja, das ist so. Wir haben ja als Gewerkschafter in der CDA viele Jahre das Thema Mindestlohn immer wieder auf den Tisch bringen müssen, bis es dort akzeptiert war. In der CDU hat es dann noch einmal einige Jahre gedauert, bis die Partei wenigstens die Lohnuntergrenze beschlossen hat. Am Ende, wenn diese durch das Entsendegesetz festgezurrt ist, ist sie aber ja auch nichts anderes als ein gesetzlicher Mindestlohn. Es ist, glaube ich, eher ein sprachliches Problem, mit dem die Unions-Kolleginnen und -kollegen zu kämpfen haben, weil sie sagen, der Begriff Mindestlohn ist von den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften besetzt.

Dann sind wir aber immer noch nicht bei einer einheitlichen Untergrenze von, sagen wir mal, 8,50 Euro...

Nein, soweit wird die CDU mit dieser Regierungskoalition auch nicht kommen. Ich glaube aber, dass wir nach der Bundestagswahl – egal in welcher Konstellation – tatsächlich zu einem gesetzlichen Mindestlohn gelangen werden.

Was macht Sie so hoffnungsvoll?

Ich glaube, dass eine Mehrheit in der Politik verstanden hat, dass ein solcher Mindestlohn notwendig ist. Der Niedriglohnsektor ist ja mittlerweile so groß geworden, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn, damit nicht noch mehr Menschen in Altersarmut fallen. 8,50 Euro je Stunde sind dabei nur ein Einstieg. Dieser Stundenlohn würde heute gerade ausreichen – wenn man ihn ein Leben lang bekäme – um am Ende seines Arbeitslebens eine Rente auf Grundsicherungsniveau zu bekommen.

Auch dann wäre man ja absehbar in Altersarmut drin...

Genau. Deshalb sagen wir auch, dass dieser Mindestlohn jährlich weiterentwickelt werden muss. Es gibt in Europa genügend Beispiele, wo Nichtregierungskommissionen sich darüber verständigen. Aber den ersten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro muss die Politik durchsetzen.

Der DGB hat ein Papier mit Forderungen zur Bundestagswahl beschlossen. Wichtige Punkte darin sind die Stärkung der Flächentarifverträge und die Eindämmung des Niedriglohnsektors. Erleben wir nicht gerade eine gegenläufige Entwicklung?

Richtig. Deshalb fordern wir das ja. Wir wollen auch klare Regeln gegen den Missbrauch von Leiharbeit oder Werkverträgen. Gerade letztere werden im Moment vermehrt eingesetzt, um die Leiharbeit nochmals zu unterbieten. Das erleben wir im Einzelhandel. Dort haben die Arbeitgeber zudem sämtliche Tarifverträge aufgekündigt. Was der Arbeitgeberverband sich da erlaubt, finde ich skandalös. Da muss man Einfluss nehmen. Und das machen wir auch. Zur Not mit Streiks.

Denken Sie, dass Sie damit ans Ziel kommen?

Bisher haben die DGB-Gewerkschaften durch großflächige Streiks immer etwas bewegen können. Wir versprechen uns schon, dass wir den Handelsverband so stark unter Druck setzen, dass er bereit ist, mit ver.di wieder einen Flächentarifvertrag abzuschließen.

Beim Thema Zeitarbeit steht die Gleichstellung als Ziel, hier können Gewerkschaften schon einzelne Erfolge melden. Und bei den Werkverträgen?

Ich denke, wenn wir bei der Leiharbeit soweit sind, dass es überall gleiches Geld für gleiche Arbeit gibt, werden wir auch die Werkverträge mit regulieren können.  Und im Übrigen: gleiches Geld für gleiche Arbeit – das muss auch für Frauen und Männer gelten. Frauen bekommen hierzulande im Schnitt immer noch 22 Prozent weniger Lohn als ihre Kollegen.  

Man findet ja durchaus Unternehmen, bei denen ein Fünftel der Belegschaft aus Leiharbeitern besteht. Das ist doch gewiss mehr, als zur Deckung von Produktionsspitzen benötigt wird und von den Gewerkschaften akzeptiert wird...

Ja, das sind klare Fälle von Missbrauch der Leiharbeit. Gegen solche Unternehmen muss man rigoros vorgehen. Ich finde es skandalös, wenn man diesen Menschen keine Perspektive mehr auf einen regulären, unbefristeten Arbeitsvertrag bietet. Da müssen wir wieder hinkommen. Das gilt gerade auch für junge Menschen.

Bei den Einkommen hinkt der Osten nach wie vor dem Westen hinterher. Wird eine Angleichung der Löhne und Gehälter jemals zu schaffen sein?

Ich finde, es gibt heute keine Begründung mehr, weshalb die Menschen im Osten weniger verdienen sollten als im Westen. Diese Lohndifferenz – wir sind in Ostdeutschland bei etwa 80 Prozent – ist aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt. Diese niedrigeren Löhne haben auch zur Folge, dass am Ende niedrigere Rentenansprüche stehen. Aber ich glaube, dass eine Angleichung gelingen wird. Im Öffentlichen Dienst haben wir bis auf die Arbeitszeiten schon keine Differenzen mehr. Die Kolleginnen und Kollegen im Osten müssen noch eineinhalb Stunden länger arbeiten. Auch das werden wir aber innerhalb der nächsten Jahre abbauen und es auch müssen – das ist eine Frage der Gerechtigkeit.

Wird das Thema Altersarmut in Ostdeutschland wegen der geringeren Einkommen nicht eine besondere Brisanz bekommen?

Das tut es heute schon, wenn man sich die Erwerbsminderungsrente anschaut. Die ist im Durchschnitt schon heute auf Grundsicherungsniveau. Das heißt, wer mit 55 Jahren krank wird und deshalb aus dem Berufsleben ausscheidet, der bekommt Hartz IV. Gerade die Menschen im Osten sind mit ihren Erwerbsbiografien häufiger von Altersarmut bedroht als im Westen. Das liegt daran, dass die Ostdeutschen häufig keine betriebliche und private Altersvorsorge haben. Man muss auch sehen: Es gibt ja keine Rentenbeiträge mehr bei Langzeitarbeitslosigkeit, sprich bei Hartz-IV-Bezug. Das hat diese Bundesregierung gestrichen, und das war absolut verkehrt und kontraproduktiv. Unsere Forderung lautet, auch dann wieder Beiträge an die Rentenversicherung abzuführen. Das würde helfen, auch während der Arbeitslosigkeit Rentenpunkte aufzubauen.

Freie Presse Chemnitz, 8.6.2013.

Das Interview führte Jan-Dirk Franke.


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