Deutscher Gewerkschaftsbund

21.10.2019
Öffentlicher Dienst

„Wir können uns nicht in 27 Teile teilen“

Der DGB Personalreport 2019 ist erschienen

Das Statistische Bundesamt veröffentlicht einmal im Jahr aktuelle Zahlen zu den Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Der DGB Personalreport hat sie unter die Lupe genommen, bewertet und aufbereitet. Das Magazin für Beamtinnen und Beamte gibt einen kurzen Einblick. Im Fokus stehen in diesem Jahr die staatliche Arbeitsschutzaufsicht und die Arbeit in Bürgerämtern.

Mann hält in Warteraum eines Amtes / Bürgeramtes Wartenummern-Zettel hoch

Colourbox.de

Ein erster Überblick: 4,8 Millionen Menschen waren zum Stichtag 30.06.2018 im öffentlichen Dienst beschäftigt, davon 62,9 Prozent als Tarifbeschäftigte und 35,1 Prozent als BeamtInnen oder RichterInnen. 57 Prozent der Beschäftigen waren weiblich, in absoluten Zahlen sind das 2.74 Millionen. In Teilzeit waren 1,57 Millionen tätig, also 32,7 Prozent. Und die Zahl der befristeten Arbeitsverträge ist erneut angestiegen, die Befristungsquote lag bei 15,4 Prozent.

Im öffentlichen Dienst setzte sich damit die Entwicklung der letzten Jahre fort. Die Zahl der Beschäftigten ist erneut gewachsen. Erneut wirken die Zahlen aus der Personalstandstatistik also auf den ersten Blick erfreulich. Allerdings lohnt eine differenzierte Betrachtung. Denn das Plus von insgesamt 62.960 zusätzlichen Beschäftigen konzentriert sich im Großen und Ganzen auf drei Aufgabenbereiche. An Hochschulen (plus 19.760), bei der Polizei (plus 6.960) und in kommunale Kindertagesstätten (plus 9.605) gab es mehr Personal. In diesen Bereichen fand knapp 60 Prozent des Zuwachses statt.

Beispiel staatliche Arbeitsschutzaufsicht

Was folgt aus diesen abstrakten Zahlen? Was bedeuten sie für die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes? Wie wirken sie sich auf die Beschäftigten vor Ort aus? Diesen Fragen geht der Report in zwei Heftschwerpunkten nach. Der erste dreht sich um das Thema staatlicher Arbeitsschutz. Hier arbeiten die AufsichtsbeamtInnen mit Herzblut und hohem ideellen Einsatz, damit Gesetze und Verordnungen zum Arbeitsschutz beachtet werden. Dennoch geht die Zahl der Betriebskontrollen zurück. Zwischen 2002 und 2017 ist die Anzahl in Deutschland um 62 Prozent regelrecht eingebrochen (vgl. Abbildung).

Der Grund: zu wenig Personal, zu viele Aufgaben. „Wir können uns nicht in 27 Teile teilen“, kommentiert Peter Heimer seinen Arbeitsalltag. Er ist ver.di-Vertrauensmann und arbeitet als Arbeitsschutzinspektor in Nordrhein-Westfalen. „Früher konnte ich drei Tage pro Woche in den Außendienst, heute eineinhalb. Meine Zielvorgabe, 150 Betriebe im Jahr aufzusuchen, habe ich in guten Zeiten geschafft – heute nicht mehr. Unser Kerngeschäft ist die Besichtigung von Betrieben, da sind die Zahlen rapide in den Keller gegangen“, erklärt er im Interview.

Für die BeamtInnen steigt der Druck, mit fatalen Konsequenzen: „Die Leidtragenden sind die Beschäftigten, die wir nicht zu sehen bekommen. Die in Hinterhöfen in kleinen Dienstleistungsunternehmen arbeiten. Oder als Subunternehmer, als Dritte in der Kette, und in der Stahlindustrie irgendwo sauber machen. Wir schaffen nicht, das zu kontrollieren“, so Heimer weiter. Und nicht nur er fordert, dass für den Arbeitsschutz deutlich mehr Personal eingestellt und ausgebildet wird. Auch der SLIC-Report, erstellt von hochrangigen AufsichtsbeamtInnen aus acht EU-Ländern, hat jüngst die Ressourcen und Abläufe im deutschen Arbeitsschutzsystem kritisiert.[1] Die Personalausstattung liege in allen Bundesländern unterhalb der Benchmark der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, welche eine Aufsichtsperson für 10.000 Beschäftigte verlangt.

Beispiel Bürgeramt

Aufgrund der aktuellen Personaldecke sinkt die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes, während die Arbeitsbelastung für die Beschäftigten steigt. Das verdeutlicht auch der zweite Heftschwerpunkt im Personalreport. Er betrachtet die Bürgerämter, die es in nahezu allen deutschen Städten gibt. Stefan Wiarda berichtet im Interview über die Situation in Hamburg, wo die Bürgerämter Kundenzentren heißen. Wiarda ist seit 2002 freigestelltes Personalratsmitglied und vertritt die Interessen der 82 KollegInnen aus den Kundenzentren des Bezirks Hamburg Nord.

2017 habe die rot-grüne Koalition für Hamburg die „Serviceoffensive der Kundenzentren“ gestartet und beschlossen, die Öffnungszeiten aller Kundenzentren deutlich zu verlängern, erklärt er. Es gelinge aber nicht, dass dafür benötigte zusätzliche Personal zu gewinnen und zu halten: „Intern bewirbt sich praktisch niemand – die Arbeitsbedingungen sind nicht attraktiv. Die Ausschreibung wurde also für Leute ohne Verwaltungsausbildung geöffnet. Eine vergleichbare kaufmännische Ausbildung reicht: Notarfachangestellte, Bürokaufmann oder Bankkauffrau. Das funktioniert aber nicht gut. Sehr viele der Neueingestellten kündigen in der Probezeit, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Es gibt eine unheimliche Fluktuation“, erklärt Wiarda.

Die vorhandenen Aufgaben verteilen sich deshalb auf zu wenige Schultern. Neue KollegInnen müssten eingearbeitet, neue Fachverfahren umgesetzt werden – alles bei laufendem Geschäft. In Hamburg sorgte vor allem für Frust, dass mit den neuen Öffnungszeiten auch Schichtarbeit eingeführt wurde – gegen den Willen der Beschäftigten. Und die angestrebte digitale Verwaltung wird wohl auch keine Entlastung bringen. Im Gegenteil, schon die Einführung neuer Software sei schlecht organisiert: „Das dauert immer länger als geplant. Und oft sind die Beschäftigten ja eh schon am Limit. Der Arbeitgeber schafft es also nicht, für größere Umstellungen der Hard- oder Software vernünftige Bedingungen zu schaffen“, so sein Fazit.

Welchen öffentlichen Dienst wollen wir?

Bei der (digitalen) Verwaltung stottert der Motor also noch gehörig. Und nicht nur die Interviews mit den beiden Praktikern verdeutlichen den Handlungsbedarf. Die Zahlen zeigen: 26,9 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst waren 2018 älter als 55 Jahre und werden in den nächsten 10 Jahren in den Ruhestand gehen. Ein riesiger Umbruch steht an. Dennoch stimmt die Planung des Personalbedarfs noch immer nicht: Es fehlen Lehrkräfte, StaatsanwältInnen, RichterInnen. In vielen technischen Berufen herrscht akuter Personalmangel. Für die Kinderbetreuung fehlte trotz der zusätzlichen 55.756 Stellen seit 2012 auch weiterhin Personal. Fakt ist also: Der Personalzuwachs bedeutet noch lange keine Trendwende. Die öffentlichen Arbeitgeber müssen endlich vorausschauend planen und ihrer Vorbildrolle wieder gerecht werden. Das Ziel muss lauten: Gute Arbeit im öffentlichen Dienst!

Diagramm: Zahl der Besichtigungen und Personalausstattung der staatlichen Arbeitsschutzaufsicht in Deutschland

Quelle: SUGA-Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

[1] SLIC-Revision 2017 des staatlichen Arbeitsschutzsystems in Deutschland. Online unter www.lasi-info.com


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