Deutscher Gewerkschaftsbund

16.06.2016
EU-Referendum

Offener Brief: Europäische Gewerkschaften gegen den Brexit

Es drohen Gefahren für Millionen Beschäftigte

Am 23. Juni stimmen die Briten über den Verbleib in der EU ab. In einem gemeinsamen Appell warnen die Vorsitzenden von 20 europäischen Gewerkschaften oder Gewerkschaftsorganisationen vor einem Brexit und den damit verbundenen Risiken: "Wir glauben, dass ein Verbleib sowohl essentiell für die gute Entwicklung der EU als auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vereinigten Königreich ist." Der Brief im Wortlaut.

Wahlurnen mit britischer Flagge und EU-Flagge

Colourbox.de

Grundlegende Rechte sind in Gefahr

Ein Austritt aus der EU könnte für Millionen Briten zu Verschlechterungen führen: Davon sind die Europäischen Gewerkschaften überzeugt. In einem offenen Brief warnen sie vor den Folgen eines Brexits: "Wichtige grundlegende Rechte wie bezahlter Jahresurlaub, Begrenzung der Arbeitszeit, Lohngleichheit, Elternzeit, Arbeitsplatzsicherheit und faire Bedingungen für Teilzeit- und Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer wurden auf EU-Ebene durch die Arbeit der Gewerkschaften durchgesetzt. Es gibt keine Garantie dafür, dass diese Rechte im nationalen Recht durch die aktuelle britische Regierung beibehalten werden."

Gemeinsam gegen den Brexit

20 Vorsitzende haben den Appell unterzeichnet, darunter DGB-Chef Reiner Hoffmann und Luca Visentini, Generalsekretär des Europäischen Gerwerkschaftsbundes EGB. Auch Frances O'Grady, Generalsekretärin des britischen Gewerkschaftsbundes, gehört zu den Unterstützern. 

Große wirtschaftliche und politische Risiken

Ein Brexit, so die Verfasser des Briefes, würde nicht nur das Arbeitsrecht bedrohen: "Eine steigende Anzahl an Studien warnt davor, dass auch Tausende von Arbeitsplätzen im Vereinigten Königreich gefährdet wären und der Brexit einen Einbruch des Wirtschaftswachstums, der Konsumausgaben und des Werts des britischen Pfund Sterling bedeuten kann. Gleichzeitig würde es die EU wirtschaftlich und politisch schwächen, wenn die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa unterlaufen würden." Außerdem bestehe die Gefahr, dass andere Länder nachziehen würden und die EU zu einem "Selbstbedienungsladen" verkomme.


BILD.de: Appell von Europas Gewerkschafts-Chefs - Kampfaufruf gegen den Brexit

BILD.de: Joint Appeal: Europe's Unions against brexit


 

Der offene Brief im Wortlaut

Berlin, 10.6.2016

Die Europäische Union steht zurzeit vor gewaltigen Herausforderungen. Um diese zu bewältigen, braucht es eine starke gemeinsame Kraftanstrengung. Die europäischen Gewerkschaften wünschen sich, dass das Vereinigte Königreich an der Seite anderer Mitgliedstaaten zusammen an Lösungen für diese Herausforderungen arbeitet und nicht zurückfällt in nationale Isolation.

Wir sind überzeugt, dass die EU-Mitgliedschaft für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vereinigten Königreich von Vorteil ist. Ein Austritt könnte für Millionen von ihnen zu Verschlechterungen führen, trotz aller Anstrengungen, die wir unternehmen werden, um auch bei einem Kompromiss mit Großbritannien Ausnahmen und Einschränkungen in Europa zu verhindern. Wichtige grundlegende Rechte wie bezahlter Jahresurlaub, Begrenzung der Arbeitszeit, Lohngleichheit, Elternzeit, Arbeitsplatzsicherheit und faire Bedingungen für Teilzeit- und Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer wurden auf EU-Ebene durch die Arbeit der Gewerkschaften durchgesetzt. Es gibt keine Garantie dafür, dass diese Rechte im nationalen Recht durch die aktuelle britische Regierung beibehalten werden.

Der Brexit würde nicht nur das Arbeitsrecht bedrohen. Eine steigende Anzahl an Studien warnt davor, dass auch Tausende von Arbeitsplätzen im Vereinigten Königreich gefährdet wären und der Brexit einen Einbruch des Wirtschaftswachstums, der Konsumausgaben und des Werts des britischen Pfund Sterling bedeuten kann. Gleichzeitig würde es die EU wirtschaftlich und politisch schwächen, wenn die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa unterlaufen würden.

Wir unterstützen das Vereinigte Königreich darin, Teil der EU zu bleiben, und glauben, dass ein Verbleib sowohl essentiell für die gute Entwicklung der EU als auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vereinigten Königreich ist. Was Europa jetzt braucht, um Vertrauen in dieses Projekt EU zurückzugewinnen, sind Investitionen, gute Jobs und gute Bezahlung.

Premierminister Cameron hat dem Vereinigten Königreich in seinem Deal Ausnahmen von wichtigen Verpflichtungen als EU-Mitgliedstaat erstritten, aber seine Ziele sind nicht die unsrigen. Dieser Deal ist das Ergebnis eines Richtungskampfs innerhalb Camerons konservativer Partei und steht nicht für den Kampf um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir glauben, dass die Zugeständnisse an die mit allen Bandagen kämpfende britische Regierung einen Bruch der EU-Verträge und deren Geist darstellen und das soziale Europa angreifen. Der britische Deal könnte Grundprinzipien wie die Freizügigkeit, die arbeitsrechtliche Gleichbehandlung und die Nichtdiskriminierung verletzen.

Es besteht die Gefahr, dass andere Mitgliedstaaten Großbritannien als Präzedenzfall ansehen und annehmen, sie hätten nun auch das Recht, gemeinsam beschlossene Bestimmungen zurückzuweisen. Damit würde die EU zu einem „Selbstbedienungsladen“, in dem sich jeder holt, was er braucht, und das abwählt, was mächtigen nationale Interessengruppen lästig erscheint. Was auch immer am 23. Juni mit dem Referendum geschehen mag, die Zugeständnisse an das Vereinigte Königreich lassen eine geschwächte EU zurück. Bereits jetzt denken einige EU-Mitgliedstaaten darüber nach, Kindergeldzahlungen für Arbeitsmigrantinnen und -migranten einzuschränken. Nach dem Referendum wird sich der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) gegen Ausnahmen und Einschränkungen in anderen Mitgliedstaaten und für klare und enge Bedingungen für den Deal mit Großbritannien und die daraus resultierenden Sonderregeln einsetzen.

Die Europäischen Gewerkschaften werden gegen Einschränkungen bei der Freizügigkeit kämpfen und darauf bestehen, dass die Kommission die versprochene Europäische Säule Sozialer Rechte und eine faire Revision der Entsenderichtlinie liefert. Statt Arbeitsmigrantinnen und -migranten zu Sündenböcken zu machen, muss rigoros gegen diejenigen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vorgegangen werden, die sie ausbeuten. Wir benötigen flächendeckend Tarifverhandlungen, um eine faire Bezahlung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchzusetzen.

Europa muss im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer reformiert werden. Die Beschäftigten im Vereinigten Königreich und in ganz Europa brauchen eine Gesellschaft der Gerechtigkeit, Investitionen für gute Arbeit, mehr Mitbestimmung, das Recht auf Freizügigkeit und Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung in sozialen Rechten, Gewerkschaftsrechte und bürgerliche Freiheiten.

Sie unterstützen den offenen Brief gegen den Brexit:

Unterzeichner des offenen Briefes gegen den Brexit

Von links oben nach rechts unten: Jan Willem Goudriaan, Generalsekretär European Public Service Union, EPSU; Oliver Roethig, Regional Secretary, UNI Europa; Jozef Kollár, Präsident KOZSR (Slowakei); Erich Foglar, Präsident ÖGB (Österreich); Karl-Petter Thorwaldsson, Präsident LO (Schweden); Frances O'Grady, Generalsekretärin British Trades Union Congress, TUC (GB); Marie-Hélène Ska, ACV-CSC (Belgien); Luca Visentini, Generalsekretär EGB; Peter Scherrer, stellv. Generalsekretär EGB; Josef Středula, Präsident ČMKOS (Tschechien); Rudy de Leeuw, FGTB/EGB; Harald Wiedenhofer, Generalsekretär European Federation of Food, Agriculture and Tourism ; Pepe Álvarez, Generalsekretär UGT (Spanien); Gabriele Bischoff, Präsidentin Arbeitnehmergruppe im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, EWSA; Veronica Nilsson, stellv. Generalsekretärin EGB; Michael Vassiliadis, IndustriALL/ Vorsitzender IG BCE; Frank Bsirske, Präsident UNI Europa/ver.di; Reiner Hoffmann, Vorsitzender DGB; Laurent Berger, Generalsekretär CFDT (Frankreich); Ohne Bild: Susanna Camusso, Generalsekretärin CGIL (Italien) DGB/ÖGB/Jess Hurd(reportdigital.co.uk)

Beschluss des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) zum EU-Referendum in Großbritannien (englisch)

The European Union is facing grave challenges at the moment, and the European trade unions would prefer to see the UK involved – together with other Member States – in resolving them, rather than turning towards national isolation.

We believe EU membership is beneficial for working people in the UK, and that millions of them could find themselves worse off if Britain votes to leave, although we also want to ensure that the British deal does not create a rash of legal exceptions and restrictions across Europe.

Legislation enforcing basic rights like paid annual leave, limits on working time, equal pay, parental leave, workplace safety and fair treatment for part-time and agency workers have been won at EU level by trade union campaigning. There is no guarantee that these rights will be maintained in national law by the current British government.

Brexit would not only threaten rights at work. A growing number of research studies warn it would also put at risk hundreds of thousands of jobs in the UK, and provoke a drop in GDP, consumer spending and the value of sterling. At the same time, it would weaken the EU economically and politically, undermining the interests of workers across Europe.

We strongly support the UK remaining part of the EU, and believe this is vital for the welfare of the European Union as well as workers in the UK. What Europe needs now, to restore confidence in the splintering EU project, is investment, high quality jobs and decent pay.

PM David Cameron has secured a deal that exempts the UK from important duties of EU member-ship, but his agenda is not ours. It reflects in-fighting at the heart of the Prime Minister’s Conservative Party rather than protecting the interests of workers. We believe the concessions to the British Government’s arm-twisting tactics are in breach of the EU treaties and damage Social Europe. The British deal is at risk of infringing basic principles like freedom of movement, equal treatment at work and non-discrimination.

The danger is that any Member State will feel it has the right to reject commonly agreed rules, using Britain as the precedent, and creating a ‘self-service’ EU. Whatever happens with the referendum on Thursday, the UK’s concessions leave a weakened union. Already, some EU countries are considering cutting child benefit payments to migrant workers. After the referendum, the European Trade Union Confederation (ETUC) will act to oppose exceptions and restrictions being applied in other Member States, and press for tighter conditions for granting such exceptions to the UK as well.

European trade unions will fight to end limits on free movement, and will fight even harder now to ensure that the Commission delivers on its promise of a strong pillar of social rights for Europe and for a fair revision of the Posting of Workers Directive. Instead of scapegoating migrant workers, we need tough action against those employers who exploit them, and the widespread practice of collective bargaining so as to establish a fair rate for the job for all workers.

Europe must be reformed in workers’ interests. Workers in the UK and in the rest of the EU need a just society, investment for quality jobs, greater workplace democracy, the right to free movement and equal treatment, and no discrimination on social and trade union rights and on civil liberties.


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