Deutscher Gewerkschaftsbund

10.02.2012
Mindestlohn-Interview

Erwin Sellering: Wer Vollzeit arbeitet, muss von seiner Arbeit leben können

Erwin Sellering, Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommern (SPD)

www.erwin-sellering.de

Auf Initiative einiger Bundesländer, darunter Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hamburg, wurde ein Antrag im Bundesrat eingereicht, der die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns erreichen soll. Diese Forderung wird auch von der schwarz-roten Koalition in Mecklenburg-Vorpommern unterstützt. Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), spricht in einem Interview mit mindestlohn.de über die Notwendigkeit eines Mindestlohns und dessen Auswirkungen auf sein Bundesland.

Der Koalitionsvertrag in Mecklenburg-Vorpommern, den Sie zusammen mit der CDU abgeschlossen haben, sieht eine Lohuntergrenze von 8,50 Euro für die öffentliche Auftragsvergabe vor. Warum ist dies aus Ihrer Sicht notwendig und wann wird es das novellierte Vergaberecht geben?

Erwin Sellering: SPD und CDU haben sich auf zwei Punkte verständigt. Die Landesregierung wird auf Bundesebene Initiativen unterstützen, die auf Einführung eines gesetzlichen, in Ost und West gleichen, flächendeckenden Mindestlohns gerichtet sind. Und wir wollen vorher schon dort handeln, wo wir selbst Möglichkeiten haben, nämlich bei Landesaufträgen. Diese sollen künftig daran gekoppelt werden, dass mindestens 8,50 Euro pro Stunde gezahlt werden. Dafür werden jetzt die gesetzlichen Grundlagen gelegt. Es ist geplant, dass sich das Kabinett im Frühjahr mit einem Gesetzentwurf befassen wird. Dann hat der Landtag das letzte Wort.

Außerdem wollen Sie die Vergabe von Fördermitteln stärker an den Mindestlohn koppeln. Was ist da im Detail vorgesehen? Soll die Förderung auch von der Einschränkung der Leiharbeit abhängig gemacht werden, wie es etwa in Thüringen und Berlin der Fall ist?

Erwin Sellering: Das ist richtig. Die Grenze von 8,50 Euro soll – zumindest im Regelfall – auch in der Wirtschaftsförderung gelten. Die Details stehen allerdings noch nicht fest.

Immer mehr Bundesländer haben mittlerweile Lohnuntergrenzen, zum Beispiel 8,00 Euro. Rheinland-Pfalz 8,50 Euro. Nordrhein-Westfallen sogar 8,62 Euro. Sind Sie der Ansicht, jedes Bundesland sollte zwingend bei der öffentlichen Auftragsvergabe eine Lohnuntergrenze vorsehen?

Erwin Sellering: Wir bräuchten solche Grenzen nicht, wenn wir einen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland hätten. Dann gäbe es eine viel weiter reichende Untergrenze für alle. Solange sich die Bundesregierung da verweigert, sind Lohnuntergrenzen aber eine gute Möglichkeit, auf Landesebene einen Beitrag zu fairen Löhnen zu leisten.

Sie haben sich auch dafür ausgesprochen, sich auf Bundesebene für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns einzusetzen? Was sind die Gründe?

Erwin Sellering: Wer Vollzeit arbeitet, muss von seiner Arbeit auch leben können. Das ist für mich eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und auch eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft. Es ist ungerecht, wenn ein Arbeitnehmer, der den ganzen Tag hart arbeitet, zusätzlich noch Sozialleistungen beantragen muss. Und volkswirtschaftlich ist das Aufstocken eine ungesteuerte und häufig unsinnige Subventionierung von Unternehmen. Wer sein Geschäftsmodell auf Hungerlöhnen plus Sozialleistungen aufbaut, der hat in Wahrheit kein Geschäftsmodell.

Welche Auswirkungen hätte die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro auf das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern? Sie erwähnten Mehrkosten in Höhe von 3 Millionen Euro. Aber um wie viel das Land durch sinkende Transferkosten entlastet, weil es weniger Aufstocker gibt? Lässt sich abschätzen, wie hoch die Mehreinnahmen durch steigende Steuereinnahmen und Sozialbeiträge sein werden, die Mecklenburg-Vorpommern durch steigende Löhne zu erwarten hat?

Erwin Sellering: Das lässt sich nicht exakt gegeneinander aufrechnen. Es wird Belastungen für das Land geben. Dafür haben wir 3,1 Millionen Euro in den Landeshaushalt eingestellt. Es wird an anderer Stelle Entlastungen geben. Allerdings wird davon nicht immer die Landeskasse profitieren. Für mich ist das auch nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist für mich, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt eine Lohnspirale nach oben auslösen. Der Wettbewerb um gute Fachkräfte wird in Deutschland schärfer werden. Mecklenburg-Vorpommern wird in diesem Wettbewerb nur bestehen, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne vorfinden. Dazu wollen wir mit dieser Entscheidung einen Beitrag leisten.


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