Deutscher Gewerkschaftsbund

29.06.2009
Mindestlohn-Interview

Neues aus dem Bus: Im Gespräch mit Edelgard Bulmahn (SPD)

Edelgard Bulmahn (SPD)

DGB/mindestlohn.de

Beim Gespräch im Mindestlohnbus stand diesmal die SPD-Abgeordnete Edelgard Bulmahn Rede und Antwort. In der rot-grünen Bundesregierung war sie Ministerin für Bildung und Forschung. Heute ist sie Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Im Gespräch mit Reinhard Dombre erklärt sie, warum ein Mindestlohn für Deutschland wichtig ist. "Ich orientiere mich an dem Leitbild der guten Arbeit.", so Bulmahn,  wozu für sie auch "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" gehört. "Und das muss ein auskömmlicher Lohn sein, keine Almosen."

Wie finden Sie die Idee mit der Forderung nach 7,50 EUR auf dem Bus, in dem wir fahren?

Edelgard Bulmahn: Ich finde die Idee gut.

Was sind die Gründe für die enorme Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland, der mittlerweile 22 % aller Beschäftigungsverhältnisse umfasst?

Edelgard Bulmahn: Die Gründe sind vielfältig. Viele Unternehmen, besonders im Osten Deutschlands sind nicht mehr tarifgebunden und zahlen auch keine Tariflöhne. Gerade in den Branchen mit sehr schlechter Bezahlung sind zu wenig Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Und die hohe Arbeitslosigkeit 2003 bis 2005 drückte auch auf die Löhne. Die Arbeitslosigkeit sank jedoch von 2006 bis 2008 ganz deutlich, ohne dass gleichzeitig Niedriglöhne verschwanden.

Welche Auffassung vertreten Sie, wie dieser Entwicklung begegnet werden kann?

Edelgard Bulmahn: Durch einen gesetzlichen Mindestlohn. Wenn es Regionen gibt, wo Tariflöhne unter 5 Euro vereinbart werden, dann zeigt dies, dass ein gerechter Lohn nicht mehr allein von den Gewerkschaften durchgesetzt werden kann. Deshalb brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn.

Was muss die Politik unternehmen, damit Existenz sichernde Löhne gezahlt werden?

Edelgard Bulmahn: Einen Mindestlohn bundesweit gesetzlich verankern. Zusätzlich muss geregelt werden, wie die Anpassung an die Preisentwicklung etc. stattfindet. Den Vorschlag der SPD eine Kommission einzusetzen, die sich aus Vertretern der Tarifpartner und der Politik zusammen setzt, halte ich für vernünftig. Darüber hinaus muss der Ordnungsrahmen so verändert werden, dass Leiharbeit nicht mehr das Schlupfloch für Niedriglöhne ist.

Welche Position vertritt die SPD im Hinblick auf die Bundestagswahl 2009 bzgl. Existenz sichernder Mindestlöhne?

Edelgard Bulmahn: Die SPD legt sich in ihrem Wahlprogramm auf einen gesetzlichen Mindestlohn fest. Wenn jetzt jemand fragt, warum habt ihr das nicht schon in der großen Koalition durchgesetzt, antworte ich, dass die CDU dies auf Teufel komm raus nicht wollte. Der Kompromiss, den wir durchgesetzt haben, waren die brachenbezogenen Mindestlöhne. Das hat immerhin für 4 Millionen Arbeitnehmer Mindestlöhne gebracht.

Verstoßen Niedriglöhne gegen die Garantie des Grundgesetzes, die Würde des Menschen sei unantastbar?

Edelgard Bulmahn:  Ja, davon bin ich überzeugt. Ich orientiere mich an dem Leitbild der guten Arbeit. Jede Frau, jeder Mann muss in Würde arbeiten können. Dazu gehören faire und gute Arbeitsbedingungen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Weiterbildung für alle Arbeitnehmer, Gesundheitsschutz und gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Und das muss ein auskömmlicher Lohn sein, keine Almosen.

Ist die soziale Marktwirtschaft mit Niedriglöhnen vereinbar?

Edelgard Bulmahn: Nein, in einer sozialen Marktwirtschaft muss jeder, der Vollzeit arbeitet von seiner Arbeit leben können. Alles andere ist ungerecht, unmoralisch und volkswirtschaftlich dumm.

Würde die soziale Marktwirtschaft durch flächendeckende Lohnuntergrenzen unsozial?

Edelgard Bulmahn: Nein.

20 von 27 EU-Staaten sichern Lohnuntergrenzen über Mindestlöhne. Sind die alle schlecht beraten?

Edelgard Bulmahn: Nein, im Gegenteil. Es ist volkswirtschaftlich und sozialpolitisch richtig.

Kann der deutsche Arbeitsmarkt angesichts der bevorstehenden Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU ab Mai 2011 auf verbindliche Lohnuntergrenzen verzichten?

Edelgard Bulmahn: Nein, verbindliche Lohnuntergrenzen sind dann erst recht erforderlich.

Sollte es für die Zeitarbeit auch einen Mindestlohn geben?

Edelgard Bulmahn: Ja, sonst wird über Leiharbeit wieder ein Niedriglohnsektor geschaffen. Ich halte es darüber hinaus für erforderlich, dass nach einer kurzen Einarbeitszeit generell die gleichen Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer herrschen wie für die Stammbelegschaft. Dann würde auch der Missbrauch aufhören.

Berücksichtigt die Politik bei ihren Konjunkturprogrammen die tatsächlich Bedürftigen, z.B. Niedriglohnbeschäftigte? Weiterhin werden Rettungsschirme für die Wirtschaft gespannt. Sind Lohnuntergrenzen nicht auch Rettungsschirme für die Betroffenen?

Edelgard Bulmahn: Die Konjunkturprogramme, einschließlich der verbesserten Rahmenbedingungen für Kurzarbeit sind beschlossen worden, damit die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz behalten. Das kommende Konjunkturprogramm mit 10 Mrd. und auch die Abwrackprämie schaffen ja eine große Nachfrage, ohne die z.B. die Automobilwirtschaft, aber auch viele kleine und mittlere Unternehmen die Krise noch härter spüren würden. Ich glaube, ohne die Kurzarbeit und ohne die Konjunkturprogramme wäre die Arbeitslosigkeit schon jetzt viel höher.

Wir danken Edelgard Bulmahn für das Interview.


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