Im vergangenen Jahr sind fast 700 Menschen bei Attacken durch rechte Gewalttäter verletzt worden. Der Hass der Nazis richtet sich gegen Geflüchtete, Minderheiten und gegen Menschen, die vor Ort für eine freie und tolerante Gesellschaft eintreten. Vor allem lokaler Protest und Widerstand ist wirksam, um die Bevölkerung gegen rechts zu aktivieren.
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Rechte Hetze und Gewalt gehören zum Alltag in Deutschland. Mehr als 12500 Delikte von Rechtsextremen registrierte die Polizei im vergangenen Jahr. Darunter sind Fälle von Volksverhetzung, Sachbeschädigung, Bedrohung und Beleidigung. Bei 914 Fällen handelte es sich um Gewaltdelikte, 692 Menschen wurden verletzt. Die aktuellen Zahlen, die die Bundestagsfraktion der Linken von der Bundesregierung erfragt hat, sind vorläufig und liegen erfahrungsgemäß deutlich unter der finalen Bilanz. Doch schon jetzt zeichnen sich Tendenzen ab. So scheint sich die Justiz schwer zu tun, die Täter zu verurteilen. Insgesamt konnte die Polizei bisher zwar 6076 Tatverdächtige ermitteln, Haftbefehl wurde aber nur gegen 15 Rechtsextreme erlassen.
Im Fadenkreuz der rechten Gewalttäter stehen immer wieder Menschen, die sich für eine tolerante und freie Gesellschaft einsetzen, etwa in Dortmund, Chemnitz und Berlin. So wurden in Berlin-Neukölln in den vergangenen Monaten mehrfach Autos von Menschen angezündet, die sich gegen rechts engagieren. Auch ein Café sowie ein Buchladen wurden attackiert. Unter den Betroffenen ist die SPD-Politikerin und ehemalige DGB-Mitarbeiterin Mirjam Blumenthal. Sie wird seit Jahren von Rechtsextremen bedroht. Mitte Januar wurde nachts ihr Auto von Unbekannten angezündet. Sie bemerkte das Feuer und konnte den Brand löschen. Der Staatsschutz ermittelt. SPD und Falken vermuten ein rechtsradikales Motiv. Die Mutter von vier Kindern ist vielseitig im Kampf gegen rechts aktiv, unter anderem in der SPD und beim sozialistischen Kinder- und Jugendverband Die Falken. Auch der Wagen des IG Metallers und früheren Betriebsrates bei Mercedes-Benz Detlef Fendt brannte. Der Gewerkschafter war mehrfach mit einer IG-Metall-Fahne zu NPD-Kundgebungen in Neukölln gefahren, um gegen den Auftritt zu protestieren. Dabei ist er regelmäßig von Neonazis fotografiert worden. Laut Berliner Polizei gab es in diesem Jahr bereits 20 Nazi-Attacken gegen Demokraten in Neukölln.
Doch die Bevölkerung des Stadtteils lässt sich nicht einschüchtern sondern solidarisiert sich mit den Betroffenen. Von vielen Seiten erhält Blumenthal Unterstützung. So meldeten sich der Regierende Bürgermeister von Berlin Michael Müller, DGB und Gewerkschaften, Kirchen, Parteien – unter ihnen die FDP Friedrichshain-Kreuzberg – sowie viele BürgerInnen zu Wort. „Die Zivilgesellschaft und die demokratische Familie rücken zusammen“, stellt Blumenthal fest. Der Berliner Stadtteil Neukölln macht mobil. Mitte Februar hat ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen und Parteien zu einer gemeinsamen Kundgebung aufgerufen. Das Motto: „Neukölln bleibt bunt – wider den rechten Terror“. Blumenthal betont: „Wir werden den Kampf gegen Rechtsextremismus noch verstärken. Gegen die Feinde der Demokratie helfen keine Sonntagsreden, sondern nur aktives Handeln von Demokraten und des Staates.“
Wie wichtig es im Kampf gegen rechts ist, die Öffentlichkeit einzubeziehen, zeigt die Stadt Dortmund. Die Ruhrpott-Metropole hatte sich in den vergangenen 15 Jahren zu einem Zentrum der rechten Szene in Westdeutschland entwickelt. In einem Stadtteil hatten sich gezielt Rechtsextreme angesiedelt, viele militant und gewaltbereit. Es kam fortlaufend zu Attacken gegen MigrantInnen und engagierte BürgerInnen. Unvergessen ist etwa der gewaltsame Übergriff von Nazis auf die 1. Mai-Demo in Dortmund im Jahr 2009. Das Verfahren gegen die Hauptverdächtigen zog sich über Jahre. 2012 wurden sie freigesprochen. 2014 stürmten rund 20 Neonazis die Wahlparty der demokratischen Parteien im Dortmunder Rathaus, es gab zahlreiche Verletzte. Doch nicht nur diese Taten haben dazu geführt, dass die Dortmunder BürgerInnen die Gewalt nicht länger hinnehmen wollen.
Die Vorsitzende des DGB-Stadtverbandes Dortmund und Sprecherin des örtlichen Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus Jutta Reiter betont: „Aus Dortmund ist in den letzten Jahren eine Stadt des Widerstandes geworden. Die Leute setzen sich gegen die Rechten zur Wehr.“ So könnten die rund 25 Nazis in dem besagten Stadtteil heute nicht mehr ungesehen auftreten und den Lebensalltag der etwa 20000 BürgerInnen tyrannisieren. Die gezielte Öffentlichkeitsarbeit der demokratischen Kräfte und der verstärkte Einsatz der Polizei zeigten Wirkung, erklärt Reiter. Gesellschaft und Polizei versuchen so zu verhindern, dass sich weitere Nazis ansiedeln.