Deutscher Gewerkschaftsbund

06.07.2012

Bert Rürup zum DGB-Rentenkonzept: Nervöse Reaktion eines Finanzmarktberaters

Unmögliches verspreche der Deutsche Gewerkschaftsbund mit seinem neuen Rentenkonzept, behauptet Bert Rürup und spricht von einem „Zaubertrick“. Doch hinter dem Angriff steckt sein vom Finanzmarkt geleitetes Interesse: Der einstige Architekt der Rentenkürzungspolitik berät heute die Finanzwirtschaft - sinkt die staatliche Rente weiter, nützt das vor allem den privaten Versicherern.

Von Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstandes

Eine Anwort auf den Vorwurf der „rentenpolitischen Zauberei“ von Bert Rürup
in der Online-Ausgabe des „Handelsblatt“ vom 04.07.2012

Die Kritik von Bert Rürup, einst Architekt der Rentenkürzungspolitik und heute Vorstandsmitglied der MaschmeyerRürup AG, am DGB-Rentenkonzept 2012 ist eine Polemik. Rürup versucht das DGB-Konzept lächerlich zu machen, indem er es mit einem "durchsichtigen Zaubertrick" vergleicht. So richtig will es ihm nicht gelingen. Man könnte meinen, der Erfinder von Rente mit 67 und Co. wäre beleidigt, weil das DGB-Konzept auf breite Zustimmung trifft. Doch dahinter verbirgt sich vielmehr sein vom Finanzmarkt geleitetes Interesse.

Kern von Rürups Kritik ist, dass das DGB-Rentenkonzept die Entwicklung nach dem Jahr 2030 nicht berücksichtigt. Rürup selbst prognostiziert einen Beitragsanstieg auf „fast 26 Prozent“ im Jahr 2040 – freilich ohne dies zu belegen. Das DGB-Konzept jedoch orientiert sich bewusst an den Projektionen der Bundesregierung. Es bezieht sich sowohl auf deren volkswirtschaftliche Annahmen als auch auf den Zeitrahmen – und dies ist bislang 2030. Noch nicht berücksichtigt im DGB-Konzept sind Reformen, wie zum Beispiel die Weiterentwicklung der Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung oder die Auswirkungen von Arbeitsmarktreformen wie die Abschaffung der Mini-Jobs und die Einführung von Mindestlöhnen.

Die Umsetzung dieser Reformen in den nächsten 15 Jahren ist eine realistische Perspektive. Deshalb dürften sich die Rahmenbedingungen für das Verhältnis von Belastungen und Leistungen deutlich verbessern.

Außerdem sind die Kosten der Alterung der Gesellschaft sowieso nicht wegzureformieren – die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen bereits jetzt hohe Einkommensanteile aufbringen, um mit privater Vorsorge die Lücken in der gesetzlichen Rente aufzufüllen, die der Gesetzgeber gerissenen hat.

Fakten wiederlegen Rürup

Weiter behauptet Bert Rürup, die Reserven nach dem DGB-Modell wären bis zum Jahr 2030 „abgeschmolzen“. Und die Probleme nach dem Jahr 2030 würden „um ein Vielfaches größer auftauchen“. Dies ist falsch, denn nach den Plänen der Bundesregierung würde die Nachhaltigkeitsrücklage bereits ab dem nächsten Jahr abgeschmolzen. Trotz der von der Bundesregierung geplanten Beitragserhöhung auf 22 Prozent läge die damit Rücklage im Jahr 2030 auf einem Mindestniveau von 0,22 Monatsausgaben (6,7 Milliarden Euro). Das Rentenniveau würde aber um ein Fünftel fallen.

Das DGB-Modell dagegen bietet – mit geringen Beiträgen – einen großen Gestaltungsspielraum. Wenn das heutige Rentenniveau bis zum Jahr 2030 stabilisiert wird, sowie die Erwerbsminderungsrente und das Reha-Budget deutlich aufgebessert werden, bliebe im Jahr 2030 immer noch eine Rücklage von 182 Milliarden Euro. Das bedeutet: die Reserven reichen weit über 2030 hinaus, ohne dass der Rentenbeitrag erhöht werden müsste. Die Probleme werden nicht größer – im Gegenteil: Die Abwertung der Rente wird verhindert, Altersarmut vermieden. Die Belastungen könnten – wie in den Regierungsplänen – auf 22 Prozent begrenzt werden.

Rente mit 67 könnte ausgesetzt werden

Das DGB-Modell bietet sogar die Möglichkeit, die Rente mit 67 zumindest einige Jahre auszusetzen. Denn die Berechnungen zeigen, dass die Nachhaltigkeitsrücklage bis zum Jahr 2025 weiter ansteigen würde, selbst wenn die Rente mit 67 abgeschafft wird. Erst ab dem Jahr 2026 würde die Nachhaltigkeitsrücklage sinken – auf 18,9 Milliarden Euro im Jahr 2030. Das ist fast dreimal so viel, wie nach den Plänen der Bundesregierung.

Und die Politik könnte der Logik folgen: Schaffen wir erst die Voraussetzung, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer länger gesund in Arbeit bleiben können – und erst dann reden wir darüber, ob und wie wir das Renteneintrittsalter erhöhen können. Genau dieser Logik verweigert sich die Bundesregierung. Rürup als Vorsitzender der Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme hat 2003 den Weg dafür bereitet.

Was steckt hinter Rürups Kritik?

Bert Rürup ist Vorstandsmitglied der MaschmeyerRürup AG, einem Beratungsunternehmen für „Entscheider der Finanzwirtschaft“ (Selbstbeschreibung im Internet). Aus dieser Sicht erklärt er, es gäbe „gute Gründe“, warum der Beitragssatz zur Rentenversicherung gesenkt werden muss, wenn die Reserve größer ist als 1,5 Monatsausgaben (ca. 26 Milliarden Euro).

Der Hintergrund von Rürups Überlegungen

Wird der Rentenbeitrag gesenkt und über Jahre auf einem niedrigen Niveau gehalten und werden deswegen die Renten weiter gesenkt, ist das gut für die privaten Versicherungen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hätten ein paar Euro mehr in der Tasche, die sie privat sparen können, und vor allem auch den Druck, privat vorzusorgen, weil die Löcher in der gesetzlichen Rente immer größer werden. Auch die Kapitalmärkte bleiben nicht von der demografischen Entwicklung verschont. Rürup wäre ein schlechter Finanzmarkt-Lobbyist, wenn er kritiklos zusehen würde, wie die Milliarden im solidarischen Umlagesystem vor dem Zugriff der Finanzjongleure gesichert wären.

Die Größenordnung

Wird der Beitragssatz auf 19,0 Prozent gesenkt, schrumpft die Nachhaltigkeitsrücklage bis zum Jahr 2020 auf 5,8 Milliarden. Euro. Nach dem DGB-Modell würde die Rücklage – trotz Verbesserung der Renten – auf mindestens 92,5 Milliarden Euro steigen. Es geht allein in diesem Zeitraum um über 86,7 Milliarden Euro, die dadurch solidarisch finanziert in die Rücklage der Rentenversicherung gehen - und auf die hat es Rürup abgesehen.

Der Nebeneffekt – nicht nur ein Nebeneffekt

Rürup hat die Rentenpolitik in den vergangenen Jahren maßgeblich mitbestimmt. Sinkt das Rentenniveau so, wie er es entworfen hat, um ein Fünftel, steigt der Druck auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie müssen in – wenn möglich: betriebliche – oder private Altersvorsorge zu investieren, um trotz jahrzehntelanger Beiträge nicht in Altersarmut abzurutschen. Nicht, dass eine zusätzliche Vorsorge generell Teufelszeug wäre – die Sparquote in Deutschland ist - und dies über Jahrzehnte - beträchtlich, aber:

Vor allem die jungen Generationen sollen geködert werden, in private Finanzprodukte zu investieren – dafür wurde die gesetzliche Rentenversicherung seit Jahren nicht nur schlecht geredet, sondern auch „schlecht-reformiert“. Genau das wollen wir ändern.

Der Wind hat sich gedreht

Es verwundert nicht, dass die Finanzmarkt-Lobby versucht, eine solidarische Idee, die große Gestaltungsspielräume bietet und damit gute Umsetzungschancen verspricht, zu torpedieren. Die Argumente sind allerdings schwach – das zeigt auch der aktuelle Beitrag des einstigen Wirtschaftsweisen Bert Rürup.


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