Deutscher Gewerkschaftsbund

26.11.2012
Ringvorlesung "Wohlstand ohne Wachstum?"

Debatte: Wohlstand und Wachstum neu definieren

Die Finanzkrise hat gezeigt: Eine Wirtschaftsmodell, das ausschließlich auf Wachstum setzt, kann gesellschaftlichen Wohlstand gefährden. Müssen Wachstum und Wohlstand deshalb neu definiert und gemessen werden? Diese Frage diskutierte der DGB im Rahmen der Ringvorlesung „Wohlstand ohne Wachstum?“ am 22. November in Berlin. Klar wurde: das Thema Nachhaltigkeit gehört ins Zentrum der Debatte.

Ringvorlesung Wohlstand ohne Wachstum

Ringvorlesung "Wohlstand ohne Wachstum?". Eine Veranstaltung von DGB und TU Berlin im intersemester 2012/13. DGB/TU Berlin

„Unser konventionelles Wachstumsmaß, das Bruttoinlandsprodukt, ist ein sinnvolles Instrument – aber blind für Nachhaltigkeit und Stabilität“, fasste Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung (IMK), die Kritik am herkömmlichen Wachstumsbegriff zusammen. Dennoch bleibt aus Horns Sicht das Bruttoinlandsprodukt (BIP) weiterhin ein wichtiger Indikator. Es müssten aber auch weitere soziale und nachhaltige Indizes für materiellen und immateriellen Wohlstand etabliert werden. Denn das BIP messe schließlich nur den Marktwert der produzierten Waren und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft. Es messe nicht, wie sie hergestellt werden und ob sie politisch und gesellschaftlich gewollt sind.

Steigende Arbeitslosigkeit mindert Wohlstand

Gesellschaftlicher Wohlstand habe deshalb in der Regel keine zwangsläufige Verbindung zu ökonomischem Wachstum, so Horn. Bis auf eine: „Steigende Arbeitslosigkeit mindert Wohlstand“, so Horn. Und hohe Arbeitslosigkeit resultiere eben häufig aus zu geringem ökonomischem Wachstum. „Wohlstand ohne Wachstum ist prinzipiell rechnerisch möglich – aber unwahrscheinlich“, lautete deshalb das Resümee des IMK-Direktors. Denn viele nachhaltige und soziale Maßnahmen, wie Investitionen in Bildung oder in den Umweltschutz, steigerten schließlich auch das BIP. Horn plädierte aber dafür, Wachstum nicht ausschließlich als ein reines Mehr bereits vorhandener Waren zu verstehen. Auch neue Produktionsweisen und die Entwicklung völlig neuer nachhaltiger Produkte oder sozialer Dienstleistungen würden Wachstum generieren. „Wachstum muss nicht ‚mehr Autos‘ heißen, Wachstum kann auch ‚andere Autos‘ heißen“, verdeutlichte Horn seinen Ansatz.

Die Referenten

Die Ringvorlesung "Wohlstand ohne Wachstum" findet während des Wintersemesters 2012/13 jeden Donnerstag von 18–20 Uhr im Hörsaal H 1012 statt. Die weiteren Termine und ReferentInnen finden Sie in der Vorlesungsübersicht.

 „Wachstum ist zum Fetisch geworden“

Hans Diefenbacher von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), forderte hingegen eine deutlichere Abkehr vom BIP als zentralem Indikator. „Der Begriff Wachstum ist in der Bundesrepublik zu einem Fetisch geworden“, so der Heidelberger Professor. Die Politik sei deshalb in der schizophrenen Situation, dass sie einerseits für Wachstum sorgen und andererseits eine ökologische und soziale Trendwende herbeiführen solle. Doch diese Trendwende führe nach dem konventionellen Wachstumsbegriff voraussichtlich dazu, dass die Wirtschaft schrumpfe. Deshalb müsse ein neuer Indikator mit Wohlfahrtsaspekten die mediale Vormachtstellung des BIP brechen, damit die Politik einen öffentlichen Anreiz hat, ihre Ziele nachhaltiger auszurichten. Als Beispiel nannte Diefenbacher den vom FEST mitentwickelten Nationalen Wohlfahrtsindex, in den auch Umwelt-, Gesundheits-, Konsum- und Verteilungsdaten einfließen.

Neues Wachstumsmodell löst nicht die Verteilungsfrage

Die Diskussion um einen neuen Wachstumsbegriff sei in der Politik angekommen, so Diefenbacher. Trotzdem müsse diese Diskussion auch zu konkreten Maßnahmen führen. Die schwache Entwicklung der realen Einkommen zeige: Der Zuwachs beim BIP kommt bei den Menschen zu großen Teilen nicht an. Stattdessen verschwinde die Wertschöpfung auf den internationalen Finanzmärkten. Genau auf diese ungenügende Verteilung von Wertschöpfung und Wohlstand machte zum Ende der Diskussion im Anschluss an die Ringvorlesung auch Olivier Höbel, Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen, aufmerksam: „Mit der Umdefinition von Wachstum haben wir die Verteilungsfrage noch nicht gelöst.“


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