Deutscher Gewerkschaftsbund

24.03.2023
Arbeitsmarkt: Zahl des Monats

Rund 194.000 Menschen waren 2021 in Deutschland durchschnittlich gleichzeitig „kurzfristig beschäftigt“

„Kurzfristig Beschäftigte“ arbeiten ohne jeden Sozialversicherungsschutz, trotz harter Arbeit in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungsbereich. Das Modell ist sehr anfällig für Missbrauch! Der DGB fordert deshalb, die kurzfristige Beschäftigung auf Ausnahmefälle wie Studierende und Schüler*innen zu beschränken und den maximalen Zeitraum auf 50 Tage zu verkürzen.

Arbeiterinnen bei der Erdbeerernte

DGB/123rf/Ruud Moriyn

Arbeit ohne Sozialversicherung

Die so genannte kurzfristige Beschäftigung ist eine Form der geringfügigen Beschäftigung. Ihr bekannterer Zwilling ist der so genannte Minijob. Beiden ist gemeinsam, dass der Sozialversicherungsschutz stark reduziert ist. Während der Minijob anhand der Höhe des Arbeitsentgelts abgegrenzt wird, kommt es bei der kurzfristigen Beschäftigung auf die Gesamtdauer des Beschäftigungsverhältnisses an: diese beträgt maximal drei Monate oder 70 Arbeitstage. Eine kurzfristige Beschäftigung liegt nicht vor, wenn die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und das Entgelt über der Minijobgrenze liegt. So die Theorie – in der Praxis wird nämlich gerade die Berufsmäßigkeit nicht ganz so gründlich geprüft, obwohl sie in vielen Fällen gegeben ist. Das bedeutet: Viele Menschen arbeiten sozialversicherungsfrei, obwohl sie von Rechts wegen eigentlich versichert sein müssten.

Warum gibt es „kurzfristig Beschäftigte“ und wo arbeiten sie?

Warum gibt es eine solche Regelung für die „kurzfristige Beschäftigung“? Ursprünglich wurde die Regelung für Schüler*innen und Studierende eingeführt, für die sie auch sinnvoll ist. Inzwischen wird sie aber in der Landwirtschaft im großen Stil bei Saisonbeschäftigten (meist aus Mittel- und Osteuropa) angewandt. Hier ist sie nach Beobachtungen aus der Beratungspraxis stark missbrauchsanfällig. Das wird auch in der anlaufenden Erntesaison 2023 nicht anders sein. Die Statistik zeigt: Die Landwirtschaft ist die wichtigste Einsatzbranche mit rund einem Fünftel aller kurzfristig Beschäftigten. Viele kurzfristig Beschäftigte gibt es aber auch in der Leiharbeit. (Seit der Abschaffung eines entsprechenden Verbots im Zuge der Hartz-Gesetze sind Leiharbeitsverhältnisse oft auf die Dauer des Einsatzes im entleihenden Unternehmen befristet.) Weitere wesentliche Einsatzbranchen kurzfristig Beschäftigter sind: Verarbeitendes Gewerbe, Einzelhandel, die Kurier-, Express und Paketbranche, Gastronomie, Werbung, tertiärer Unterricht (z. B. an Hochschulen) sowie Gesundheits- und Sozialwesen. In all diesen Branchen zusammengenommen sind rund zwei Drittel aller kurzfristig Beschäftigten tätig.

Kurzfristig Beschäftigte nach Branchen

Die nachfolgende Grafik zeigt die kurzfristig Beschäftigten nach den wichtigsten Einsatzbranchen im Jahr 2021. Sie beruht auf einer Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage des DGB. Die Gesamtzahl von rund 194.000 (und dasselbe gilt auch für die Daten nach einzelnen Merkmalen) ist übrigens ein Jahresdurchschnittswert: Sie besagt also nicht, wie viele Menschen im gesamten Jahresverlauf kurzfristig beschäftigt waren – das dürften deutlich mehr Personen sein –, sondern wie viele es an einem durchschnittlichen Tag eines Jahres gleichzeitig waren.

Grafik mit Tortendiagramm zu den Branchen für kurzfristig Beschäftigte.

DGB/Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit

Was bedeutet kurzfristige Beschäftigung konkret?

Gesetzlichen Sozialversicherungsschutz haben kurzfristig Beschäftigte nur in der gesetzlichen Unfallversicherung, nicht in den anderen Versicherungszweigen (Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung). Die Voraussetzungen der Sozialversicherungsfreiheit sind zwar bei vielen Menschen, die formal kurzfristig beschäftigt sind, gar nicht erfüllt. Sie können aber leicht umgangen werden. Es kommt deshalb vielfach vor, dass gerade ausländische Beschäftigte während der kurzfristigen Beschäftigung zu Unrecht nicht versichert sind. Branchenübergreifend stellen diese im Jahresschnitt nur weniger als ein Drittel der kurzfristig Beschäftigten, in den beiden wichtigsten Einsatzbranchen aber deutlich mehr: in der Landwirtschaft stellen sie über drei Viertel und in der Leiharbeit fast die Hälfte der kurzfristig Beschäftigten. Den ausländischen Beschäftigten entstehen durch das Modell der kurzfristigen Beschäftigung besonders große Probleme bei der sozialen Sicherung.

Nachteile bei der Altersversorgung

Besonders schwerwiegende Nachteile drohen kurzfristig Beschäftigten aus dem Ausland in der Altersversorgung. Bei jährlich wiederkehrender Saisonarbeit können ihnen bedeutende Lücken im Rentenversicherungsverlauf entstehen, wenn sie auch nicht im Herkunftsstaat abgesichert sind. Viele werden deshalb später auf Sozialleistungen angewiesen sein. Ihnen droht trotz jahre- und jahrzehntelanger harter Arbeit Altersarmut.

Harte Arbeit ohne Krankenversicherungsschutz

Bislang waren kurzfristig Beschäftigte ohne Wohnsitz in Deutschland in vielen Fällen weder in ihren Herkunftsländern noch in Deutschland krankenversichert. Im Falle einer Erkrankung mussten sie die Kosten für die Behandlung aus eigener Tasche tragen. Seit dem 1.1.2022 gilt zwar eine Nachweispflicht für Arbeitgeber über eine Krankenversicherung, doch muss nur nachgewiesen werden, wie kurzfristig Beschäftigte „für die Dauer der Beschäftigung krankenversichert sind“. Doch was heißt das? In der Praxis schließen zum Beispiel Landwirte oft private Gruppen-Krankenversicherungen für Saisonbeschäftigte ab, die nicht den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung haben. Dennoch werden sie in der Verwaltungspraxis bislang ausdrücklich anerkannt. Kosten, die nicht von der Krankenversicherung gedeckt sind, verbleiben daher bei den Beschäftigten. In diesen Fällen hat sich gegenüber der bisherigen Rechtslage nichts verbessert: Die Beschäftigten müssen entweder auf medizinisch notwendige Behandlungen verzichten oder aber sie sind erheblichen finanziellen Forderungen ausgesetzt. Auch einen Anspruch auf Krankengeld haben sie nicht, obwohl in den ersten vier Beschäftigungswochen der Arbeitgeber nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist. Mit dem Schutzniveau der gesetzlichen Krankenversicherung ist sind diese Versicherungen daher nicht vergleichbar.

Was fordert der DGB für die kurzfristige Beschäftigung?

Der DGB fordert gemeinsam mit seinen Mitgliedsgewerkschaften, dass die kurzfristige Beschäftigung auf Ausnahmefälle wie Studierende und Schüler*innen beschränkt sein muss, wofür sie ursprünglich einmal gedacht war. Der maximale Zeitraum sollte 50 Tage im Jahr betragen. In allen anderen Fällen muss es vollen Sozialversicherungsschutz geben!


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