"Die europäischen Parlamentswahlen im Mai 2019 werden darüber entscheiden, ob eine demokratische EU weiter Bestand hat", schreiben der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, Gesine Schwan und Udo Bullmann in einem Gastbeitrag für DIE ZEIT. Die populistische Rechte jedenfalls habe fest vor für die Transformation in ein illiberales Europa zu mobilisieren. "Wenn wir die ungelösten Fragen in der EU weiter vor uns herschieben, hat sie realistische Chancen."
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Dieser Beitrag ist erschienen in: DIE ZEIT, Nr. 41/2018, 4. Oktober 2018
Die europäischen Parlamentswahlen im Mai 2019 werden darüber entscheiden, ob eine demokratische EU weiter Bestand hat. Die populistische Rechte jedenfalls hat fest vor, mit der seit Jahren offenen Flüchtlingsfrage für die Transformation in ein illiberales Europa zu mobilisieren. Wenn wir die ungelösten Fragen in der EU weiter vor uns herschieben, hat sie realistische Chancen. Rasche und nachhaltige Entscheidungen sind jetzt in der EU höchst dringlich!
Ihrer Krise begegnen Politiker mit unterschiedlichen Grundhaltungen: Die einen werben für die EU, wollen weiter machen wie bisher. Die anderen halten die Krise für das Ergebnis von zu viel Integration, die entweder eine illiberale Demokratie (rechte Politiker) oder sozialstaatlichen Schutz (linke Politiker) verhindert. Sie wollen mehr Nationalstaat.
Die Anhänger des »Weiter so!« setzen auf die Fortsetzung angebotsorientierter Strukturreformen, auf Deregulierung, Schwächung der Gewerkschaften, Privatisierung und globalen Preiswettbewerb. Damit treiben sie die verunsicherten Bürgerinnen und Bürger weiter in die Arme der populistischen Rechten, die ihnen Sicherheit durch geschlossene Grenzen versprechen sowie einen autoritären Nationalstaat mit sozialstaatlichem Schutz exklusiv für das eigene Volk. Darin treffen sie sich mit einem Teil der Linken, der auf mehr Nationalstaat drängt und versucht ist, die Armen zu Hause gegen die Armen aus Afrika auszuspielen
Wir plädieren für eine dritte Haltung: Um die demokratische EU zu erhalten und als wichtigen Akteur in den zunehmenden weltpolitischen Herausforderungen zu befähigen (was kein Nationalstaat mehr leisten kann), müssen wir schnell eine Politikwende schaffen, die die Mitglieder der Union wieder zu gemeinsamem Handeln bringt.
Seit zehn Jahren mangelt es radikal an Solidarität, in der EU und nach außen: ganz augenfällig in der Armuts- und der Flüchtlingsfrage. Damit bleibt auch das Wohlstandsversprechen für immer mehr Menschen uneingelöst. Das ist einer kurzsichtigen EU-Politik geschuldet, die spätestens seit der Finanzkrise die politische Gestaltung und soziale Bändigung des globalen Kapitalismus unterminiert und die Gegensätze in der Union verschärft hat.
Deshalb kommt es jetzt darauf an, Mehrheiten für eine neue Politik zu schaffen, die Sicherheit und Wohlstand für alle fördert, den Bürgern das Vertrauen in demokratische Politik zurückgibt und ihnen mehr politische Mitentscheidung ermöglicht. Wir sollten uns nicht an der Stelle kurzatmiger Interessen orientieren, die nur die nationale Wiederwahl im Blick haben, sondern an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen.
Dafür brauchen wir eine Politik der kooperativen Aufwärtskonvergenz anstelle des bisher überall forcierten Wettbewerbs. Nicht mehr Schwächung von Gewerkschaften und Arbeitnehmern, nicht mehr schlichte Priorität für einen deregulierten Markt und die Privatisierung öffentlicher Güter, die die Divergenz zwischen Arm und Reich und den Raubbau an Natur und Umwelt verschärft haben. Der Vorrang der Binnenmarktfreiheiten vor den sozialen Grundrechten muss aufhören.
Das Dogma des ausgeglichenen Haushalts hat als Kehrseite der Medaille überdies deutliche Lücken bei der Investition in Infrastrukturen, in öffentliche Güter (Wohnungen in den Gemeinden, Verhinderung des Klimawandels) und in Zukunftsindustrien hinterlassen. Hier sind zwischen den Unionsmitgliedern abzustimmende Investitionen erforderlich, die vor allem in Südeuropa zugleich Arbeitsplätze schaffen können. Das spricht für eine gezielte Unterstützung von Gemeinden, die die wirtschaftliche und soziale Situation für die Bürgerinnen und Bürger besonders spürbar verbessern kann.
Hier bietet es sich an, Vorschläge für ein größeres stabilisierendes Euro-Budget aufzugreifen, wie sie aus der sozialdemokratischen Europafraktion, dem Europäischen Parlament, aber auch vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron unterbreitet wurden. Ein solches Budget muss die ökonomischen Divergenzen ausgleichen können und im Rahmen des EU-Haushalts vom Europäischen Parlament kontrolliert werden. Diese Investitionen müssen zudem eine ökologische Transformation bewirken, die die schwierigen Veränderungen der Wirtschaftsstruktur fair und partizipatorisch gestaltet. So könnte die EU ihrer ursprünglichen Vorreiterrolle wieder gerechter werden, nicht zuletzt um die klimabedingte Armut im globalen Süden einzudämmen.
Schließlich: Sehr schnell müssen wir eine neue europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik, vor allem rasche transparente Asylverfahren und eine effektive dezentrale Aufnahme in der EU zustande bringen, aus Gründen der Menschlichkeit und um der populistischen Rechten ihr entscheidendes Mobilisierungsthema zu nehmen.
Man kann die Flüchtlingsfrage nämlich in eine Chance kommunaler partizipatorischer Entwicklung verwandeln. Wenn die EU einen Integrations- und Investitionsfonds zur Verfügung stellt, bei dem sich aufnahmebereite Gemeinden um die Finanzierung der Integrationskosten sowie, in gleicher Höhe, für ihre eigene dringende Entwicklung bewerben können – dann könnten viele Probleme auf einmal gelöst werden.
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