Deutscher Gewerkschaftsbund

16.07.2019

Infografiken: Streiks und Arbeitskämpfe von 1848 bis heute

Der Streik war und ist das Mittel für ArbeitnehmerInnen, um ihre Interessen gemeinsam durchzusetzen. Statistische Erhebungen gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Wir zeigen, wann und wie häufig ArbeitnehmerInnen in Deutschland seitdem gestreikt haben.

Streik für Betriebsverfassung

ver.di-Archiv

Eine Anmerkung zu Infografiken und Text: Um Streiks und Ausperrungen seit 1848 bis heute zu vergleichen, ist es notwendig, diese in verschiedenen Grafiken darzustellen. Denn die Zahlen sind aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und fußen auf unterschiedlichen statistischen Grundlagen. Eine einheitliche systematische Erhebung gibt es nicht. Ab 1890 stellt die Grafik die Arbeitskämpfe der Freien Gewerkschaften dar. Zudem können nicht alle Streiks dargestellt werden. Im Folgenden haben wir einige zentrale Arbeitskämpfe der vergangenen 150 Jahre herausgestellt.

1873: Streik der Buchdrucker - erster Flächentarifvertrag in der deutschen Geschichte

Einer der ersten großen Streiks fand 1873 statt. Die Drucker kämpfen insgesamt vier Monate lang für bessere Arbeitsbedingungen. Mit Erfolg: Am 8. Mai 1873 wurde der erste Flächentarifvertrag in der deutschen Geschichte durch einen Streik erkämpft. Dieser regelte fortan den Preis der Arbeit für den Satz nach Schriftgattung, das Recht auf einen Mindestlohn, eine zehnstündige Arbeitszeit, Überstundenzuschläge und eine 14-tägige Kündigungsfrist.

1889: Der große Bergarbeiterstreik

Am Streik von 1889 beteiligten sich nahezu alle Bergarbeiter des Ruhrgebiets, rund 90.000 Beschäftigte. Ihr Ziel: Eine bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Eine militärische Intervention durch die Obrigkeit hatte bereits in der ersten Streikwoche elf Tote und zwei Dutzend Verwundete als Opfer zur Folge. Trotz der blutigen Niederschlagung war auch dieser Streik nicht erfolglos: Er führte zu ersten Gewerkschaftsgründungen im Ruhrgebiet, zudem trug er maßgeblich dazu bei, das unter Bismarck verhängte Sozialistengesetz zu Fall zu bringen: Im Jahr 1890 konnten Gewerkschaften und Arbeiterparteien wieder legal auftreten. Zur Chronologie des Bergarbeiterstreiks...

1896/1897: Der Hamburger Hafenarbeiterstreik

Ein weiterer großer Arbeitskampf fand 1896/1897 in Hamburg statt. Dort traten die Hafenarbeiter in den Streik. Sie mussten harte körperliche Arbeit beim Be- und Entladen der Schiffe leisten. Ihre Bezahlung war sehr schlecht. Zudem mussten sie häufig mehrere Tage auf den nächsten Arbeitsauftrag warten. Der Streik begann am 21. November 1896, dauerte elf Wochen und umfasste auf dem Höhepunkt fast 17.000 Arbeiter. Ein Großteil gehörte keiner Gewerkschaft an. Der Arbeitskampf endete am 6. Februar 1897 mit der Niederlage der Streikenden. Die Auseinandersetzung hatte erhebliche Auswirkungen auf die Hamburger Wirtschaft und erregte auch außerhalb Deutschlands Aufsehen. Allerdings: Die Hafenarbeiter demoralisierte ihre Niederlage nicht, sie begannen stattdessen, massenhaft in die Gewerkschaft einzutreten. Ende 1897 waren über 6700 Mitglied der Gewerkschaft geworden. Mehr dazu in einem Beitrag der taz...

Generalstreik 1920: Arbeiter- und Beamte vereint gegen den Kapp-Putsch

Als die „Brigade Ehrhardt” am 13. März 1920 in Berlin einmarschiert und sich der ehemalige ostpreußische Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp zum Reichskanzler ausrufen lässt, als die rechtmäßig gewählte Regierung – von der Reichswehr im Stich gelassen – aus Berlin flieht, da beweisen große Teile der Arbeiter- und auch der Beamtenschaft ihre Loyalität zur gefährdeten Regierung: Noch am 13. März 1920 rufen ADGB und AfA-Bund zum Generalstreik auf. Am 14. März wird der Aufruf von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), am 15. März von den Christlichen Gewerkschaften und am 16. März auch vom Deutschen Beamtenbund unterstützt. Nach fünf Tagen Generalstreik geben die Putschisten – am 17. März 1920 – auf.

Die frühen 1920er Jahre: Viele Arbeitskämpfe und steigende Inflation

Das gewerkschaftliche Engagement in der Lohn- und Arbeitszeitfrage zeigt sich von 1920 bis 1922 – trotz geschwächter Kampfkraft – in zahlreichen Arbeitskämpfen. Gewiss unterliegt die Streikbereitschaft deutlich konjunkturell bzw. wirtschaftlich bedingten Schwankungen. Doch der sprunghafte Anstieg und das hohe Niveau der Streikaktivität 1919 bis 1922 zeigen vor allem den Erwartungshorizont der Arbeiterschaft, die eine Verbesserung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage durchzusetzen wollen. Doch 1923 – in der Hochinflation – machen sich Verbitterung und auch Resignation breit. Die Streikaktivitäten gehen zurück, schreibt der Historiker Michael Schneider auf gewerkschaftsgeschichte.de...

1949 bis 2019: Streikgeschichte der Bundesrepublik Deutschland

Der Streik war in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung immer ein zentrales Mittel, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Zu den großen Erfolgen in der Bundesrepublik, die unter anderem durch Streiks erkämpft wurden, zählt die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (1956/57). In den vergangenen Jahren wurden vor allem deutliche Einkommensverbesserungen für Erzieherinnen und Erzieher (Kitastreik 2015) durch Streiks erkämpft. (Quelle: Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik 2019)

  • 1945 bis 1949: Tarifrecht, Arbeitskämpfe und Tarifverträge

    Nach 1945 Wiederherstellung der Tarifvertragsfreiheit Wiederaufbau der Gewerkschaften – zunächst Bewältigung der dringendsten Alltagsprobleme – nach und nach Entwicklung konkreter tarifpolitischer Vorstellungen.

    1948 Aufhebung des von den Alliierten verhängten Lohnstopps und schrittweise Ablösung der Tarifordnungen der NS-Zeit durch Tarifverträge.

    1949 Verabschiedung des Tarifvertragsgesetzes (9.4.1949). Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz: Verankerung der Koalitionsfreiheit.

  • 1950 bis 1959: Tarifverhandlungen und erste Streiks

    1950-53 Lohnstreiks in verschiedenen Wirtschaftszweigen, darunter: Bauindustrie, Land- und Forstwirtschaft, Metallindustrie, grafisches Gewerbe, Textil- und Werftindustrie.

    1952 Streik für das Betriebsverfassungsgesetz, u.a. 3-tägiger Streik in der Zeitungsindustrie

    1954 18-tägiger Streik in der bayerischen Metallindustrie endet mit einer faktischen Niederlage: Anhebung der Löhne und Gehälter, aber Verschlechterung des Lohngruppenschlüssels; Maßregelung von Streikteilnehmern.

    1956/57 16-wöchiger Streik in der schleswig-holsteinischen Metallindustrie um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

  • 1960 bis 1969: Streiks in der Metallindustrie

    1963 Zweiwöchiger Arbeitskampf in der baden-württembergischen Metallindustrie: 120.000 Streikende und 250.000 Ausgesperrte. 5 Prozent mehr Lohn, weitere 2 Prozent im Jahr 1964.

    1969 Spontane Streikwelle („Septemberstreiks“) nach Tarifverträgen mit langen Laufzeiten und sehr moderaten Lohnerhöhungen (Stahl, Metall, Textil, öffentlicher Dienst): betriebliche Zulagen und verkürzte Tariflaufzeiten.

  • 1970 bis 1979: Arbeitskämpfe im öffentlichen Dienst und für 35-Stunden-Woche

    1971 Erster Arbeitskampf in der chemischen Industrie nach 50 Jahren; Ergebnis: 7,8 Prozent Lohnerhöhung und schrittweise Tarifierung des 13. Monatsgehalts.

    1973 Spontane Streiks zur Durchsetzung von Teuerungszulagen.

    1974 Nach dreitägigem Streik im öffentlichen Dienst: 11 Prozent mehr Lohn, mindestens 170 DM.

    1976 Streik in der Druckindustrie mit massiven Aussperrungen

    1978 Abschluss eines Tarifvertrages zur Absicherung gegen die sozialen Risiken der neuen rechnergesteuerten Satzsysteme in der Druckindustrie.

    1978/79 Streik in der Stahlindustrie um die 35-Stunden-Woche; Ergebnis: 30 Tage Jahresurlaub (ab 1982), zusätzliche Freischichten für ältere Arbeitnehmer und Schichtarbeiter. 6 Wochen Urlaub in der Folge auch bei: Textil (1981), Metall, Versicherungen (1982), Steinkohle, Druck (1983), Papiererzeugung, Holz, Banken (1984).

  • 1980 bis 1989: Arbeitszeitverkürzung und qualitative Tarifpolitik

    1984 Erneuter Beginn des Kampfes um die 35-Stunden-Woche: Streiks in der Metall- und Druckindustrie; schrittweise Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 38,5 Stunden, Flexibilisierung der Arbeitszeit; später u.a. auch in zahlreichen anderen Bereichen.

    1989 Arbeitskampf im Einzelhandel (Arbeitszeitverkürzung/Ladenschluss) sowie in der Druckindustrie (freies Wochenende).

  • 1990 bis 1999: Kampf für Tarifeinheit in Ost und West

    1990 Streik um Erholungszeiten bei der Deutschen Bundespost.

    1992 11-tägiger Streik im öffentlichen Dienst, bei Bahn und Post: 5,4 Prozent mehr Lohn und Gehalt und 200 DM mehr Urlaubsgeld.

    1993 Ostdeutsche Metallindustrie: Zweiwöchiger Streik gegen die rechtswidrige Arbeitgeber-Kündigung des Stufentarifvertrags von 1991; Ergebnis: Streckung der Entgeltangleichung, Einführung von Härtefallklauseln für gefährdete Betriebe.

    1995 35-Stunden-Woche in der Druck- und der Metallindustrie. Tariferfolg nach 11-tägigem Streik in der bayerischen Metallindustrie: 3,4 Prozent mehr Lohn, weitere 3,6 Prozent im Jahr 1996.

  • 2000 bis 2019: Angriffe auf die Tarifautonomie

    2003 Nach zweiwöchigem Arbeitskampf scheitert die IG Metall mit dem Versuch, in der ostdeutschen Metallindustrie die 35-Stunden-Woche durchzusetzen.

    2005/2006 Neuer Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) (Bund, Kommunen) und nach heftigem Arbeitskampf auch bei den Ländern (TVL).

    2015 Intensive Arbeitskämpfe im Sozial- und Erziehungsdienst, bei der Deutschen Post, der Deutschen Bahn (GDL) und der Lufthansa (Piloten).

Das Streikjahr 1952: Kampf um die Betriebsverfassung

In der Geschichte der Bundesrepublik gab es einige Phasen mit intensiven Streiks. Die Grafik spiegelt zum Einen die großen Flächenstreiks der IG Metall um Lohnerhöhungen wieder. Außerdem: 1952 ging es in den politischen Auseinandersetzung um das Betriebsverfassungsgesetz. Die Gewerkschaften wollten die Regeln der Montanmitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft ausweiten. Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer war dazu nicht bereit. Der DGB rief deshalb im Mai 1952 zu Demonstrationen und Proteststreiks auf, an denen sich bundesweit mehr als eine Million Arbeitnehmer beteiligten. Ihren Höhepunkt fanden die Protestaktionen  in einem zweitägigen Zeitungsstreik der Industriegewerkschaft Druck und Papier am 28. und 29. Mai 1952. Zwar war dieser Streik auf dem ersten Blick erfolgreich, da an beiden Tagen keine Tageszeitungen erschienen; er bewirkte  aber einen deutlichen Sympathieverlust, da der Streik als gewerkschaftlicher Angriff auf die Pressefreiheit hingestellt wurde. Mehr dazu...

1970er Jahre: "Steinkühlerpause" und der Arbeitskampf im öffentlichen Dienst

Unter dem Schlagwort "Humanisierung der Arbeitswelt" kämpften die Gewerkschaften in den 1970er Jahren für bessere Arbeitsbedingungen. So etwa die IG Metall 1973 in Baden-Württemberg. Unter anderem konnte als Ergebnis von Streiks die „Steinkühlerpause“ durchgesetzt werden. Akkordarbeitern stand nun eine zusätzliche Erholungspause von 5 Minuten je Arbeitsstunde zu. Benannt wurde die Pause nach dem IG Metall-Verhandlungsführer und späteren Ersten Vorsitzenden der IG Metall Franz Steinkühler.

Im Februar 1974 streikte in Westdeutschland der Öffentliche Dienst drei Tage lang und erreichte damit eine Lohnerhöhung von 11 Prozent. Ein weiterer großer Streik im öffentlichen Dienst folgte 1992. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete den Konflikt der damaligen ÖTV als "härtesten Arbeitskampf" im ÖD. Zeitweilig waren mehr als 330.000 Beschäftigte involviert. Die ÖTV fordert 9,5 Prozent mehr Einkommen und einem Zuschlag auf das Urlaubsgeld von 550 DM. Am Ende wurden es 5,4 Prozent plus Sonderzahlung. 

Die vergangenen 20 Jahre waren geprägt durch eine sinkende Tarifbindung. Immer weniger Beschäftigte profitieren von einem Flächentarifvertrag. Die Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst im Frühjahr 2006 markiert einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Tarifpolitik und der Arbeits- und Einkommensbedingungen in diesem Sektor und darüber hinaus. Erstmals nach 14 Jahren sahen sich die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst zu einem breit angelegten Streik zur Durchsetzung ihrer tarifpolitischen Ziele gezwungen. In den Kommunen ging es unter anderem um die Abwehr einer Verlängerung der gerade erst tariflich festgeschriebenen Wochenarbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden und mehr. Mehr dazu...

2008 bis 2017: Franzosen streiken häufiger als Deutsche

Trotz Streiks und Aussperrungen verlaufen Tarifrunden in Deutschland häufig konsensorientiert. Umso deutlicher wird das, wenn man sich die durch Streik und Aussperrungen ausgefallenen Arbeitstage in anderen Ländern anschaut. An der Spitze liegt Frankreich mit rund 118 ausgefallenen Arbeitstagen je 1000 Beschäftigten. Besonders das Jahr 2010 sorgt mit 318 ausgefallenen Arbeitstagen je 1000 Beschäftigten dafür, dass Frankreich an der Spitze der Auswertung steht. Unter anderem sind die Franzosen gegen eine Heraufsetzung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre auf die Straße gegangen.


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