Deutscher Gewerkschaftsbund

27.10.2022

Höchste Zeit für eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie

Der Ausbildungsmarkt wurde von der Corona-Krise schwer getroffen. Der DGB will die duale Berufsausbildung stärken und fordert eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie. Der diesjährige Tag der Berufsbildung am 3. und 4. November steht unter den Titel „Perspektiven schaffen: Ausbildungsgarantie JETZT!“. Zur Attraktivität der dualen Ausbildung hat Arbeits- und Wirtschaftssoziologe Prof. Dr. Gerhard Bosch vier Fragen beantwortet.

Azubi (junge Frau) mit Maßband an Holz-Werkstatt; im Hintergrund der Ausbilder

Colourbox.de

Der Ausbildungsmarkt wurde von der Corona-Krise schwer getroffen und ist, trotz einer leichten Erholung bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im Jahr 2021, vom Vor-Pandemie-Niveau noch weit entfernt. Es besteht die Gefahr, dass Ausbildungsplatzverluste wie schon nach der Finanzkrise 2008 nicht aufgeholt werden können. Der sich seit Jahren verschärfende Fachkräftemangel, die große Zahl junger Menschen ohne Ausbildung und ohne Berufsabschluss und ein intransparenter Übergangsbereich machen deutlich, dass das System der dualen Berufsausbildung gestärkt werden muss.
Unser Ziel ist eine Steigerung der betrieblichen Ausbildungsplätze, eine verbesserte Einmündung in betriebliche Ausbildung und eine Garantie auf eine Ausbildung für junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz finden. Dafür braucht es neue Wege mit wirkungsvolleren Instrumenten.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern deshalb eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie, die jedem Jugendlichen den Weg zu einem Berufsabschluss öffnet und dabei die Betriebe nicht aus der Verantwortung entlässt.

„Perspektiven schaffen: Ausbildungsgarantie JETZT“ ist der Titel des diesjährigen DGB-Tags der Berufsbildung der am 3. und 4. November 2022 in Berlin stattfindet. Mit Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft, DGB-Expert*innen in den Ausschüssen der beruflichen Bildung, Betriebs- und Personalräten sowie Jugend- und Auszubildendenvertretungen reden wir über Wege in Ausbildung für alle jungen Menschen.

Vorab…

„Vier Fragen an…“ Prof. Dr. Gerhard Bosch (Universität Duisburg-Essen) zur Attraktivität der dualen Berufsausbildung

 

Portraitfoto von Prof. Gerhard Bosch

IAQ

Prof. Gerhard Bosch ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen sowie Senior Professor und Senior Fellow der Hans-Böckler-Stiftung.

Sehr geehrter Herr Prof. Bosch, ist die duale Ausbildung für junge Menschen noch attraktiv?

Die großen Pluspunkte sind erstens die Qualität der Ausbildung in der überwiegenden Anzahl der Betriebe, zweitens die guten Chancen, nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz zu finden, und drittens die Aufstiegschancen über eine Aufstiegsfortbildung und andere Bildungswege. Negativ zu bewerten, ist die Erosion des traditionellen Mittelschichtversprechens. Durch die abnehmende Tarifbindung erhält ein wachsender Anteil der Beschäftigten mit einer beruflichen Bildung nicht mehr den tariflichen Ecklohn für Fachkräfte, sondern deutlich weniger. Das gilt auch für Branchen mit hohen Fachkräfteengpässen, wie etwa der Bauwirtschaft. Rund 60 Prozent der Beschäftigten im großen deutschen Niedriglohnsektor haben eine berufliche Ausbildung abgeschlossen. Gerade die Branchen mit schweren Arbeitsbedingungen, die auch noch schlecht zahlen, haben zurecht große Probleme, Jugendliche für eine Ausbildung in ihrer Branche zu begeistern. Notwendig ist eine massive Aufwertung der beruflichen Bildung durch die Garantie angemessener Tariflöhne.

Auf der einen Seite beklagen Betriebe das mangelnde Interesse, auf der anderen Seite münden immer noch viele junge Menschen statt in eine Ausbildung in eine Maßnahme im Übergangsbereich ein. Haben wir ein Angebots- oder ein Nachfrageproblem?

Im Moment haben wir in den ökonomisch schwächeren Regionen die besonders ungünstige Kombination von Angebots- und Nachfrageproblemen, während in den Wachstumsregionen Angebotsprobleme dominieren. Die Nachfrageprobleme sind einerseits Folge der zunehmenden Neigung, zu studieren. Ein Studium erscheint vielen Jugendlichen angesichts vieler schlechten Nachrichten über geringe Bezahlung und prekäre Beschäftigung von beruflichen Fachkräften die bessere Wahl. Vor allem in den weiterführenden Schulen und in den wachsenden akademischen Milieus erscheint ein Studium als der natürliche Weg, so dass eine berufliche Bildung oft nicht einmal mehr erwogen wird. Andererseits münden viele junge Menschen, die eine Ausbildung aufnehmen könnten, in Maßnahmen des Übergangsbereichs ein. Viele Jugendliche verlassen auch mit unzureichender Allgemeinbildung die Schulen. Die Angebotsprobleme sind Folge des Rückzugs vieler Unternehmen, vor allem der kleinen und mittleren, aus der Berufsausbildung. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, wie vor allem: kurzfristige Personalplanung, in der Hoffnung, Fachkräfte vom Markt zu bekommen, die Zellteilung der Unternehmen in immer kleinere spezialisierte Einheiten, ein wachsendes Angebot von Hochschulabsolventen, Schwierigkeiten geeignete Bewerber*innen zu finden und hohe Nettokosten einer guten Ausbildung.

Welche Maßnahmen muss eine Ausbildungsgarantie umfassen damit sie gelingen kann?

Letztlich müssen alle ausbildungsinteressierten Jugendlichen vorrangig einen betrieblichen Ausbildungsplatz erhalten. Wenn dies nicht gelingt, muss eine betriebsnahe außerbetriebliche Ausbildung angeboten werden. Es müssen Anreize für Träger und Jugendliche gesetzt werden, im Verlauf der außerbetrieblichen in eine betriebliche Ausbildung zu wechseln. Die Ausbildungsabbrüche müssen durch den Ausbau der assistierten Ausbildung verbessert werden. Warteschleifen im Übergangsystem müssen durch eine bessere Koordination vermieden werden. Die aufsuchende Beratung von Jugendlichen soll flächendeckend ausgebaut werden. Durch eine Ausbildungsumlage sollen die ausbildenden Betriebe durch Beratungs- und Unterstützungsstruktur sowie eine Rückerstattung von 2500 Euro pro Auszubildenden und Ausbildungsjahr entlastet werden. Zusätzlich sollen die außerbetrieblichen Ausbildungsplätze über die Umlage finanziert werden, da die Wirtschaft als ganzes den Nutzen der zusätzlichen Ausbildung hat.

Sie haben dem Bremer Senat auch eine Umlagefinanzierung in der dualen Ausbildung vorgeschlagen. Welche Effekte versprechen Sie sich von einer solchen Umlage?

Die Expertenkommission zur Einführung eines umlagefinanzierten Landesausbildungsfonds hat einstimmig vorgeschlagen, eine Umlage einzuführen, um die außerbetriebliche Ausbildung für unversorgte Jugendliche, sowie Unterstützungs- und Beratungsmaßnahmen für Betriebe zu finanzieren. Die bisher sehr erfolgreiche außerbetriebliche Ausbildung könnte das Land Bremen nach Auslaufen der EU-REACT-Mittel nicht fortführen. Die Bremer Wirtschaft als Ganzes profitiert von den zusätzlich ausgebildeten Fachkräften, so dass die Gruppennützigkeit der Umlage gegeben ist. Zwei Kommissionsmitglieder, Prof. Bernhard Nagel und ich, haben zusätzlich vorgeschlagen, die ausbildenden Betriebe nach dem dänischen Modell zusätzlich durch eine Rückzahlung von 2500 Euro pro Auszubildenden und Ausbildungsjahr zu entlasten. Durch diese Entlastung sollen auch die nicht-ausbildenden Betriebe an den Kosten des Gemeinschaftsguts „Ausbildung“ beteiligt werden. Darüber hinaus soll die Kostenentlastung Betriebe ermutigen, ihre Ausbildungsbereitschaft zu stabilisieren und auch zu erhöhen. Die Rückzahlung ist besonders für kleine Betriebe, deren Ausbildungsbereitschaft überdurchschnittlich zurückgegangen ist, wichtig. Sie stehen unter starkem Kostendruck. Bei ihren wenigen Beschäftigten ist die Abwesenheit der Jugendlichen an Berufsschultagen ein besonderes Problem. Es fällt diesen Betrieben auch schwer, die Kosten für eine zusätzliche überbetriebliche Unterweisung aufzubringen.


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