Deutscher Gewerkschaftsbund

20.01.2022
Bleibebarometer Öffentlicher Dienst

Should I stay or should I go?

Anfang Januar wurde zum ersten Mal das Bleibebarometer veröffentlicht. Diese vom DGB unterstützte Studie untersucht, wie zufrieden die Kolleg:innen aus der öffentlichen Verwaltung mit ihren Arbeitsbedingungen sind. Im Zentrum steht die Frage, unter welchen Voraussetzungen sie langfristig beim Arbeitgeber Staat bleiben – und wann sie lieber das Weite suchen.

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DGB/ra2studio/123RF.com

Der Personalbedarf im öffentlichen Dienst ist groß und wird weiterwachsen. Ein Anteil von 27 Prozent der Beschäftigten wird in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. In vielen Arbeitsbereichen wird schon heute händeringend Nachwuchs gesucht. Vor diesem Hintergrund ist entscheidend, Kolleg:innen auf Dauer zu halten. Eine starke Fluktuation beim neu gewonnenen wie beim bestehenden Personal kann sich die Verwaltung nicht erlauben.

Sprungbrett vesus Treueherz
Wie steht es also um die Personalbindung? Aufschlussreich ist hier vor allem, wie die Beschäftigten selbst ihre Arbeitsbedingungen bewerten. Ein Ergebnis: Im Bleibebarometer geben insgesamt 65 Prozent der Befragten aus der öffentlichen Verwaltung an, mit dem Arbeitgeber bzw. Dienstherrn „voll“ oder „eher“ zufrieden zu sein. Mit der konkret ausgeübten Tätigkeit sind sogar mehr als 75 Prozent zufrieden. 69 Prozent denken, mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Und drei von vier Mitarbeiter:innen sagen, dass sie Wertschätzung durch ihre Kolleg:innen erfahren. Angesicht dieser Werte wundert es nicht, dass der öffentliche Dienst bei einem Großteil der Verwaltungsbeschäftigten eigentlich als guter Arbeitgeber gilt.

Gleichwohl ist die Wechselbereitschaft hoch. Knapp 80 Prozent der Befragten können sich den Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber vorstellen. Der größte Teil davon würde sich gerne im öffentlichen Dienst weiterentwickeln. Mehr als 30 Prozent ist aber auch bereit, in die Privatwirtschaft zu wechseln (siehe Abb. 1).

Abbildung 1

DGB / BM

Wie die Situation vor Ort aussieht, schildert Beate Döpper. Sie ist ver.di-Personalrätin bei der Stadtverwaltung Essen, wo rund 10.500 Kolleg:innen arbeiten. „Doch, es wird relativ viel gewechselt, aber vor allem innerhalb des öffentlichen Dienstes. Also zu anderen Kommunen oder zur Landesverwaltung“, erklärt sie. Das gegenseitige Abwerben von Personal sei im öffentlichen Dienst üblich, etwa wenn das Land für den gehobenen Dienst zeitweilig gar nicht mehr selbst ausgebildet hat. „Im Ruhrgebiet ist unser Einzugsbereich natürlich groß. Ob ich in Essen arbeite oder in Gelsenkirchen oder Bochum spielt keine große Rolle“, ergänzt Döpper. Es komme regelmäßig vor, dass Kolleg:innen in eine andere Stadtverwaltung wechseln, etwa weil sie eine erhoffte Höhergruppierung nicht oder nicht schnell genug erhalten. Der Sprung in die Privatwirtschaft spiele bei den technischen Berufen eine große Rolle, etwa wegen der Bezahlung im IT-Bereich.

Abbildung 2

DGB / BM

Beweggründe
Schaut man auf die Zahlen des Bleibebarometers, ist das ein typischer Grund für berufliche Veränderung. Von einem Wechsel erwarten sich die Befragten laut Umfrage mehr Geld, eine höhere Flexibilität, eine bessere Ausstattung und mehr Anerkennung und Wertschätzung. Und umgekehrt sinkt die Wechselbereitschaft, wenn die Entwicklungsmöglichkeiten als sehr gut empfunden werden.

Für Wilfried Weisbrod ist das nicht überraschend. Er ist seit 2005 der Personalratsvorsitzende für die 900 Beschäftigten im Landratsamt des Neckar-Odenwald-Kreises und ebenfalls bei ver.di aktiv. Zwar hätten sie vor Ort den Vorteil, dass viele Kolleg:innen in der ländlichen Region verwurzelt sind. Nach dem Studium, etwa dem Bachelor in Public Administration in Kehl oder Ludwigsburg, und nach Anstellungen in Mannheim oder Heilbronn kämen einige auch ganz gezielt in ihre Heimatregion zurück. Davon profitiere die Verwaltung. Dennoch sei die Personaldecke löchrig. Für die Bauverwaltung etwa würden dringend Architekt:innen oder Ingenieur:innen gesucht. Umso wichtiger werde die Personalbindung. „Und gerade bei den persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten, da haben wir Probleme. Im TVöD zum Beispiel, dort ist man nach 15 Jahren auf der höchsten Erfahrungsstufe. Wer mit 18 die Ausbildung abgeschlossen hat, ist dort mit 33 Jahren angekommen. Und höher bewertete Stellen, auf die man sich bewerben könnte, die gibt es kaum“, erklärt der Personalrat. Der Gedanke, den Arbeitgeber zu wechseln, liege dann nahe.

Abbildung 3

DGB / BM

Wer kontrolliert die Kontrollfreaks
Eine nicht weniger harte Nuss sei die Veränderung der Organisationskultur. Führungskräfte bräuchten zum Beispiel viel mehr Schulungen für wertschätzende und kooperative Zusammenarbeit. „Denn sie kommen ja in diese Position, weil sie fachlich gute Arbeit geleistet haben. Und nicht etwa, weil sie schon immer gut mit Menschen umgehen konnten. Wenn sich eine Führungskraft hier als total unfähig herausstellt, ist das fatal. Dann gehen gute Leute, weil sie in diesem Umfeld nicht weiterarbeiten können“, so Weisbrod. Seitdem er Personalrat sei, spreche er das an, aber es bewege sich wenig. Im Gegenteil: Jährliche Mitarbeitergespräche seien zuletzt wieder eingeschlafen.

In Essen gibt es für neue Führungskräfte immerhin Coachings und Möglichkeiten zum Austausch, erklärt Beate Döpper. Ein Problem sei aber die hohe Arbeitsbelastung, die auch Führungskräfte betreffe. Zeit für Schulungen fehle dann. „Teilweise halten sie diese Angebote aber auch für Nonsens. Ich fände sehr hilfreich, wenn sich die Verwaltung hier weiterentwickelt und es auch Möglichkeiten für eine Supervision bei Konflikten in Teams gibt. Wir brauchen eine bessere Fehlerund Feedbackkultur“, meint die Personalrätin. Oft herrsche noch eine demotivierende Kultur des Misstrauens, etwa was die Arbeit im Homeoffice angeht. Ein Wechsel erscheine dann als letzter Ausweg.

Wenn Arbeit krank macht
Das Bleibebarometer bestätigt den Eindruck aus Essen und Mosbach. Nur knapp 43 Prozent der Verwaltungsmitarbeiter: innen erhalten regelmäßig Rückmeldung zu ihrer Arbeit in Form von Lob oder Kritik. Mehr als 35 Prozent erhalten gar kein Feedback. Und ein Drittel sagt, dass ihre Arbeit sie krank macht. Als Faktoren werden hier fehlende Anerkennung, starker Termin- und Leistungsdruck und eine unzureichende Infrastruktur genannt (vgl. Abb. 3). Das macht umgekehrt aber auch deutlich, welche Ressourcen den Kolleg:innen helfen: Wertschätzung, Kollegialität und Gestaltungsmöglichkeiten in der eigenen Arbeit wirken sich positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden aus.

Aus Sicht der Verwaltung gibt es dabei einen schönen Nebeneffekt. Das Bleibebarometer zeigt, dass das Arbeitsklima einen messbaren Effekt auf die Wechselbereitschaft hat. Ist es sehr gut, sinkt die Bereitschaft für einen Arbeitgeberwechsel um knapp 20 Prozent. Kurz: Auch in der Verwaltung ist Gute Arbeit der beste Haltefaktor.

Bleibebarometer - Was ist das?

Die Studie der Beratungsagentur Next:Republic untersucht erstmalig die Personalbindung in der öffentlichen Verwaltung und erschien am 5. Januar. Erhebungszeitraum war im Frühsommer 2021. Insgesamt haben gut 9.000 Beschäftigte aus ganz Deutschland an der repräsentativen Umfrage teilgenommen, für die Auswertung konnten 7.490 berücksichtigt werden. Mit einem Anteil von 50 Prozent haben überproportional viele Bundesbeschäftigte teilgenommen (Landesebene 29 Prozent, Kommunen 21 Prozent). U. a. haben der DGB und das Bundesministerium des Inneren und für Heimat die Studie unterstützt.

Link zu Studie: nextpublic.de/bleibebarometer-oeffentlicher-dienst


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Dieser Artikel gehört zum Dossier:

Gute Arbeit im öffentlichen Dienst

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