Deutscher Gewerkschaftsbund

Von Amtsangemessenheit bis Zulagenwesen

23.06.2022

Verfassungskonforme Alimentation

Ein Trauerspiel des Föderalismus

Das unabgestimmte Vorgehen der zuständigen Ministerien bei der Umsetzung der bundesverfassungsgerichtlichen Besoldungsrechtsprechung ist ein Trauerspiel des Föderalismus. So kann man nach gut zwei Jahren seit Vorliegen der Entscheidungsgründe zur Alimentation kinderreicher Beamtenfamilien und zum Abstandsgebot resümieren. Die unterschiedlichen Maßnahmen der Gesetzgeber führen zu weiteren Diskrepanzen im Besoldungsrecht.

Foto zeigt Menschen auf Leitern, die kein Ende haben

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2020 hatte das Bundesverfassungsgericht die Besoldung in Berlin1 in den Jahren 2009 bis 2015 sowie in Nordrhein-Westfalen2 in den Jahren 2013 bis 2015 für verfassungswidrig zu niedrig erklärt. Die vom Gericht zu entscheidenden Fragen bezogen sich auf zwei verschiedene Aspekte: zum einen auf den Mindestabstand der Besoldung zum Grundsicherungsniveau, zum anderen auf die Höhe der Besoldung von Beamt:innen mit drei und mehr Kindern. Wenig überrascht dürften die Besoldungsexpert:innen nach Lektüre der Entscheidungsgründe darüber gewesen sein, dass diese nicht nur für die verurteilten Länder Konsequenzen haben. Denn mit ihnen ging indirekt ein Prüfauftrag, gerichtet an die übrigen 14 Bundesländer sowie den Bund, einher. Bislang wurden verschiedene Ideen entworfen und teilweise bereits umgesetzt: von der Streichung niedrigerer Besoldungsgruppen und -stufen, über die Erhöhung des Familienzuschlags und die Anhebung des Beihilfebemessungssatzes bis zu einem mietenstufenabhängigen Zuschlag und bedarfsabhängigen Zahlungen. Die unterschiedlichen Maßnahmen erhöhen die Komplexität des Besoldungsrechts deutlich. Die Tabelle weiter unten bietet hierzu einen Überblick.

Sicherung des Mindestabstands zum Grundsicherungsniveau
Eine entsprechende Anhebung sämtlicher Grundgehälter der betroffenen Besoldungsordnungen wäre die rechtssicherste Maßnahme, um den Mindestabstand von 15 Prozent zwischen Besoldung und Grundsicherungsniveau (wieder-)herzustellen, ohne den Abstand zwischen den Besoldungsgruppen zu nivellieren. Diesen Schritt ist bislang aber mit Verweis auf die damit verbundenen hohen Kosten kein Gesetzgeber gegangen. Stattdessen wurden untere Besoldungsgruppen sowie -stufen in der Besoldungsordnung A gestrichen und betroffene Beamt:innen in höhere Gruppen bzw. Stufen übergeleitet. Kritiker:innen sehen darin eine Aufweichung des Prinzips der Ämterwertigkeit und letztlich eine Verletzung des Leistungsprinzips. Eine dadurch erzeugte Stauchung der Besoldungstabelle würde den durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten Parameter für eine verfassungskonforme Besoldung – das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen3 – verletzen. Um dieses Argument ins Leere laufen zu lassen, begründen die Gesetzgeber ihr Vorgehen meist mit einer gestiegenen Verantwortung der gestrichenen Ämter.

Wo sich die Besoldung mit einem oder zwei Kindern in der Familie als zu gering erwiesen hat, wurden zusätzliche Maßnahmen ergriffen: Erhöhung des kindbezogenen Familienzuschlags, ein darin enthaltener von der Mietenstufe des Wohnorts der Beamt:innen abhängiger Zuschlag, eine Erhöhung des Beihilfebemessungssatzes von 70 Prozent auf 90 Prozent für Ehepartner:innen bei zwei oder mehr Kindern oder auch ein vom Familiennettoeinkommen abhängiger Familienergänzungszuschlag für niedrige Besoldungsgruppen.

Alimentation ab dem dritten Kind
Um eine amtsangemessene Alimentation von Beamt:innen mit mindestens drei Kindern sicherzustellen, haben die Gesetzgeber bislang vor allem den Familienzuschlag ab dem dritten Kind deutlich – bis auf 800 Euro – erhöht. Damit soll vermieden werden, dass für den Lebensunterhalt dieser Kinder auf „familienneutrale Bestandteile“ des Gehalts zurückgegriffen werden muss. Ein weiteres Instrument ist die Anhebung des Beihilfebemessungssatzes für das dritte und weitere Kinder auf 90 Prozent. Ein zusätzlicher mietenstufenabhängiger Aufstockungsbetrag oder ein von den Einkünften des weiteren unterhaltspflichtigen Elternteils abhängiger Familienergänzungszuschlag – beides explizit ab dem dritten Kind – sind weitere Elemente.

Übersicht: Maßnahmen der Länder seit 2020

DGB-Magazin BM

Fortentwicklung des Rechts oder Verfassungsbruch?
Schleswig-Holstein führte mit einem sogenannten Familienergänzungszuschlag, der abhängig vom Nettoeinkommen des Haushalts bzw. den Einkünften einer weiteren unterhaltsverpflichteten Person ist, ein völlig neues Element in das Besoldungsrecht ein.4 Auch Rheinland-Pfalz entschloss sich für einen einkommensabhängigen Sonderzuschlag. Die Bezügestelle wird laut Kritiker:innen damit zu einer Art Sozialamt für Beamt:innen. Mit einem bedarfsabhängigen Alimentationsanteil unter Berücksichtigung anderer Einkünfte wagen beide Länder einen Schritt, den das Bundesverfassungsgericht so nicht als Ausweg aufgezeigt habe. Neben dem personellen Aufwand zur Überprüfung der Anspruchsberechtigung steht die Frage nach der Verfassungskonformität eines solchen Konstrukts. Das Finanzministerium Schleswig-Holstein begründet das neue Modell unter anderem mit maßgeblichen Veränderungen im Unterhaltsrecht, wonach mittlerweile Ehepartner:innen gleichrangig zum Unterhalt verpflichtet sind.5 Der Wissenschaftliche Dienst des Landtags Schleswig-Holstein hingegen hat in einem Gutachten Bedenken geäußert. Die Besoldung von Beamt:innen, in deren Haushalt das Nettoeinkommen lediglich auf Grund eines weiteren Einkommens ausreichend oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegt, erfülle nicht das Mindestabstandsgebot. Dies könne wiederum ein Indiz für ebenfalls zu niedrig bemessene höhere Besoldungsgruppen sein.6

Gemäß Artikel 33 Grundgesetz ist das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. Ob die neuen Instrumente als Fortentwicklung zu bewerten sind oder eher eine Verletzung des verfassungsrechtlich verankerten Alimentationsprinzips bedeuten, wird letztlich nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden können. Zugleich ist klar: Eine sehr starke pauschale Erhöhung des 1920 eingeführten kindbezogenen Familienzuschlags stellt ein Dilemma dar. Zum einen entwickelt sich im Verhältnis von sehr hohen Zuschlägen zu den Grundgehaltssätzen eine gewisse Schieflage.7 Zum anderen gerät der Kinderzuschlag aus gesellschaftspolitischer Sicht in einen wachsenden Rechtfertigungsdruck. So dürfte ein Besoldungsrecht, das für den Nachwuchs von Beamt:innen quasi eine eigene Kinderbesoldung regelt, mit Blick auf die Lebenshaltungskosten für Kinder anderer Erwerbstätiger zunehmend kritisch hinterfragt werden.

Föderalistisches Ungetüm
Nicht nur zwischen den Besoldungsgesetzgebern, auch innerhalb eines Landes wird es immer schwieriger, den Überblick über zustehende Bezügebestandteile zu behalten – selbst für die Beamt:innen. Es ist bedauerlich, dass Bund und Länder nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts keine gemeinsame Lösung gesucht haben. Jetzt gibt es auf Grund des Föderalismus eine nie dagewesene Vielzahl an Beträgen, Zuschlägen, Zulagen, Bemessungssätzen, Tabellenstrukturen usw. Auch im Jahr 2022 werden vermutlich Beamt:innen gegen ihre Besoldung Widerspruch einlegen, denn zu ungewiss ist die Verfassungskonformität in vielen Ländern.8 Der Bundes- und einige Landesgesetzgeber sind zudem noch nicht einmal die grundlegende Problematik angegangen. Auf jeden Fall wird der Prüfaufwand der Gesetzgeber zunehmen, da die gewählten Regelungen für eine verfassungskonforme Alimentation eine permanente Abhängigkeit von einem sich kontinuierlich ändernden Grundsicherungsniveau beinhalten. Erste Anzeichen dafür bieten Gesetzentwürfe in Ländern, die bereits ein Nachsteuern bei erfolgten Gesetzesänderungen beinhalten. Und für die Gewerkschaften dürfte mit den Neuerungen der Beratungsaufwand sowie der Bedarf an Rechtsschutz für Betroffene weiter zunehmen.


1 BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 - 2 BvL 4/18
2 BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 - 2 BvL 6/17 u.a.
3 vgl. Fn. 1, Rn. 42 f.
4 Gesetz zur Gewährleistung eines ausreichenden Abstandes der Alimentation zur sozialen Grundsicherung und zur amtsangemessenen Alimentation von Beamtinnen und Beamten mit mehr als zwei Kindern vom 24.3.2022 (GVOBl. Schl.-H. S. 309)
5 vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag Umdruck 19/7321, Seite 8
6 vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag Umdruck 19/7271, Seite 28
7 vgl. u.a. Thüringer Landtag, WD 9/21, 30.8.2021, Seite 20 f.
8 vgl. z.B. Schwan, Torsten: Das Alimentationsniveau der Besoldungsordnung A 2008 bis 2020 – eine „teilweise drastische Abkopplung der Besoldung“ als dauerhafte Wirklichkeit? In: DÖV, Heft 5, 2022.



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  1. Amtsangemessene Alimentation
  2. Weiterhin Unsicherheit und Zweifel
  3. Tarif- und Besoldungsrunde der Länder: Einigung erzielt
  4. Bundestag beschließt Anpassungsgesetz
  5. Tarif- und Besoldungsrunde der Länder: Warnstreiks werden ausgeweitet
  6. Tarif- und Besoldungsrunde der Länder: Verhandlungsauftakt
  7. Tarif- und Besoldungsrunde der Länder: 10,5 Prozent mehr – mindestens 500 Euro
  8. Inflationsausgleichszahlungen 2023: Abschlagszahlungen geplant
  9. Bund: Besoldungs- und Versorgungsanpassung kommt
  10. Bund muss bei Besoldung aufholen
  11. Gewerkschaften erklären Verhandlungen für gescheitert
  12. Tarifrunde öffentlicher Dienst Bund und Kommunen 2023
  13. Alle zusammen für mehr Geld
  14. Besoldung: Bundesbeamt*innen müssen 2022 keinen Widerspruch einlegen
  15. Tarifrunde Bund und Kommunen
  16. Verfassungskonforme Alimentation
  17. Besoldungsrunden Länder und Kommunen 2022/2023
  18. Wir sind nur gemeinsam stark
  19. Wie geht es mit der Besoldung weiter?
  20. Öffentlicher Dienst der Länder: Tarifverhandlungen abgeschlossen
  21. Die Warnstreikwelle rollt
  22. Öffentlicher Dienst der Länder: Auftakt der Tarifverhandlungen
  23. Tarifrunde Länder: 5 Prozent für die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst
  24. „Was mir Sorge bereitet, sind die mittlerweile sehr großen Besoldungsunterschiede zwischen den Ländern"
  25. DGB-Besoldungsreport 2021: Politik im Reparaturmodus
  26. Vorbildliches Signal des Bundesinnenministeriums
  27. Besoldungsanpassung 2021/2022 beschlossen
  28. Bundesbesoldung: Anpassungsgesetz 2021/2022 auf dem Weg
  29. Beamtinnen und Beamte erhalten Corona-Sonderzahlung 2020
  30. Dynamik in der Einkommensentwicklung der BeamtInnen
  31. Tarifrunde Bund und Kommunen: 4,8 Prozent, mindestens 150 Euro!
  32. 4,8 % für die Tarifbeschäftigten von Bund und Kommunen
  33. Zur Alimentation kinderreicher Beamtenfamilien
  34. Karlsruhe konkretisiert Rechtsprechung zur amtsangemessenen Besoldung
  35. Bund und Kommunen: Gewerkschaften beschließen Kündigung der Entgelttabellen
  36. Nachwuchsgewinnung im öffentlichen Dienst – Vorbereitungsdienst besser bezahlen!
  37. Besoldung: Bundestag verabschiedet Modernisierungsgesetz
  38. Modernisierung Besoldungsrecht: Anhörung im Innenausschuss des Bundestages
  39. Besoldung: Familienzuschlag wird nicht reformiert
  40. Die Besoldungsrunden der Länder und Kommunen
  41. Besoldung auf dem Prüfstand: Einige Länder müssen nachsteuern
  42. Besoldungsstrukturenmodernisierungs-Gesetz: Viel Schatten, wenig Licht
  43. Besoldung: Entwurf eines Modernisierungsgesetzes liegt vor
  44. Tarifrunde der Länder 2019 - Gewerkschaften fordern: mindestens 200 Euro mehr
  45. Hannack fordert Dialog zu Wochenarbeitszeit und Zulagen
  46. Besoldungsrunde Bund 2018-2019-2020: Gesetzentwurf liegt vor
  47. Öffentlicher Dienst: Besoldungspolitik nach Kassenlage
  48. DGB begrüßt Plus auch für Bundesbeamte
  49. Gewerkschaften fordern: mindestens 200 Euro mehr
  50. Bundesbeamte: Übertragung des Tarifergebnisses erreicht
  51. Urteil: Ämterbündelung mit Grundgesetz vereinbar
  52. Richter-Besoldung: Gerechtes Einkommen per Gerichtsurteil?
  53. Bundesverwaltungsgericht: Urteil zu Beamten-Besoldung nach Alter
  54. Beamte: Übernahme von Tarifergebnissen muss Standard werden
  55. DGB begrüßt Urteil des EuGH zur altersdiskriminierenden Besoldung
  56. Öffentlicher Dienst: Tarifabschluss wird auf BeamtInnen des Bundes übertragen
  57. DGB Besoldungsreport: 18,5 Prozent – Tendenz steigend
  58. Tarif- und Besoldungsrunde 2014: Gemeinsam für gute Ergebnisse
  59. Beamtenbesoldung: Keine Entscheidungen nach Gutsherrenart
  60. Besoldung folgt Tarif? Keine Selbstverständlichkeit mehr
  61. Beamtengehälter: Spar- statt Besoldungsrunde?
  62. DGB will einheitliche Besoldung für Beamte in Bund und Ländern
  63. Entwurf eines Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes (BBVAnpG 2012/2013)
  64. Gewerkschaften beweisen Verhandlungsstärke im öffentlichen Dienst
  65. Auswirkungen des BAG-Urteils zur Urlaubsstaffel des TVöD auf die Beamtinnen und Beamten
  66. DGB begrüßt Urteil zur hessischen Professorenbesoldung
  67. Verfassungsmäßigkeit der Professorenbesoldung des Landes Hessen
  68. Altersdiskriminierung: BAT verstößt gegen europäisches Recht
  69. DGB begrüßt zügige Besoldungsanpassung für Beamte und übt Kritik an Nullrunde für Pensionäre
  70. Stellungnahme zur Anhörung: Gesetzentwurf zur Unterstützung der Fachkräftegewinnung im Bund
  71. Frauen im Staatsdienst finanziell benachteiligt
  72. Knut Rexed: "Moderne Verwaltung braucht ein flexibleres System"
  73. Bayern will bessere Beförderungsmöglichkeiten für Beamte
  74. Weiterhin Besoldungskürzungen für Bundesbeamte geplant