Deutscher Gewerkschaftsbund

Von Amtsangemessenheit bis Zulagenwesen

29.06.2021
Besoldung

„Was mir Sorge bereitet, sind die mittlerweile sehr großen Besoldungsunterschiede zwischen den Ländern"

Interview mit Prof. Dr. Andreas Voßkuhle

Im diesjährigen DGB-Besoldungsreport kommt Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zu Wort. Auch ihn treiben die großen Besoldungsunterschiede zwischen den Ländern um: „Sie werden mittelfristig zu einem unterschiedlichen Leistungsniveau innerhalb der Verwaltung und der Justiz führen“, so Voßkuhle im Interview.

Spielfiguren stehen um eine blaue Spielfigur, die erhöht auf einem Münzstapel steht

DGB/Tofotografie/colourbox.com

Zum Einstieg eine etwas ungewöhnliche Frage. Für nicht wenige Juristinnen und Juristen ist das Beamtenrecht wenig attraktiv. Sie haben sich während Ihrer Zeit am Bundesverfassungsgericht mehrfach vertieft mit beamtenrechtlichen Fragen befassen müssen. Wie würden Sie für dieses Rechtsgebiet werben?

Andreas Voßkuhle: Mein Interesse für beamtenrechtliche Fragen stammt schon aus meiner Zeit als junger Wissenschaftler. Ein ausführlicher Beitrag von mir zum „Personal“ in den von mir mitherausgegebenen „Grundlagen des Verwaltungsrechts“ beginnt mit dem Satz: „Die Leistungsfähigkeit jeder Organisation und damit auch jeder Verwaltungseinheit hängt in erster Line von den dort arbeitenden Menschen ab.“ Wer sich ernsthaft für das Gemeinwesen und die Verwaltung interessiert, kommt daher um das Beamtenrecht nicht herum.

Seit der Föderalismusreform I und der damit einhergehenden Zuständigkeit der Länder für die Besoldung ihrer Beamtenschaft nahm die Zahl der Verfahren, mittels derer Beamtinnen und Beamte ihren Anspruch auf amtsangemessene Besoldung geltend machen, stetig zu. Das Alimentationsprinzip scheint die Gesetzgeber also wenig zu tangieren. Ist es demnach noch immer ein – wie von Ihnen einst beschrieben – „zahnloser Tiger“?

Die Verlagerung der Kompetenz für das Besoldungsrecht zu den Ländern hat tatsächlich – wie von vielen erwartet – zunächst zu einem „race to the bottom“ geführt. Durch eine Reihe von grundlegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur W-Besoldung, zur R-Besoldung und zur A-Besoldung konnte diese Entwicklung jedoch gestoppt werden. Mittlerweile wird die in diesen Entscheidungen konkretisierte Grenze der Unteralimentation auch nur noch von einigen wenigen Ländern „millimetergenau“ angesteuert. Was mir Sorge bereitet, sind die mittlerweile sehr großen Besoldungsunterschiede zwischen den Ländern. Sie werden mittelfristig zu einem unterschiedlichen Leistungsniveau innerhalb der Verwaltung und der Justiz führen. Die guten Leute gehen dahin, wo am meisten bezahlt wird.

Mit ihrer Besoldungspolitik nahmen viele Gesetzgeber Verstöße gegen den Grundsatz der amtsangemessenen Besoldung regelrecht in Kauf. Beamtinnen und Beamten blieb da nur, den ihnen offenstehenden Rechtsweg zu bestreiten. Doch wie passen Verfahrensdauern von oftmals über zehn Jahren und das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz eigentlich zusammen?

Selbstverständlich würde man sich wünschen, dass der Besoldungsgesetzgeber großzügiger agiert. Aus meiner Sicht hat sich die Situation aber in den letzten Jahren etwas gebessert. Dass Beamten, die nicht streiken dürfen, klagen müssen, ist im System angelegt, die Verfahrensdauer vor Gericht ist aber zu lang.

Es gibt Stimmen, für die der Grundsatz des Mindestabstands zum Grundsicherungsniveau den Sargnagel für den einfachen und auch mittleren Dienst bedeutet. Für wie begründet halten Sie diese Befürchtung?

Mir leuchtet diese Befürchtung nicht ein. Auf die Tätigkeiten, die durch den einfachen und mittleren Dienst vorgenommen werden, kann die Verwaltung dauerhaft nicht verzichten. Entweder der Gesetzgeber hält den Mindestabstand in diesem Bereich ein oder die vorhandenen Stellen müssen in ihrer Wertigkeit angehoben werden, was teilweise auch passiert. Beides kostet Geld.

Wagen wir zum Schluss einen Blick in die Glaskugel: Die Folgen der Corona-Pandemie werden die öffentlichen Haushalte noch lange belasten. Viele Beamtinnen und Beamte befürchten deshalb Nullrunden wie Ende der 2000er, Anfang der 2010er Jahre. Zurecht?

Prognosen in diesem Bereich sind bekanntlich schwierig. Viel wird hier vom Ausgang der Bundestagswahl im Herbst abhängen, die den politischen Kurs für die nächsten Jahre vorgeben wird. Aus meiner Sicht ist die Wertschätzung für den öffentlichen Dienst und seine Leistungsfähigkeit in vielen Bereichen durch die Erfahrungen in der Pandemie gestiegen. Außerdem wird der „gerechte Lohn“ wieder zu einem ernsthaften politischen Thema werden. Das erleben wir gerade in Bezug auf den Pflegesektor. Beide Aspekte sprechen gegen Nullrunden. Auf der anderen Seite haben die Beamtinnen und Beamten während der Pandemie weiter ihre vollen Bezüge erhalten; in vielen anderen Bereichen mussten die Menschen dagegen mit gewaltigen Abstrichen bei ihrem Lohn leben. Das könnte für ein begrenztes Solidaropfer sprechen.

Zur Person

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Andreas Voßkuhle, Jahrgang 1963, ist Rechtswissenschaftler und war bis Juni 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Als Vorsitzender des Zweiten Senats war er an wegweisenden Entscheidungen zur amtsangemessenen Besoldung von Beamtinnen und Beamten beteiligt, mit denen die Prüfungsschritte zur Ermittlung des verfassungsrechtlich geschuldeten Alimentationsniveaus konkretisiert wurden. 2020 kehrte er in den Lehrbetrieb der Universität Freiburg zurück. Dort ist er am Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie Direktor der Abteilung 1 (Staatswissenschaft).


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  1. Amtsangemessene Alimentation
  2. Weiterhin Unsicherheit und Zweifel
  3. Tarif- und Besoldungsrunde der Länder: Einigung erzielt
  4. Bundestag beschließt Anpassungsgesetz
  5. Tarif- und Besoldungsrunde der Länder: Warnstreiks werden ausgeweitet
  6. Tarif- und Besoldungsrunde der Länder: Verhandlungsauftakt
  7. Tarif- und Besoldungsrunde der Länder: 10,5 Prozent mehr – mindestens 500 Euro
  8. Inflationsausgleichszahlungen 2023: Abschlagszahlungen geplant
  9. Bund: Besoldungs- und Versorgungsanpassung kommt
  10. Bund muss bei Besoldung aufholen
  11. Gewerkschaften erklären Verhandlungen für gescheitert
  12. Tarifrunde öffentlicher Dienst Bund und Kommunen 2023
  13. Alle zusammen für mehr Geld
  14. Besoldung: Bundesbeamt*innen müssen 2022 keinen Widerspruch einlegen
  15. Tarifrunde Bund und Kommunen
  16. Verfassungskonforme Alimentation
  17. Besoldungsrunden Länder und Kommunen 2022/2023
  18. Wir sind nur gemeinsam stark
  19. Wie geht es mit der Besoldung weiter?
  20. Öffentlicher Dienst der Länder: Tarifverhandlungen abgeschlossen
  21. Die Warnstreikwelle rollt
  22. Öffentlicher Dienst der Länder: Auftakt der Tarifverhandlungen
  23. Tarifrunde Länder: 5 Prozent für die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst
  24. „Was mir Sorge bereitet, sind die mittlerweile sehr großen Besoldungsunterschiede zwischen den Ländern"
  25. DGB-Besoldungsreport 2021: Politik im Reparaturmodus
  26. Vorbildliches Signal des Bundesinnenministeriums
  27. Besoldungsanpassung 2021/2022 beschlossen
  28. Bundesbesoldung: Anpassungsgesetz 2021/2022 auf dem Weg
  29. Beamtinnen und Beamte erhalten Corona-Sonderzahlung 2020
  30. Dynamik in der Einkommensentwicklung der BeamtInnen
  31. Tarifrunde Bund und Kommunen: 4,8 Prozent, mindestens 150 Euro!
  32. 4,8 % für die Tarifbeschäftigten von Bund und Kommunen
  33. Zur Alimentation kinderreicher Beamtenfamilien
  34. Karlsruhe konkretisiert Rechtsprechung zur amtsangemessenen Besoldung
  35. Bund und Kommunen: Gewerkschaften beschließen Kündigung der Entgelttabellen
  36. Nachwuchsgewinnung im öffentlichen Dienst – Vorbereitungsdienst besser bezahlen!
  37. Besoldung: Bundestag verabschiedet Modernisierungsgesetz
  38. Modernisierung Besoldungsrecht: Anhörung im Innenausschuss des Bundestages
  39. Besoldung: Familienzuschlag wird nicht reformiert
  40. Die Besoldungsrunden der Länder und Kommunen
  41. Besoldung auf dem Prüfstand: Einige Länder müssen nachsteuern
  42. Besoldungsstrukturenmodernisierungs-Gesetz: Viel Schatten, wenig Licht
  43. Besoldung: Entwurf eines Modernisierungsgesetzes liegt vor
  44. Tarifrunde der Länder 2019 - Gewerkschaften fordern: mindestens 200 Euro mehr
  45. Hannack fordert Dialog zu Wochenarbeitszeit und Zulagen
  46. Besoldungsrunde Bund 2018-2019-2020: Gesetzentwurf liegt vor
  47. Öffentlicher Dienst: Besoldungspolitik nach Kassenlage
  48. DGB begrüßt Plus auch für Bundesbeamte
  49. Gewerkschaften fordern: mindestens 200 Euro mehr
  50. Bundesbeamte: Übertragung des Tarifergebnisses erreicht
  51. Urteil: Ämterbündelung mit Grundgesetz vereinbar
  52. Richter-Besoldung: Gerechtes Einkommen per Gerichtsurteil?
  53. Bundesverwaltungsgericht: Urteil zu Beamten-Besoldung nach Alter
  54. Beamte: Übernahme von Tarifergebnissen muss Standard werden
  55. DGB begrüßt Urteil des EuGH zur altersdiskriminierenden Besoldung
  56. Öffentlicher Dienst: Tarifabschluss wird auf BeamtInnen des Bundes übertragen
  57. DGB Besoldungsreport: 18,5 Prozent – Tendenz steigend
  58. Tarif- und Besoldungsrunde 2014: Gemeinsam für gute Ergebnisse
  59. Beamtenbesoldung: Keine Entscheidungen nach Gutsherrenart
  60. Besoldung folgt Tarif? Keine Selbstverständlichkeit mehr
  61. Beamtengehälter: Spar- statt Besoldungsrunde?
  62. DGB will einheitliche Besoldung für Beamte in Bund und Ländern
  63. Entwurf eines Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes (BBVAnpG 2012/2013)
  64. Gewerkschaften beweisen Verhandlungsstärke im öffentlichen Dienst
  65. Auswirkungen des BAG-Urteils zur Urlaubsstaffel des TVöD auf die Beamtinnen und Beamten
  66. DGB begrüßt Urteil zur hessischen Professorenbesoldung
  67. Verfassungsmäßigkeit der Professorenbesoldung des Landes Hessen
  68. Altersdiskriminierung: BAT verstößt gegen europäisches Recht
  69. DGB begrüßt zügige Besoldungsanpassung für Beamte und übt Kritik an Nullrunde für Pensionäre
  70. Stellungnahme zur Anhörung: Gesetzentwurf zur Unterstützung der Fachkräftegewinnung im Bund
  71. Frauen im Staatsdienst finanziell benachteiligt
  72. Knut Rexed: "Moderne Verwaltung braucht ein flexibleres System"
  73. Bayern will bessere Beförderungsmöglichkeiten für Beamte
  74. Weiterhin Besoldungskürzungen für Bundesbeamte geplant