Eine Gefahr für Verbraucherschutz, Arbeitnehmerrechte und fairen Wettbewerb – selten sind sich Gewerkschaften, Arbeitgeber und Verbände so einig, wie bei der von der EU-Kommission geplanten Dienstleistungskarte. Mitte März geht die Debatte in die heiße Phase.
colourbox.de
Der Bedarf an Dienstleistungen in Deutschland ist groß: in vielen Branchen sind die Auftragsbücher voll. Einen Termin beim Facharzt gibt es in vielen Städten mittlerweile schneller als ein zeitnahes Angebot von einem Handwerksbetrieb. Arbeitskräfte aus den europäischen Nachbarländern wären vielerorts herzlich willkommen – auf dem Bau, in der Pflege oder auch im IT-Bereich. Doch die von der EU-Kommission geplante Dienstleistungskarte ist für den DGB und die Gewerkschaften nicht der richtige Weg. „Wir unterstützen, dass Dienstleistungen grenzüberschreitend angeboten werden können“, betont DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell, „doch dabei müssen Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechte gewahrt werden“.
Genau diese drohen bei Einführung der Dienstleistungskarte über Bord zu gehen. Am 22. März wird sich der Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments mit dem Thema befassen. Die Fraktionen von Linken, Grünen und Sozialdemokraten lehnen den digitalen Pass ab. Unklar ist die Position der christdemokratischen EU-Abgeordneten. Einigkeit besteht aber zwischen DGB und dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). In einem gemeinsamen Brief an die EU-Abgeordneten stellen beide Organisationen ihre Kritik dar. Denn die Dienstleistungskarte droht Qualitätsstandards – unter anderem den Meisterbrief – zu unterlaufen.
Konkret geht es den Kritikern um das Procedere, wie der digitale Pass beantragt und ausgestellt werden soll. Ein Beispiel: Ein tschechischer Elektriker stellt bei einer zentralen Stelle in Tschechien einen Antrag. Online weist er seine Qualifikationen nach. Dieser Antrag geht an die zuständige Behörde in Deutschland. Dort müssen die SachbearbeiterInnen innerhalb von vier Wochen den Antrag prüfen und bescheiden. Antwortet die Behörde in der kurzen Frist nicht, gilt die Dienstleistungskarte als ausgestellt. Dann soll der Elektriker seine Dienstleistungen bundesweit anbieten dürfen, auch wenn er die Voraussetzungen gar nicht erfüllt.
Körzell kritisiert: „Diese Praxis würde einem unfairen Dumpingwettbewerb Vorschub leisten. Denn es besteht die Gefahr, dass Selbstständige auf dem Markt auftreten, die gar nicht die notwendige Qualifikation wie den Meisterbrief mitbringen.“ So bestehe die Gefahr, dass dann etwa Arbeiten an statisch relevanten Bauteilen wie Dachstühlen oder tragenden gemauerten Wänden erbracht würden, ohne dass die Personen dafür qualifiziert sind. „Sie gefährden nicht nur sich, sondern auch Mitarbeiter, Beschäftigte von anderen Firmen und auch uns als Verbraucher“, warnt Körzell. Mehr noch: Kommen über die Dienstleistungskarte immer mehr Scheinselbstständige auf den Markt, drohen auch Mindestlöhne, Arbeitszeitregeln und Sozialstandards umgangen zu werden.
DGB/Simone M. Neumann
DGB/Simone M. Neumann
Colourbox.de
DGB
Zudem müssen für die Bewilligungsprozedur extra neue Behörden geschaffen werden. Hier hat unter anderem das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) Bedenken: „Kostenintensive neue Verwaltungsstrukturen in den Mitgliedstaaten wollen wir vermeiden. Deshalb sehen wir die Verpflichtung zur Errichtung einer nationalen Koordinierungsbehörde für die Dienstleistungskarte skeptisch.“ Auch das BMWi teilt die Befürchtungen von DGB und Gewerkschaften, dass auf dem Umweg über die Dienstleistungskarte das Herkunftslandprinzip europaweit eingeführt werden könnte. Dann wäre es Dienstleistern erlaubt, nach den gesetzlichen und tariflichen Standards ihres Heimatlandes in Deutschland zu arbeiten.
Die voraussichtlich neue Bundesregierung aus Union und SPD setzt in dieser Frage auf Kontinuität und betont den Vorrang für faire Regeln. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Auf europäischer Ebene setzen wir uns weiter für den Fortbestand bewährter Qualifikationsstandards ein und lehnen die Einführung des Herkunftslandprinzips ab.“
Weitere Informationen gibt es auf der DGB-Themenseite zur EU-Dienstleistungskarte...