Ende Juni hat die Geschäftsstelle der Mindestlohnkommission ihren Bericht an die Bundesregierung vorgelegt. Kritik kommt von den drei Arbeitnehmervertretern in der Kommission. Viele Ansätze seien "einseitig und geben lediglich die Position der Arbeitgeber wieder". Die drei gewerkschaftlichen Mitglieder der Kommission haben deshalb ihre Positionen zu den "gravierendsten Fehldarstellungen" zusammengefasst.
VertreterInnen der Arbeitnehmerseite in der Mindestlohnkommission sind DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell, die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger und der IG-BAU-Vorsitzende Robert Feiger.
DGB/Simone M. Neumann
Der Bericht der Mindestlohnkommission an die Bundesregierung sei durchzogen von Denkansätzen und Studien, die sich zum Teil widersprechen. Außerdem seien sie "einseitig und geben lediglich die Positionen der Arbeitgeber wieder", kritisieren die gewerkschaftlichen Kommissionsmitglieder. Entsprechende Studien hätten vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns vor "massiven Arbeitsplatzverlusten von bis zu einer Million" Jobs gewarnt. Diese Prognosen waren schlicht und einfach falsch: Statt Jobverlusten ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung seit Einführung des Mindestlohns sogar massiv gestiegen. Dennoch bilden diese Studien an vielen Stellen die wissenschaftliche Grundlage für den Mindestlohnbericht.
DGB/Simone M. Neumann
Weiterer Kritikpunkt der Gewerkschaften: Die Mindestlohnforschung wird im Bericht auf nur zwei Modelle reduziert – beides neoklassische Arbeitsmarkttheorien, die den Mindestlohn einzig und allein als Kostenfaktor begreifen. Keynesianistische Modelle, in denen der Mindestlohn auch eine Funktion für die Binnenkonjunktur, als Deflationsbremse und eine gesamtwirtschaftliche Stabilitätsfunktion hat, fehlen im Bericht völlig. Außerdem werden die Arbeitskosten als wesentlicher Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen dargestellt. Dass auch Produktqualität, Standortvorteile und -nachteile, Infrastruktur und Beschäftigtenfluktuation Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit haben, wird im Bericht ausgeblendet.
DGB/Claudia Falk
"Im Bericht kommt nicht klar zum Ausdruck, dass die Mindestlohnkontrollen und -sanktionen in Deutschland bislang völlig unzureichend sind", heißt es in den Positionen der Arbeitnehmervertreter in der Mindestlohnkommission. Aus Sicht der Gewerkschaften seien schon die versprochenen 1.600 zusätzlichen Stellen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls (FKS), die bis 2019 bereitgestellt werden sollten, zu wenig gewesen. Die Gewerkschaften fordern mittelfristig eine Aufstockung des Personals bei der FKS auf mindestens 10.000 Stellen.
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Langzeitarbeitlose können laut Mindestlohngesetz die ersten sechs Monate ihrer neuen Beschäftigung zu Löhnen unter dem gesetzlichen Mindestlohn beschäftigt werden. Der DGB hat diese Ausnahme stets kritisiert. Und jetzt zeigt sich: Sie läuft komplett ins Leere. Nicht einmal 0,3% der potenziellen Zielgruppe, also aller Langzeitarbeitsloser, haben die entsprechende Bescheinigung beim Jobcenter oder einer Arbeitsagentur beantragt, mit der ihr Arbeitgeber weniger als den Mindestlohn zahlen dürfte. Bundesweit wurden von August 2015 bis April 2016 gerade einmal 1.990 solcher Bescheinigungen ausgestellt. Das zeigen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Die Kritik der Arbeitnehmervertreter in der Mindestlohnkommission: All das erwähnt der Bericht der Mindestlohnkommission nicht – obwohl die Untersuchungsergebnisse des BA-eigenen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Bericht zusammengefasst werden.
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Die Arbeitnehmerseite in der Mindestlohnkommission kritisiert am Mindestlohnbericht außerdem, dass die dargestellten Auswirkungen der Zuwanderung von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt, nur Mutmaßungen und Spekulationen seien.
Die kompletten Positionen der Arbeitnehmervertreter in der Mindestlohnkommission zum Mindestlohnbericht zum Download: