Ein neues Gesetz soll Standards setzen, was als "Geschäftsgeheimnis" gilt. Das Problem: Die Unternehmen selbst dürfen festlegen, was sie als Geschäftsgeheimnis definieren. Das macht es Beschäftigten schwer bis unmöglich, auf Missstände im Unternehmen aufmerksam zu machen – denn sie riskieren hohe Strafen.
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach DGB/Simone M. Neumann
Annelie Buntenbach ist Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes. Sie schreibt regelmäßig als Autorin für die Kolumne Gastwirtschaft der Frankfurter Rundschau.
Fast unbemerkt ist kurz vor der Sommerpause ein Gesetzentwurf zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen durchs Kabinett gegangen, bald soll er im Bundestag ankommen. Das Gesetz droht zum Maulkorb für Beschäftigte und ihre Interessenvertreter zu werden.
Das Problem ist nicht, dass das Geschäftsgeheimnis erstmals gesetzlich definiert werden soll. Problematisch ist, wem die Definitionshoheit eingeräumt wird: Unternehmer und Manager sollen selbst entscheiden, was ein Geheimnis ist. Das kann eine Software zur Manipulation von Abgasen sein, aber auch Informationen über geplante Entlassungen oder eine Werkschließung. Selbst Fachkenntnisse, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei ihrer Tätigkeit erworben haben, könnten als Geschäftsgeheimnis deklariert werden. Dabei reicht schon der Verdacht eines Arbeitgebers aus, um gegen Mitarbeiter vorzugehen. Die Sanktionen sind hart, sie liegen bei bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe.
Europaweite Standards für den Schutz der Unternehmen, etwa vor Wirtschaftsspionage, sind sinnvoll. Es wäre aber ein schwerer Fehler, diese Regelungen auf die individuellen und kollektiven Arbeitsbeziehungen anzuwenden. Im Arbeitsleben erhalten Beschäftigte und ihre Interessenvertreter viele Informationen, einige wollen und müssen sie verwenden. Bei einem Jobwechsel etwa müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berufliche Kenntnisse nutzen können. Betriebsräte brauchen Informationen, um ihre gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben erfüllen zu können.
Wo die Grenzen liegen, regeln heute sogenannte Verschwiegenheitsverpflichtungen – gesetzlich vorgeschrieben für Betriebs- und Personalräte oder Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten, durch die Rechtsprechung entwickelt für den Einzelnen. So bleiben die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen gewahrt, ohne notwendigen Informationsaustausch zu verhindern. Nur so können Arbeitsbeziehungen funktionieren. Das geplante Gesetz setzt dieses Gleichgewicht aufs Spiel. Es ist eine Rolle rückwärts in vorindustrielle Zeiten, in denen Mitbestimmung ein Fremdwort war und „der Patriarch“ allein das Sagen hatte: Mein Fabrikschlot, mein Gewinn, mein Geheimnis! Die Abgeordneten sollten genau abwägen, ob das der richtige Kurs für das digitale Zeitalter ist.
von Annelie Buntenbach
Dieser Artikel ist erstmals am 12.09.2018 in der Frankfurter Rundschau erschienen.