Deutscher Gewerkschaftsbund

19.01.2024
FAQs Arbeitsrecht

Hochwasser: Was Ar­beit­neh­me­r*innen jetzt wis­sen müs­sen

Das aktuelle Hochwasser hat viele Arbeitnehmer*innen schwer getroffen. Wohnungen und Häuser sind beschädigt oder vernichtet, oder sogar die Arbeitsbetriebe. Der Weg zur Arbeit wird schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Welche Rechte hast du als Arbeitnehmer*in im Fall einer solchen Katastrophe, wenn du deine Arbeitsleistung nicht erbringen kannst?

Inhaltsverzeichnis

Meine Wohnung bzw. mein Haus ist vom Hochwasser betroffen. Ich muss Sicherungs-, Bergungs- und Aufräumarbeiten verrichten. Kann ich bezahlt von der Arbeitspflicht freigestellt werden?

Arbeitnehmer*innen können sich in einem solchen Fall grundsätzlich auf § 616 BGB ("Vorübergehende Verhinderung") berufen. Sie können die bezahlte Freistellung verlangen, wenn sie durch einen "in der Person liegenden Grund" an der Ausübung der Arbeit gehindert sind. Darüber sollten sie den Arbeitgeber so schnell wie möglich informieren. Zum persönlichen Bereich gehört auch die eigene Wohnung oder das Haus, wo in Fällen einer Hochwasserkatastrophe aufgeräumt, gerettet und sich notdürftig neu eingerichtet muss.

§ 616 BGB ist "bei einem objektiven Leistungshindernis anzuwenden ..., wenn das Hindernis den betroffenen Arbeitnehmer wegen seiner besonderen persönlichen Verhältnisse in der Weise betrifft, dass es gerade auf seinen körperlichen oder seelischen Zustand zurückwirkt oder er von einer Naturkatastrophe betroffen wird und ihm die Arbeitsleistung deshalb vorübergehend nicht zuzumuten ist, weil er erst seine eigenen Angelegenheiten ordnen muss" (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. September 1982 – 5 AZR 283/80).

Die Arbeitsbefreiung gilt für eine "verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit", was rund fünf bis zehn Tage umfassen dürfte (Die Rechtsprechung ist unterschiedlich). § 616 BGB ist allerdings kein zwingendes Recht, und kann arbeits- und tarifvertraglich abgeändert oder ausgeschlossen sein.

Arbeitnehmer*innen können darüber hinaus ein unbezahltes Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB in Anspruch nehmen. Voraussetzung: Die Erbringung der Leistung ist in sonstiger Weise unzumutbar. Berufen sich Arbeitnehmer*innen auf ihr Leistungsverweigerungsecht nach § 275 Abs. 3 BGB, sind sie von der Arbeitspflicht freigestellt. Aber bevor Beschäftigte dieses Recht in Anspruch nehmen, gilt: Jeder Einzelfall sollte geprüft und der Rechtsschutz der Gewerkschaften in Anspruch genommen werden.

Im Gegenzug gilt auch: Der Arbeitgeber wird von der Pflicht zur Gegenleistung frei (§ 326 BGB), das heißt er muss kein Entgelt zahlen, wenn die Arbeitspflicht aufgrund der Flutkatastrophe unzumutbar ist und die Arbeitnehmer*innen das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 in Anspruch nimmt.

Ich kann aufgrund der Hochwasserkatastrophe nicht in meinem Betrieb arbeiten. Was gilt?

Wenn der Arbeitgeber hochwasserbedingt nicht in der Lage ist, seine Belegschaft oder Teile davon wie im Arbeitsvertrag vereinbart zu beschäftigen, so ist er im Annahmeverzug und muss trotzdem das Entgelt zahlen. Der Arbeitgeber trägt das Risiko des Arbeitsausfalls (das so genannte Betriebsrisiko) und ist zur Fortzahlung der Vergütung nach § 615 Satz 3 BGB verpflichtet. Zum Betriebsrisiko zählen laut Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Ursachen, die von außen auf die Betriebsmittel einwirken und sich für den Arbeitgeber als ein Fall höherer Gewalt darstellen, z. B. Naturkatastrophen oder extreme Witterungsverhältnisse (vgl. BAG vom 13. Juni 19909.3.1983 – 24 AZR 635/89301/80 –, juris). § 615 Abs. 3 BGB kann allerdings arbeits- oder tarifvertraglich abgeändert oder ausgeschlossen sein.

In Betracht kommt auch "Kurzarbeit null", wenn die Arbeit längere Zeit unterbrochen werden muss – das heißt, dass in der Kurzarbeit die betroffenen Beschäftigten gar nicht arbeiten.

Arbeitnehmer*innen haben zudem ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 275 Abs. 3 BGB, wenn die Erbringung der Leistung unzumutbar ist, das heißt z. B.  bei erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit. Berufen sich Arbeitnehmer*innen auf ihr Leistungsverweigerungsecht nach § 275 BGB, hat dies in diesen Fällen zur Folge, dass sie von der Arbeitspflicht freigestellt sind; allerdings haben sie für diese Zeit dann auch keinen Anspruch auf Entgelt., Es sei denn Arbeitsvertrag, Betriebs- oder Dienstvereinbarung bzw. Tarifvertrag sehen etwas Anderes vor.

Gibt es Kurzarbeitergeld (KuG), wenn das Hochwasser in Betrieben Arbeitsausfälle verursacht?

Wenn wegen eines Hochwassers und seiner Folgen die Arbeit im Betrieb nicht ausgeübt werden kann, so besteht bei entsprechendem Antrag nach §§ 95 ff. SGB III grundsätzlich ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Dazu muss der Arbeitgeber oder der Betriebsrat den Arbeitsausfall bei der zuständigen Agentur für Arbeit so früh wie möglich anzeigen.

Gegenüber den Beschäftigten kann der Arbeitgeber das allerdings nicht einseitig tun, dazu ist eine entsprechende Betriebsvereinbarung nötig. Auf tarif- oder arbeitsvertraglicher Grundlage ist zusätzlich noch die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich.

Der Weg zur Arbeit verlängert sich durch das Hochwasser. Was muss ich beachten?

Grundsätzlich gilt im Arbeitsrecht: Für den Weg zur Arbeit und zurück tragen die Arbeitnehmer*innen das "Wegerisiko". Das heißt auch, sie müssen sich vorab informieren, welche Zufahrtswege zur Arbeitsstelle gesperrt sind – und dann bei Bedarf einen anderen Weg wählen.

Das Risiko gilt auch für den Anspruch auf Arbeitsentgelt. Das heißt, für die nicht geleistet Arbeit gibt auch keine Vergütung. Allerdings gibt es eine Vielzahl von Tarifverträgen, die solche Situationen anders regeln. Wenn der Arbeitgeber Beschäftigte abmahnt oder kündigt, wenn diese zu spät zur Arbeit kommen, dann sollten diese Sanktionen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.

Habe ich als von Hochwasser betroffene Arbeitnehmer*in einen Anspruch auf Sonderurlaub?

Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch auf hochwasserbedingte Freistellung als Sonderurlaub. Es kommt aber regulärer Urlaub in Frage. Bei der Erteilung des Urlaubs ist auf die Belange der Arbeitnehmer*innen Rücksicht zu nehmen. Es gelten die Grundsätze des Bundesurlaubsgesetzes. Es kann zudem tarifliche Sonderregelungen geben. Arbeitnehmer*innen haben zudem ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 275 Abs. 3 BGB, wenn es für sie durch die Hochwasserfolgen unzumutbar ist, die Leistung zu erbringen. Berufen sich Arbeitnehmer*innen auf ihr Leistungsverweigerungsecht nach § 275 BGB, hat dies in diesen Fällen zur Folge, dass sie von der Arbeitspflicht freigestellt sind. Allerdings heißt das noch nicht, dass der Arbeitgeber die Freistellung dann auch bezahlen muss.

Ich kann wegen der Hochwasserschäden nicht mehr im Betrieb arbeiten. Muss oder darf ich ins Homeoffice?

Von zu Hause aus zu arbeiten, dafür gibt es grundsätzlich keinen gesetzlichen Anspruch. Arbeitnehmer*innen können dies jedoch mit ihrem Arbeitgeber einvernehmlich vereinbaren. Oder es gibt eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung oder einem Tarifvertrag, die das ermöglichen. Vielen Betriebe haben tatsächlich bereits Regelungen zur Arbeit im Homeoffice (z. B. über Betriebsvereinbarungen); auf diese kann und sollte zurückgegriffen werden.

Bevor du im Homeoffice arbeitest, prüfe als Arbeitnehmer*in, was laut der betrieblichen Regelungen abgesprochen werden muss. Im Optimalfall existiert eine Betriebsvereinbarung, die die Verfahren für Homeoffice genau regelt. Will der Arbeitgeber die Beschäftigten ins Homeoffice schicken, muss er auf jeden Fall die Beteiligungsrechte des Betriebsrats berücksichtigen und die Regelungen aus einer vorhandenen Betriebsvereinbarung einhalten.

Ob Arbeitnehmer*innen bei hochwasserbedingten Zerstörungen zur Arbeit im Homeoffice verpflichtet werden können, das ist derzeit noch nicht gerichtlich entschieden. Entscheidend ist hier auch, ob und wie der "Ort" arbeitsvertraglich festgelegt ist und ob es bereits Vereinbarungen zum Homeoffice im Betrieb gibt.

In einer Notsituation, wie bei einer Überschwemmung, ist jeder Einzelfall zu prüfen. Es kann zudem Fälle geben, wo ungestörtes Arbeiten zu Hause nicht möglich ist, Dann ist zu klären, ob der Arbeitgeber ein Ersatzbüro anmieten muss.  Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Arbeitgeber die Arbeit im Homeoffice in der Regel nicht einseitig anordnen kann.

Kann der Arbeitgeber Überstunden anordnen, um Hochwasserschäden im Betrieb zu beseitigen?

In Not- und Katastrophensituationen müssen Arbeitnehmer*innen grundsätzlich Überstunden leisten, um schnellstmöglich die Arbeit im Betrieb wieder zu ermöglichen. Die Überstunden zur Beseitigung von Hochwasserfolgen müssen dabei grundsätzlich vergütet werden (so das Arbeitsgericht Leipzig (4.2.2003 – 7 Ca 6866/02 zur Beseitigung der Folgen der »Jahrhundertflut« von 2002). Aber auch hier zählt jeder Einzelfall. Wenn solche Überstunden angeordnet werden, sind auch die Konstitution sowie persönliche Betroffenheit wegen des Hochwassers der einzelnen Arbeitnehmer*innen zu berücksichtigen.

Ich will freiwillig im Katastrophenfall helfen, auch ohne betroffen zu ein. Gibt es dafür ein Gesetz, nach dem ich bezahlt freigestellt werde?

Es gibt gesetzliche Regelungen zum Beispiel für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr nach den jeweiligen landesgesetzlichen Regelungen (z. B. § 8 Abs. 1 Feuerwehrgesetz Berlin) oder für Mitglieder des Technischen Hilfswerks (THW) nach § 3 Abs. 1 THW-Gesetz. Ihnen dürfen durch den Dienst keine Nachteile im Arbeits- oder Dienstverhältnis entstehen; und sie müssen für die Teilnahme an Einsätzen und Übungen bezahlt freigestellt werden.

Darüber hinaus können Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber einvernehmlich eine bezahlte Freistellung vereinbaren.

Wer kann mich bei Fragen zum Hochwasser und den Folgen für mein Arbeitsverhältnis konkret beraten?

Es ist immer der Einzelfall entscheidend, wenn es um arbeits- und tarifvertragliche Regelungen geht. Auch Betriebsvereinbarungen müssen berücksichtigt werden. Was für dich konkret gilt, kannst du als Mitglied bei deiner zuständigen Gewerkschaft erfahren. Denn für dich als Gewerkschaftsmitglied ist die arbeits- und sozialrechtliche Beratung bereits im Beitrag enthalten.


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