Die Rentenerhöhung mit 5,35 im Westen und 6,12 Prozent im Osten ist wegen der guten Lohnentwicklung höher als gedacht, aber aufgrund des Nachholfaktors rund 1,2 Prozent geringer als möglich. Angesichts steigender Preiseerhöhungen wäre auch im Westen eine sechs vorm Komma das richtige Signal. Den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung zu kürzen ist fahrlässig und kurzfristig, gerade in dieser Zeit.
colourbox.de
Nun hat das BMAS die voraussichtlichen Werte der Rentenerhöhung zum 1. Juli 2022 bekannt gegeben. Zum Zeitpunkt in dieser Text entstand waren noch nicht alle Informationen der Berechnung verfügbar. Eine vollständige Bewertung erfolgt erst dann.
Eine Erhöhung des Rentenwerts zum 1. Juli 2022 um 5,35 Prozent und des Rentenwerts (Ost) sogar um 6,12 Prozent ist natürlich erfreulich. Dies ist zunächst der guten Lohnentwicklung und dem starken Sozialstaat zu verdanken. Die gute Lohnentwicklung basiert auf guten Tarifabschlüssen durch Gewerkschaften auch in der Krise und den vielfach gezahlten Corona-Prämien. Und natürlich trägt die, auf Druck der Gewerkschaften, ausgeweiteten Kurzarbeit ganz erheblich zur guten Entwicklung der Einkommen der Beschäftigten in der Krise bei.
Aber trotz dieser hohen Rentenerhöhung bleiben die Renten geringfügig hinter der Lohnentwicklung zurück (um 0,2 Prozent) und das Rentenniveau sinkt von 48,3 auf 48,2 Prozent. Und angesichts einer Inflation von fünf oder mehr Prozent gleicht die Erhöhung nicht mal die Preise so richtig aus, denn schon in 2021 sind die Renten im Westen nicht gestiegen – netto sogar leicht gesunken.
Hintergrund ist, dass die Koalition den Ausgleichsfaktor – der sogenannte "Nachholfaktor" – reaktiviert hat. Eingeführt wurde er mit der Rente mit 67. Ziel war, das Rentenniveau zusätzlich zu kürzen, damit der Beitragssatz niedriger ausfällt. 2018 wurde der Ausgleichsfaktor ausgesetzt, da die Renten nun wieder wie die Löhne steigen sollten – Rentenniveau von mindestens 48 Prozent. Der Ausgleichsfaktor kürzt die Rentenerhöhung dieses Jahr um 1,17. Das ist und bleibt aus sozial- und verteilungspolitischen Gerechtigkeitsgründen falsch. Denn dadurch müssen alle künftigen Generationen mit weniger Rente rechnen. Wie genau die Erhöhung ohne den Ausgleichsfaktor ausgefallen wäre, lässt sich erst nach veröffentlichen des Gesetzentwurfs klären.
Schon jetzt aber ist für den DGB klar, dass er angesichts der hohen Inflationsraten der Ampel-Koalition rät, davon Abstand zu nehmen und den Ausgleichsfaktor nicht anzuwenden. "An diesem Plan aber bei steigenden Preisen und einer unkalkulierbaren Energiekrise festzuhalten ist verantwortungslos. Die Koalition darf ältere Menschen nicht im Stich lassen", sagte dazu Vorstandsmitglied Anja Piel der Osnabrücker Zeitung (vom 22.3.2022). "Und auch schon vor der Energiekrise haben ganz sicher viele Ältere bei der Heizung gespart."
In der Woche wurde auch der Bundeshaushalt für 2022 debattiert. Im Entwurf hat der Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Zuschuss zur Rentenversicherung um 500 Millionen Euro gekürzt. Hinzu kommt, dass der Bundeszuschuss mittelfristig um weitere knapp 500 Mio. Euro weniger steigt, wenn der Ausgleichsfaktor die Rentenerhöhung um rund 1,2 Prozent kürzt. Es ist in Zeiten der Unsicherheit und Krisen ein Zeichen verlässlicher Politik, dass noch im Herbst 2021 gegebene Versprechen auf eine stabile Finanzierung der Rentenversicherung und eines stabilen Rentenniveaus auch ein- und durchzuhalten. Denn die 500 Mio. Euro fehlen spätestens in wenigen Jahren in der Rentenkasse. Aber sich heute zu Lasten künftiger Generationen den Haushalt schön zu rechnen gefährdet dieses Versprechen. Hier muss die Koalition nachbessern. Weder dürfen der Nachholfaktor eingesetzt noch der Bundeszuschuss gekürzt werden. Das wäre die nun gebotene soziale Antwort auf unsicher Zeiten.