Deutscher Gewerkschaftsbund

10.11.2022

Rente und Hinzuverdienst: lückenlose soziale Absicherung nötig

Neben der Altersrente soll künftig unbegrenzte Erwerbsarbeit möglich sein. Das Arbeitseinkommen begründet aber keine Leistungsansprüche bei Krankheit und Verlust des Arbeitsplatzes. Das birgt erhebliche finanzielle Risiken für die Betroffenen und beschädigt letztlich die Kombirente als Instrument für den Übergang.

Älterer Mann beim Ausputzen einer Wand

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Die Regierung plant, den Hinzuverdienst bei der Rente zum 1.1.2023 neu zu regeln (Teil des 8. SGB IV Änderungsgesetz).

Geregelt werden soll:

  • Bei Altersrenten soll dann neben der Vollrente dann nicht mehr nur 46.060 Euro, sondern jedes beliebige Gehalt erlaubt sein. Die Aufhebung ist aus Sicht des DGB nicht nötig, die bisherigen rund 46.000 Euro reichen vollkommen aus. Denn 60 Prozent der Beschäftigte in Vollzeit haben einen Bruttolohn von unter 46.000 Euro. Im Durchschnitt inkl. der Teilzeit liegt der Lohn nur bei rund 40.000 Euro. Von der Aufhebung profitieren also nur Personen, die neben der Rente noch über 46.000 Euro hinzuverdienen wollen. Andererseits entfällt durch die Neuregelung das 2017 eingeführte, unnötig komplizierte Verfahren aus Prognose und Spitzabrechnung. Das wiederum ist sehr zu begrüßen.
  • Bei Renten wegen voller Erwerbsminderung soll der Hinzuverdienst neben der Vollrente von bisher 6.300 Euro im Jahr auf rund 17.000 Euro im Jahr angehoben werden (genauer: auf 3/8 des 14-fachen der monatlichen Bezugsgröße).
  • Bei Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung auf das Doppelte (6/8 des 14-fachen der Bezugsgröße). Das ist grundsätzlich sinnvoll. Hier bestehen allerdings weiterhin die komplizierten Anrechnungsregeln mit Prognose und rückwirkender Spitzabrechnung. Im Sinne finanziell abgesicherter Versuche einer Wiedereingliederung wäre es sinnvoll hier ergänzend zu regeln, dass die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht mehr zur vorzeitigen Überprüfung der Erwerbsfähigkeit und damit zum potentiellen Wegfall der Erwerbsminderungsrente führt.
  • Bei Knappschaftsausgleichsleistungen soll die Hinzuverdienstgrenze von 6.300 Euro auf rund 17.000 Euro (3/8 des 14-fachen der monatlichen Bezugsgröße) angehoben werden.

Bereits zum 30.9.2022 lief mit Verweis auf die Neuregelung die Ausnahmeregelung aus, nach der Einkommen aus bestimmten Ehrenämtern nicht als Hinzuverdienst bei der Rente zählen.

Neuregelung bei den Altersrenten nicht zu beanstanden

Der DGB hat von der Politik lange gefordert, Teilrente und Hinzuverdienst so zu gestalten, dass diese Kombination für die Beschäftigten als Brücke in die Altersrente dienen kann. Denn viele wollen nicht gleich ganz aufhören, sondern zunächst reduziert weiterarbeiten – oft auch weil sie Vollzeit nicht mehr schaffen. Da bietet sich die Teilrente als teilweiser Ausgleich an. Eine vollständige Aufhebung des Zuverdienstes, wie nun geplant, wäre dafür nicht nötig gewesen. Die meisten Menschen haben gar nicht so viel Lohn. Aber es ist weitgehend unschädlich. Es liegt sogar die Chance darin, dass es weniger verwaltungsaufwendig und leichter zu erklären ist als das seit 2017 geltende sehr komplizierte Hinzuverdienstrecht.

Soziale Absicherung gewährleisten

Wenn Rentner*innen künftig neben der Rente noch deutlich hinzuverdienen, muss der Lohn auch voll sozial abgesichert sein. Dies ist aktuell nicht der Fall und die Regierung will dies schon wieder nicht ändern. Der DGB hatte dies schon bei der sogenannten Flexirente kritisiert und die Regierung aufgefordert, die Kombination aus Lohn und Rente auch sozialrechtlich vernünftig abzusichern, damit die Brückenfunktion in die Altersrente auch funktionieren kann. Stattdessen hat sich der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn wiederholt und am Ende leider erfolgreich dafür eingesetzt, das Problem noch zu verschärfen. Seitdem darf die Krankenkassen bei Bezug von Krankengeld die Beschäftigten mit ergänzendem Teilrentenbezug auffordern, die Vollrente zu beziehen. Die Kolleginnen und Kollegen müssen dann nicht nur mehr Abschläge auf die Rente hinnehmen als sie wollten. Sie verlieren auch den Krankengeldanspruch und die damit verbundenen Rentenbeiträge. Das ist ein unhaltbarer Zustand, zumal ältere Beschäftigte nicht häufiger krank sind, aber oft länger. Und künftige lägen zwischen Teilrentenbeginn mit 63 Jahren und Regelaltersgrenze bis zu vier Jahre. Ähnlich ist auch bei den anderen Lohnersatzleistungen (von Arbeitslosengeld bis Übergangsgeld): diese werden nicht gezahlt, nur kürzer gezahlt oder die Rente wird auf diese angerechnet.

Die Koalition muss hier endlich handeln und die Teilrente als Brücke in den Ruhestand strukturell stabilisieren und gangbar machen. Dazu muss das Krankengeld unabhängig vom Bezug einer Rente ungekürzt und in voller Höhe gezahlt werden. Wer einen wesentlichen Teil seines Einkommens aus dem Lohn bestreitet, darf im Falle der längeren Krankheit nicht leer ausgehen. Denn viele Menschen sind auf den Hinzuverdienst angewiesen und können darauf gerade in Zeiten der Krankheit sicherlich nicht mal eben verzichten. Das gleiche gilt bei Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld, welches neben der Rente ebenfalls nicht oder nicht voll gezahlt wird. Wer neben der Rente versicherungspflichtig arbeitet, muss im Falle der Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit auch die volle ungekürzte Lohnersatzleistung bekommen. Auch Leistungen der Rehabilitation und des Übergangsgelds sind dann voll zu gewähren. Wenn die Rente unabhängig vom Erwerbseinkommen gezahlt wird, darf die Rente nicht mehr andere lohnbezogene Sozialleistungen einschränken.

Neuregelung bei den Erwerbsminderungsrenten werfen Fragen auf

Bei den anderen Renten bleibt es bei der Einkommensanrechnung und der komplizierten Regelungen aus vorläufiger Prognoseberechnung und rückwirkender Spitzabrechnung. Hier wäre es sinnvoll gewesen, wenn die Regierung weitergedacht hätte. Denn neben den Hinzuverdienstregeln ist das größte Hindernis hier, dass eine Erwerbstätigkeit von 3 Stunden oder mehr am Tag (bzw. 6 Stunden bei teilweise erwerbsgeminderten) zum Verlust der Erwerbsminderungsrente führen kann. Diese Gefahr steigt, wenn die Menschen nun denken, sie dürften unschädlich 17.000 Euro hinzuverdienen, denn dies gilt nur für die Höhe des Einkommens. Um aber mit unter 3 Stunden auf 17.000 Euro im Jahr zu kommen sind Stundenlöhne von über 22 Euro nötig. Sehr viele Menschen würden als bei 17.000 Euro zu viel Stunden arbeiten und die EM-Rente verlieren. Dabei wäre es ja gut und richtig, wenn erwerbsgeminderte Menschen wieder arbeiten gehen könnten und dabei auch gut verdienen würden. Das Risiko die Rente wegen der Arbeit, nicht wegen des Hinzuverdienstes, zu verlieren ist allerdings groß, weshalb die meisten Menschen in diesen Fällen nur einen Minijob ausüben. Besser wäre es, die Erwerbsarbeit neben der Erwerbsminderungsrente freizugeben, zumal die Erwerbsminderungsrenten ohnehin meistens befristet sind. Eine Überprüfung könnte dann erfolgen, wenn der Verlängerungsantrag gestellt wird. Damit bietet man den Betroffenen die Chance der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt für einen begrenzten Zeitraum und zugleich ein Stück Sicherheit durch den parallelen Rentenbezug. Die Erwerbsminderungsrente ist damit keine Einbahnstraße mehr. Durch die weiterhin gültige Einkommensanrechnung würde eine Überversorgung dabei vermieden.

Ausnahmeregelung für Ehrenamtseinnahmen muss noch einmal bis Ende 2022 verlängert werden

Mit dem Auslaufen der Ausnahmeregelung im §320 SGB VI zum 30.9.2022 hat die Bundesregierung eine Regelungslücke geschaffen, die sogar zum Verlust der Rente und insbesondere der Knappschaftsausgleichsleistung führen kann. Denn in den Monaten Oktober bis Dezember sind diese Einkünfte nun wieder Hinzuverdienst. Ab Januar gelten sie bei Altersrenten nicht mehr als Hinzuverdienst. Bei den Knappschaftsausgleichsleistungen bzw. vollen Erwerbsminderungsrenten sind sie zwar Hinzuverdienst aber erst bei über 17.000 Euro während dieses Jahr noch 6.300 Euro gelten. Eine Person, die einen Minijob ausübt (bis September 450 Euro und ab Oktober 520 Euro) kommt damit schon auf 5610 Euro. In den Monaten Oktober bis Dezember dürften dann aus dem Ehrenamt insgesamt nur noch 690 Euro zusammen gezahlt werden.

Aus dieser Übergangslücke entsteht enormer Verwaltungsaufwand und Bürokratie. Denn wer Einkünfte aus einem solchen Ehrenamt hat, muss diese Einkommen laut Gesetz jetzt der Rentenversicherung melden. Die Rentenversicherung muss dann aufgrund einer Prognose einen neuen Rentenbescheid erteilen. Und spätestens nächstes Jahr muss die Rentenversicherung eine Spitzabrechnung durchführen und ggf. einen erneuten Bescheid erlassen. Melden die Betroffenen die Einkünfte aus dem Ehrenamt nicht, muss die Rentenversicherung dennoch die Spitzabrechnung durchführen, sobald sie – ggf. auch Jahre später – davon erfährt, und die Bescheide aus 2022 ggf. aufheben und überzahlte Renten zurückfordern. Dies kann nicht im Sinne des Erfinders sein.

Um diese Probleme zu vermeiden, sollte die Regierung die Ausnahmeregelung jetzt schnell bis 31.12.2022 verlängern, um im Übergang zum neuen Recht unangemessene Härten, unsinnige Bescheide und unnötigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Nach gut zehn Jahren Ausnahmeregelung kann es auf drei Monate jetzt nicht ankommen.


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