Deutscher Gewerkschaftsbund

30.03.2023
Mut zu mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen

Wir brauchen die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte!

Die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) soll zu einer besseren Gesundheitsversorgung führen. Doch bisher haben sich nur weniger als ein Prozent der knapp 74 Millionen gesetzlich Versicherten eine e-Akte zugelegt. Mit der Einführung einer sogenannten Opt-out-Regelung soll sich das nun ändern.

Ärztin mit Mobiltelefon in der Hand

Colourbox.de

Am 9. März 2023 hat Gesundheitsminister Lauterbach seine neue Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege vorgestellt. Mit ihr sollen Qualität und Zugang zu Gesundheitsversorgung durch digitale Lösungen im Sinne der Patient*innen verbessert werden. Die in der Strategie vorgestellten Maßnahmen sollen anschließend durch ein Digitalgesetz und ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz „in den nächsten Wochen“ umgesetzt werden.

Bei der Vielzahl an Vorschlägen, wie eine bessere Gesundheitsversorgung durch mehr Digitalisierung gelingen kann, sticht eine konkrete Maßnahme besonders heraus: Die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA). Sie bildet das Kernstück der Strategie, da sie für viele Anwendungen als zentrale Datenbasis fungieren soll. Die ePA ist aber kein neues Projekt, sondern existiert bereits seit 2021. Von der Möglichkeit sich eine solche e-Akte zuzulegen, haben jedoch bisher weniger als ein Prozent der knapp 74 Millionen gesetzlich Versicherten Gebrauch gemacht – und damit viel zu wenige, um einen wirklichen Mehrwert für die Versorgung zu ermöglichen.

Mit der Einführung einer sogenannten Opt-out-Regelung soll sich das nun ändern. Diese sieht vor, dass alle Versicherten zukünftig automatisch eine e-Akte erhalten, sofern sie der Nutzung nicht ausdrücklich widersprechen. Bis Ende 2024 sollen so mindestens 80 Prozent der Versicherten eine ePA erhalten. Aktuell liegen die Gesundheitsdaten von Patient*innen bei vielen verschiedenen Sozialversicherungsträgern und Leistungserbringern verteilt, sodass kein sinnvoller Datenaustausch im Sinne einer besseren Versorgung der Patient*innen erfolgen kann. Die Folgen dieser mangelnden Datenlage sind fatal:  Schätzungen zu Folge sterben 30.000 bis 50.000 Menschen in Deutschland jährlich durch Fehlmedikationen, die durch schädliche Wechselwirkungen verschiedener Medikamente entstehen. Das sind deutlich mehr Tote als bspw. im Straßenverkehr. Die E-Akte soll als Gesundheitsplattform dienen, über die Patient*innendaten für Verbesserungen der Versorgungsqualität und Effizienz genutzt werden können. Dabei sollen die Versicherten jederzeit ihre Datensouveränität behalten und die Nutzung ihrer Daten für bestimmte Bereiche ablehnen können.  

Bei allen gebotenen datenschutzrechtlichen Bedenken muss immer mitbedacht werden, dass der Gesundheitsschutz der Bevölkerung mindestens genauso hoch anzusiedeln ist, wie der Datenschutz. Bei richtiger Umsetzung der Opt-out Regelung sieht der Bundesdatenschutzbeauftragte (BfDI) Prof. Kelber keine grundsätzlichen Bedenken. Das ist ein gutes Zeichen.

Dennoch muss bei jeglicher Nutzung von Patient*innendaten unbedingt darauf geachtet werden, dass eine größtmögliche profitferne jederzeit gewährleistet ist. Die Nutzung zu Forschungszwecken ist nur dann zulässig, wenn die dadurch ermöglichten Innovationen der Allgemeinheit zugutekommen. Dass die anschließend im Forschungsdatenzentrum (FDZ) pseudonymisiert gespeicherten Daten nach den Plänen der Bundesregierung künftig auch zu kommerziellen Zwecken von Privatunternehmen genutzt werden sollen, sehen wir kritisch. Wer als Unternehmen mit kostenlosen Daten der Versicherten Produkte entwickelt, soll diese dann nicht teuer an ebendiese Versicherten zurück verkaufen dürfen. Daher sind bei der Datennutzung enge gesetzgeberische Grenzen zu setzen, die im Sinne der Patient*inneninteressen kontinuierlich überwacht und angepasst werden müssen. Missbrauch von persönlichen Daten muss konsequent geahndet und empfindlich sanktioniert werden.

Lauterbachs Strategie weist zwar in die richtige Richtung, dennoch bleiben aktuell noch viele Fragen offen, da konkrete Zielbeschreibungen und Maßnahmen fehlen. Auch zur genauen Ausgestaltung der Opt-out Regelung sind viele datenschutzrechtliche Detailfragen zu klären. Die beiden angekündigten Gesetze müssen hier die notwendige Klarheit schaffen. Denn eines ist sicher: Ohne mehr Digitalisierung ist eine moderne und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung nicht möglich. Und eine hinter allem liegende zentrale Frage ist auch offen: Schafft es die für die Entwicklung und den Betrieb zuständige gematik GmbH überhaupt, allen gesetzlich Krankenversicherten eine sichere, hochperformante und einfach zu bedienende elektronische Patientenakte anzubieten?


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