Im zur Neige gehenden Jahr 2022 hat sich für die pflegebedürftigen Menschen in unserem Land nicht viel verbessert. Im Gegenteil: Das Armutsrisiko durch Pflegebedürftigkeit steigt. Trotz Ankündigungen im Koalitionsvertrag wurde eine große Pflegereform weiter ins Jahr 2023 verschoben und nur das Nötigste geregelt. Ergebnis: auch 2022 wird es ein Defizit in der Pflegeversicherung geben.
DGB/Simone M. Neumann
Die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen, die von den Leistungen der Pflegeversicherung abhängig sind, warten immer dringender auf die im Koalitionsvertrag versprochene Pflegereform. Doch obwohl der Haushalt der Pflegeversicherung coronabedingt schon das letzte Jahr mit einem Minus von 1,5 Mrd. Euro abgeschlossen wurde, ist auch in diesem Jahr mit einem solchen Ergebnis zum Jahresende zu rechnen. Und das, obwohl seit der letzten Reform ein pauschaler Bundeszuschuss in Höhe von 1 Mrd. Euro jährlich in die Pflegeversicherung fließt. Die Zusage des Finanzministers, die durch Corona bedingten Zusatzkosten der sozialen Pflegeversicherung (SPV) aus Steuern auszugleichen, wurde bislang nur unzureichend eingelöst. Findet ein entsprechender Ausgleich nicht statt, bleibt den Pflegekassen nichts anderes übrig, als die Beitragssätze zu erhöhen.
Dazu kommt, dass die prozentualen Zuschüsse zu den pflegebedingten Eigenanteilen in vollstationären Einrichtungen mehr Geld kosten als ursprünglich berechnet worden war. Leidtragende dieser Entwicklung sind die die Menschen, denen die Kosten im Pflegeheim oder bei der Versorgung durch einen ambulanten Pflegedienst über den Kopf wachsen. Die Untätigkeit der Bundesregierung ist insoweit immer weniger nachzuvollziehen, als wohlwissend schon 2021 eine Tariftreueregelung beschlossen wurde, nach der Leistungserbringer nur noch mit den Pflegekassen abrechnen können, wenn diese ihre Mitarbeiter*innen tariflich entlohnen. Mit Inkrafttreten dieser Regelung seit 1. September diesen Jahres steigen dadurch die Eigenanteile der stationär Pflegebedürftigen um mehrere Hundert Euro bis hin zu vierstelligen Beträgen, denn alle Kosten, die über die gedeckelten Leistungsbeträge der Pflegeversicherung hinaus gehen, müssen von den Betroffenen beglichen werden. Das bedeutet: neben den ohnehin stark steigenden Preisen für Energie und Lebensmittel entsteht ein weiterer hoher Kostenblock der die Menschen finanziell überfordert und in die Armut treibt.
Der DGB fordert, endlich eine echte Wende bei der Finanzierung der Pflege einzuleiten. Die Bundesregierung muss die im Koalitionsvertrag versprochenen Strukturreformen jetzt endlich angehen. Sämtliche pflegerischen Kosten müssen von der dafür zuständigen Pflegeversicherung übernommen werden. Gleichzeitig gilt es, die vollkommen berechtigten Ansprüche der Beschäftigten nach einer fairen Entlohnung nicht gegen die genauso berechtigten Ansprüche der Pflegebedürftigen nach einer guten und bezahlbaren Versorgung auszuspielen. Mit Zuschüssen ist es da nicht getan.
Für das kommende Jahr 2023 wurden vom Bundesgesundheitsministerium bis zur Jahresmitte geplante Leistungsverbesserungen angekündigt. Erst danach sollen auch langfristige Strukturreformen in Angriff genommen werden. Dabei steht die Befürchtung im Raum, dass nachhaltige und kostenintensive Reformen zum Ende der Legislatur erneut vertagt werden könnten. Vor dem Hintergrund genau dieser Erfahrungen aus der letzten Legislatur macht der DGB weiter politischen Druck, damit die notwendigen Schritte nun endlich zeitnah in Angriff genommen werden.