Deutscher Gewerkschaftsbund

14.12.2022
Rentenpolitik

Mit falschen Zahlen für höheres Rentenalter

Missverständliche Aussagen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), eine unbedachte Aussage von Kanzler Scholz und ganz viel Interessenspolitik vermengt mit einer Fachkräftedebatte – und schon ist die Schlagzeile fertig, ein höheres Rentenalter sei alternativlos.

Miniatur-Figuren laufen an einem Zahlenstrahl Richtung "100"

DGB/Hyejin Kang/123rf.com

Am Samstag, den 10.12.2022, ging das BiB mit der Meldung „Renteneintritt der Babyboomer: Für viele ist schon mit 63 Schluss“ online. Darin wird ein stagnierender Anstieg der Erwerbsquoten konstatiert und direkt mit der abschlagsfreien Rente für besonders langjährig Versicherte in Verbindung gebracht.

Dieser Ansatz wurde von Arbeitgeberverbänden und anderen dankbar aufgegriffen und der Generalangriff auf einen abschlagsfreien Rentenzugang vor der Regelaltersgrenze, die Rente für besonders langjährig Versicherte, gestartet, zusammen mit der Forderung, die Altersgrenzen über 67 hinaus weiter anzuheben und den vorzeitigen Rentenbeginn unattraktiver zu machen. Nur so sei der Fachkräftemangel zu beenden.

Dabei geht einiges durcheinander. Zunächst: Der Beginn der Altersrente ist nicht mit dem Erwerbsaustritt gleichzusetzen, wie es vom BiB und insgesamt in der Debatte getan wird. Viele Menschen haben schon viele Monate und Jahre vorher keinen versicherungspflichtigen Job mehr, beziehen Arbeitslosen- oder Krankengeld oder sind auf ALG II (Bürgergeld) angewiesen. Außerdem ist knapp jede fünfte Person schon vorher erwerbsgemindert. Gleichzeitig gehen weit über eine Million Menschen neben ihrer Altersrente arbeiten, wenn auch ganz überwiegend in einem Minijob. Die Frage der Erwerbsbeteiligung hat also nur wenig und eher mittelbar mit dem Rentensystem zu tun.

Liniendiagramm mit der Abbildung der Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an der Bevölkerung der jeweiligen Altersgruppe (bei den 65-jährigen bis unter Regelaltersgrenze statt bis unter 66).

Abbildung 1: Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an der Bevölkerung der jeweiligen Altersgruppe (bei den 65-jährigen bis unter Regelaltersgrenze statt bis unter 66). DGB

Darauf zielte auch der Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner Aussage: „Es gilt, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können". Es ging ihm offensichtlich nicht darum, den vorzeitigen Rentenbeginn anzutasten; sondern die Lebens- und Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass es mehr Beschäftigten tatsächlich möglich ist, länger zu arbeiten, da es viele heute nicht schaffen würden. In der vom BiB gestarteten schiefen Debatte war diese Botschaft aber durchaus missverständlich und wurde auch gleich anders gedeutet.

Dabei bezieht sich das BiB mit seiner Aussage zu stagnierenden Erwerbsquoten auf die allgemeine Erwerbsquote, welche auch Minijobs enthält. Die Minijobs sind aber bekanntermaßen in der Phase der Corona-Pandemie stark zurückgegangen. Gerade vor dem Hintergrund der Fachkräftedebatte, die auch das BiB anführt, dürfte es aber wohl weniger um Minijobs als um versicherungspflichtige Beschäftigung gehen. Die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten aber ist weiter angestiegen. Der Anstieg der versicherungspflichtigen Beschäftigung war auch von 2015 bis 2021 stark. Das zeigen aktuelle Zahlen der BA zur Quote von versicherungspflichtig Beschäftigten, die dem DGB als Sonderauswertung vorliegen (vgl. Abbildung 1). Der Rückgang im Alter 65 ist rechnerisch bedingt, da die Beschäftigten im Alter 65 bis unter 66 ins Verhältnis zu den Menschen im Alter 65 bis zur Regelaltersgrenze stehen – die Personen in dieser Alterskategorie entsprachen 2012 aber nur einem Geburtsmonat (Regelaltersgrenze 65 Jahre und 1 Monat) und 2021 dann 11 Geburtsmonaten (Regelaltersgrenze 65 Jahre und elf Monate). Und was noch mehr dagegenspricht, dass die Menschen früher aus dem Erwerbsleben aussteigen, ist, dass auch die Quoten an Vollzeitbeschäftigten in den Altern 60 bis 65 bzw. bis zur Regelaltersgrenze ebenfalls kontinuierlich weiter angestiegen sind.

Wichtig ist daher, keine Debatte über das Renteneintrittsalter zu führen, sondern über die Arbeitsbedingungen, von Arbeits- und Gesundheitsschutz, über Arbeitszeit und Bezahlung. Denn viele schaffen es nicht bis 65 oder noch länger, weil die Gesundheit nicht mitspielt, die Arbeitsbedingungen nicht altersgerecht sind oder die Arbeitgeber Ältere rauswerfen und nicht einstellen. Wenn Fachkräftemangel besteht, dann müssen die Arbeitgeber die Bedingungen so gestalten, dass Menschen auch arbeiten können und wollen. Sie bei Androhung von Rentenkürzung zur Arbeit zu drängen, gefährdet lediglich die Gesundheit der Beschäftigten und ist kein Anreiz, sondern Bestrafung für alle, die es nicht schaffen, länger zu arbeiten.

Die Zahlen vom BiB hat auch Dr. Dagmar Pattloch hinterfragt. Sie zeigt anhand der Daten der Deutschen Rentenversicherung, dass die Aussage des BiB, die Menschen würden früher in Rente gehen, nicht stimmt (vgl. http://portal-sozialpolitik.de/index.php?page=Trend_zu_frueherem_Rentenbezug_ist_ruecklaeufig). Demnach war von allen Menschen in den Altern 62 bis 66 im Zeitraum der letzten fünf Jahre jedes Jahr ein geringerer Anteil in Altersrente als noch im Jahr davor. Dabei hat Dr. Pattloch nur die Altersrenten berücksichtigt, die an in Deutschland wohnende Personen gezahlt werden, damit diese auch ins Verhältnis zur Bevölkerung gesetzt werden können. Damit widerlegt sie die These des BiB, dass die Menschen wegen früherem Rentenbeginn den Arbeitsmarkt verlassen würden.

Die Argumentation des BiB geht aber noch an einem weiteren Punkt fehl: Soll der Rentenbezug als tendenzieller Beleg für den Erwerbsaustritt gesehen werden, dann wären die Renten wegen Erwerbsminderung und Tod für diese Sichtweise deutlich wichtiger und eindeutiger. Diese Zahlen aber hat das BiB gar nicht beachtet. Dabei ist es traurige Realität, dass viele nicht mal den Rentenbeginn erleben und noch viel mehr Menschen schon lange vorher aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden.

Mit seiner Presseerklärung hat das BiB eine unsägliche Debatte losgetreten. Die Forderungen reichen über höhere Altersgrenzen, Abschaffung der abschlagsfreien Rente für besonders langjährig Versicherte bis hin zu den Vorschlägen der FDP, welche unter der Maske großer Freiheit und dem Versprechen „man wolle niemandem vorschreiben, wann er in Rente gehen wolle“ ein Rentenfenster und Rentenberechnung nach schwedischem Vorbild verlangt. Dabei tut die FDP so, als sei in Deutschland der Renteneintritt unflexibel; dabei können Beschäftigte in der Regel ab 63 in Rente gehen, wann sie wollen, aber eben auch so spät wie sie wollen. Das schwedische Vorbild heißt: Rentenbeginn frühestens mit 63 und spätestens mit 69. Der Unterschied zu Deutschland: Die beiden Altersgrenzen steigen mit der Lebenserwartung weiter an, so dass schon bald kein Rentenbeginn vor 64 oder 65 mehr erlaubt wäre und das obere Alter jenseits der 70 läge. Gleichzeitig sind die Abschläge in Schweden deutlich höher als in Deutschland – wobei dort keine Abschläge ausgewiesen werden, sondern die Rente einfach anhand der Lebenserwartung gekürzt wird. Wenn die FDP das schwedische Modell als erfolgreich feiert, dann meint sie damit: Aufgrund der restriktiven Regeln können es sich nur Reiche und Spitzenverdienende erlauben, früher in Rente zu gehen, alle anderen müssen bis 67, 68 oder 69 arbeiten, damit ihre Rente zum Leben reicht. Die Beschäftigten haben nichts von diesem Vorbild, außer länger arbeiten und weniger Rente.

Statt solcher Rentenkürzungsfantasien brauchen wir endlich vernünftige Regelungen zum Übergang in Rente, damit alle aus guter Arbeit auch in eine gute Rente kommen.


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