Deutscher Gewerkschaftsbund

05.07.2021

Deutsche Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele: Noch viel Luft nach oben

Vom 6. bis zum 15. Juli findet das Hochrangige Politische Forum für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen statt. Bei dem Nachhaltigkeitsgipfel beraten die Mitgliedsstaaten über die Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele, die bis 2030 erreicht werden sollen. Die Bundesregierung hat dafür einen freiwilligen Staatenbericht eingereicht, um den Fortschritt in Deutschland zu bewerten. Der DGB hat den Prozess kritisch begleitet und sieht noch viel Luft nach oben.

Mann mit Weltkugel in der Hand

DGB/nito500/123RF.com

Seit 2013 findet jährlich das Hochrangige Politische Forum für Nachhaltige Entwicklung (HLPF) der Vereinten Nationen statt. Neben dem offiziellen Rahmen bietet das HLPF Platz für formellen und informellen Austausch. In verschiedenen Veranstaltungen werden Fachthemen diskutiert, Zielkonflikte aufgezeigt und gemeinsame Lösungswege gesucht. Die Gewerkschaften haben als eine von sieben Interessengruppen einen Sonderstatus inne. Diese „Majorgroups“ sollen die aktive Beteiligung der Gesellschaft und Wirtschaft auf allen Ebenen sicherstellen, indem sie ihr Sprachrecht im Plenum nutzen, Zugang zu Gesprächen und Veranstaltungsräumen erhalten und die Verlandungen kritisch begleiten. Zudem kommentieren sie die Staatenberichte, um geschönte und einseitige Reports zu kritisieren. In enger Zusammenarbeit mit dem Internationalen Gewerkschaftsbund bringt sich der DGB seit Jahren aktiv beim HLPF ein und unterstützt in diesem Zusammenhang die „Time for 8“ Kampagne, die für Gute Arbeit mit fairen Löhnen und angemessenen Arbeitsbedingungen im sozial ökologischen Wandel wirbt. Wie schon im letzten Jahr, wird das HLPF nur in digitaler Form stattfinden.

Eine Besonderheit stellt in diesem Jahr aus deutscher Sicht der freiwillige Staatenbericht (VNR) der Bundesregierung dar, welcher zusätzlich zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht wurde. Dieser geht auf den deutschen Umsetzungsstand der einzelnen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) ein. Aus gewerkschaftlicher Sicht sind insbesondere die SDGs 1 (Keine Armut), 5 (Geschlechtergleichheit), 8 (Gute Arbeit), 10 (Weniger Ungleichheit) und 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) von hoher Priorität. Der DGB hat den freiwilligen Staatenbericht kritisch begleitet und aktiv Vorschläge zu deren Verbesserung eingebracht.

Soziale Realitäten anerkennen – Nachhaltigkeitskriterien stärker daran anpassen

Allerdings herrscht hierzulande weiterhin eine große Diskrepanz zwischen den 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und der tatsächlichen Realität vieler Beschäftigter. Bei vielen SDGs befindet sich die Zielerreichung in weiter Ferne. Teilweise laufen Entwicklungen in die falsche Richtung.

Auch wenn einige gewerkschaftliche Vorschläge zur Umsetzung der SDGs in den freiwilligen Staatenbericht der Bundesregierung aufgenommen wurden, werden weiterhin maßgebliche Probleme ausgeblendet. Während beispielsweise die DGB-Forderung nach einem Lieferkettengesetz berücksichtigt wurde, fehlt eine allgemeine Strategie zur Bewältigung der sozial-ökologischen Transformation, die nachhaltige Entwicklung mit Guter Arbeit verbindet. Das sind die Schwerpunkte der gewerkschaftlichen Nachhaltigkeitsziele:

Die Nachhaltigkeitsziele der UN

Vereinte Nationen

SDGs 1: Keine Armut

Der aktuelle DGB-Verteilungsbericht hat erneut gezeigt, dass jede*r Sechste in Deutschland von Einkommensarmut betroffen ist. Die wirksamsten Mittel zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit sind Tarifbindung, Mitbestimmung und Gewerkschaften. Es braucht deshalb u.a. eine stärkere Förderung der Tarifbindung und Sozialpartnerschaft (z.B. über ein Bundestariftreuegesetz) sowie eine einheitliche Bürgerversicherung und eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf mindestens 12 Euro.

SDG 5: Geschlechtergleichheit

Eine große Hürde in Richtung eines sozialeren und ökologischeren Wirtschaftssystems sind bestehende Geschlechterungleichheiten. Diese betreffen alle Lebensbereiche, sei es am Arbeitsplatz oder im privaten Leben. Um den Geschlechterungleichheiten effektiv entgegenzuwirken, benötigt es entschiedenes politisches Handeln. Dazu gehört u.a. ein bundesweiter Ausbau des Genderbudgetings (Fokus auf gerechtere Haushaltsplanung). Weiterhin benötigt es eine Ausweitung der Geschlechterquote von 30 Prozent auf alle Unternehmen (börsennotiert oder mitbestimmt). Andernfalls sind aus Sicht des DGB Zielgrößen für die Aufsichtsräte, Vorstände und Führungsebenen unterhalb des Vorstands zu vereinbaren. Der Staat muss mit derartigen Mittel also aktiv vorangehen, um bestehende Geschlechterungleichheiten stärker zu bekämpfen.

SDG 8: Gute Arbeit

Beim gewerkschaftlich zentralen SDG 8 bleiben ebenfalls erhebliche Herausforderungen zu dessen verbesserten Umsetzung bestehen. So gibt es weiterhin eine hohe Tendenz zur Informalität bei nicht standardisierten Beschäftigungsformen von denen besonders Menschen mit geringfügiger Beschäftigung, in Pflege oder Leiharbeit, Beschäftigte in Subunternehmerketten oder Selbstständigkeit betroffen sind. Fast 40 Prozent aller Neueinstellungen in Deutschland sind zudem befristet. Es gibt fast eine Million Leiharbeitsplätze und 2,5 Millionen Menschen im Haupterwerbsalter, die ausschließlich in "Minijobs" arbeiten - davon sind 70 Prozent Frauen.

Um diese Entwicklungen aufzuhalten, braucht es eine Stärkung der Mitbestimmung und Tarifbindung über den Ausbau der Tariftreue in der öffentlichen Vergabe (Bundestariftreuegesetz). Darüber hinaus ist eine bessere Ausstattung der Arbeitskontrollinstitutionen wichtig, um die Umgehung des Mindestlohns zu verhindern.

SDG 10: Weniger Ungleichheit

In Deutschland gibt es weiterhin eine extrem ungleiche Vermögens- und Einkommensverteilung. Beispielsweise besitzen hierzulande die reichsten 1 Prozent so viel wie 87 Prozent der Bundesbürger*innen. Diese soziale Ungleichheit stellt auch für die Akzeptanz der sozial-ökologischen Transformation eine enorme Herausforderung dar.

Aus diesem Grund muss die Bundesregierung viel engagierter mit einer besseren Steuer-, Lohn- und Sozialschutzpolitik gegen soziale Ungleichheit vorgehen. Der DGB fordert deshalb neben der Einführung einer Vermögens- und Finanztransaktionssteuer auch eine Reform der Erbschaftssteuer. Weitere Maßnahmen sind u.a. der massive Ausbau sozialen Wohnungsbaus sowie die Beendigung der sachgrundlosen Befristung und dem Missbrauch von Zeitarbeit und Zeitverträgen.

SDG 13: Maßnahmen zum Klimaschutz

In den kommenden Jahren sind effektive Klimaschutzmaßnahmen notwendig, um den nachhaltigen Wandel unserer Wirtschaft und Gesellschaft voranzubringen. Der damit einhergehenden Strukturwandel muss aber auch gerecht gestaltet werden. Dafür müssen soziale und ökologische Aspekte stärker zusammen gedacht werden. Veränderungen müssen so gestalten werden, dass niemand zurückbleibt, die Betroffenen aktiv eingebunden und Chancen genutzt werden, gute Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Zentraler Bestandteil hierfür muss ein breit angelegtes Investitions- und Modernisierungsprogramm sein, das öffentliche und private Investitionen in klimaneutrale Technologien und Infrastrukturen in allen Sektoren voranbringt, Innovationen entlang der Wertschöpfungsketten forciert, Beschäftigung und Gute Arbeit fördert, negative Verteilungseffekte abfedert und reale Emissionsminderungen ermöglicht. Um die notwenigen Investitionen dafür zu generieren, braucht es eine Abkehr von der schwarzen Null und eine Aussetzung der EU-Fiskalregeln, um nicht nur in Deutschland den Strukturwandel zu gestalten.


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Stellungnahmen (ab 2018)

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26.03.2024
DGB-­Stel­lung­nah­me zur zu­künf­ti­gen Aus­rich­tung der EU-Struk­tur­po­li­tik
Knapp ein Drittel der EU-Mittel stehen den europäischen Strukturfonds zur Verfügung, um wirtschaftliche Unterschiede innerhalb und zwischen den Mitgliedsstaaten abzubauen. Anlässlich der bevorstehenden Verhandlungen zum mittelfristigen Finanzrahmen beginnen die Debatten, um die zukünftige Ausrichtung der europäischen Strukturpolitik.
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25.03.2024
CO2-Ab­schei­dung, Spei­che­rung und Nut­zung sind ein Bau­stein ei­ner um­fas­sen­den Trans­for­ma­ti­onss­tra­te­gie
Das BMWK hat Eckpunkte für eine Carbon Management Strategie und die Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes vorgelegt und will damit rechtliche Rahmenbedingungen für die zügige Anwendung von CO2-Abscheidung, Speicherung und Nutzung schaffen. Der DGB sieht CCU/S-Technologien als ein Baustein einer umfassenden Transformationsstrategie und hat sich mit einer Stellungnahme zu Wort gemeldet.
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29.02.2024
Stel­lung­nah­me des Deut­schen Ge­werk­schafts­bun­des zum Eck­punk­te­pa­pier Net­ze.Ef­fi­zi­ent.­Si­cher.Trans­for­mier­t. der Bun­des­netz­agen­tur vom Ja­nu­ar 2024
Der Deutsche Gewerkschaftsbund unterstützt den Klimaschutz und die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Klimaneutralität. Vor dem Hintergrund der dafür notwendigen, umfassenden Transformation des Energiesystems kommen dem Netzausbau sowie der Transformation und Digitalisierung der Energienetze entscheidende Bedeutung zu. Der DGB nimmt hierzu Stelllung.
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