Deutscher Gewerkschaftsbund

02.03.2023
Klimaschutz

Klimaschutzverträge: 3 Fragen an Stefan Körzell

3 Fragen an Stefan Körzell

In der Transformation können wir uns einen zurückhaltenden Staat im neoliberalen Verständnis nicht leisten. Stefan Körzell erklärt, wie Klimaschutzverträge dazu beitragen können, aktiv Wertschöpfungsketten nachhaltig zu gestalten und dabei Gute Arbeit und Beschäftigungssicherung zu adressieren.

Keimling der aus der Erde blüht und drum herum als Piktogramm die Nachhaltigkeitskette

DGB/nitsuki/123rf.com

Kannst du uns kurz erklären, warum wir Klimaschutzverträge brauchen?

Stefan Körzell: Wir haben uns in Deutschland, aber auch in Europa ambitionierte Klimaschutzziele gesetzt. Wenn wir diese erreichen wollen, müssen wir unsere Anstrengungen, die Treibhausgase zu reduzieren, enorm verstärken. Dafür brauchen wir zum einen massive öffentliche Investitionen in klimafreundliche Alternativen, wie den Ausbau der erneuerbaren Energien, den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft oder den Ausbau des ÖPNV und der Ladeinfrastruktur. So schaffen wir die Voraussetzungen für die Klimaneutralität. Zum anderen ist ein Großteil der benötigten Investitionen privater Natur. Hier sehen wir, dass bisher zu wenig passiert. Das liegt unter anderem daran, dass für viele der notwendigen Maßnahmen noch kein geeignetes Geschäftsmodell besteht. Das heißt, die innovativen Technologien werden aufgrund betriebswirtschaftlicher Erwägungen nicht oder nicht ausreichend umgesetzt und gebaut. Für diese langfristigen Investitionsentscheidungen, wie der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur oder CO2-neutraler Industrieprozesse, fehlt bisher die langfristige Planungssicherheit.

Deshalb braucht es geeignete Maßnahmen, um auch hier in den Turbo zu schalten. Klimaschutzverträge können für die notwendige Planungs- und Finanzierungssicherheit in der Transformation sorgen, die bestehende grüne Investitionslücke schließen und so zu nachhaltigen Wertschöpfungsketten beitragen sowie Arbeitsplätze sichern.

Sobald die Technologien wettbewerbsfähig sind und der vereinbarte CO2-Preis unterhalb des tatsächlichen CO2-Preises liegen, müssen Unternehmen diese Differenz dem Staat zurückzahlen. Das minimiert das Kostenrisiko sowohl beim Staat als auch bei Unternehmen. Zudem wird der Staat an möglichen Gewinnen beteiligt und ein Ausgleich für die Förderung findet statt. Das halte ich für fair und sorgt, anders als bei klassischen Förderinstrumenten, nicht dafür, dass Risiken sozialisiert und Gewinne privatisiert werden.

Portrait Stefan Körzell

DGB/Simone M. Neumann

DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell

Wie läuft der aktuelle Prozess und wo siehst du die größten Probleme bei der Ausgestaltung?

Stefan Körzell: Die Regierungsparteien haben sich im Koalitionsvertrag ausdrücklich für Klimaschutzverträge ausgesprochen und damit eine wesentliche Forderung der Gewerkschaften aufgegriffen. Die Federführung für die Ausgestaltung liegt im Wirtschaftsministerium. Das Ministerium von Habeck hatte im letzten Jahr ein erstes Eckpunktepapier vorgestellt, das wir als Gewerkschaften auch kommentiert haben. Für Anfang diesen Jahres wurde die entsprechende Förderrichtlinie angekündigt.

So richtig die Klimaschutzverträge sind, umso wichtiger ist die Umsetzung. Hier habe ich allerdings große Vorbehalte. Die ersten Entwürfe und auch die Eckpunkte haben einen starken marktorientierten Ansatz, der in dieser Form der Komplexität und den Herausforderungen der Transformation nicht gerecht wird.

Die Vorstellungen des Ministeriums sehen vor, dass bei der Vergabe von Klimaschutzverträgen der vermeintlich günstigste CO2-Preis, sprich die niedrigsten Förderkosten, das entscheidende Zuschlagskriterium ist. Was sich erst mal nachvollziehbar anhört, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Trugschluss. Gerade Vorhaben aus unterschiedlichen Branchen und Bereichen haben höchst unterschiedliche Kostenstrukturen und lassen sich schwerlich über den CO2-Preis vergleichen. Zudem sagt dieser Preis recht wenig über die Relevanz für die langfristige Transformation aus. Vielmehr sollte ein strategischer Ansatz gewählt und etwa die Bedeutung für nationale- und europäische Lieferketten, Arbeitsplatzeffekte oder Auswirkungen auf regionale Wirtschaftsstrukturen bei der Vergabe von Fördergeldern berücksichtigt werden. Hier muss schleunigst nachgebessert werden.

Zudem erwarte ich beim Einsatz von öffentlichen Geldern besonders hohe Kriterien. Es kann nicht sein, dass öffentliche Gelder für den Abbau von Arbeitsplätzen oder das Schleifen von Tarifbindung eingesetzt werden. Neben den Klimaschutzzielen müssen Standortentwicklung, Beschäftigungssicherung, Qualifizierung und Gute Arbeit in der Transformation von hoher Priorität sein. Daher sollte Beschäftigungssicherung mit entsprechenden Qualifizierungsstrategien sowie Tariftreue zur Förderbedingung erhoben werden. Wie das umgesetzt werden kann, haben wir bei der Gaspreisbremse gezeigt. Hier ist Beschäftigungssicherung durch tarifvertragliche Regelungen der Sozialpartner der primäre Weg beim Zugang zu Unternehmenshilfen. Mit anderen Worten, Klimaschutzverträge müssen auch Beschäftigungsschutzverträge sein.

 

Infobox Klimaschutzverträge:

Klimafreundliche/-neutrale (Produktions-)Technologien haben aktuell noch deutlich höhere Investitionskosten als konventionelle Lösungen. Sogenannte Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference (CCfD)) sollen die (energieintensive) Industrie bei der nachhaltigen Transformation unterstützen. Hierzu dient das Werkzeug eines Differenzvertrages, bei dem die vertragsschließenden Parteien sich über einen festen, von volatilen Marktbedingungen losgelösten, Preis einigen, und so schwankende Kosten für Güter durch ein geteiltes Risiko absichern.

Der Mechanismus funktioniert wie folgt:

  • Der Staat schließt mit Unternehmen Garantien über festen, gleichbleibenden CO2-Preis ab
  • Dadurch werden Mehrkosten für höhere Ausgaben klimafreundlicher Produktionsprozesse vom Staat übernommen
  • Unternehmen kann dadurch, ohne Sorge vor schwankenden/steigenden Preisen, treibhausarme Produktion vorantreiben
  • Die Laufzeit der Klimaschutzverträge kann variieren, ist allerdings auf einen längeren Zeitraum über mehrere Jahre angelegt.
  • Wechselwirkung des Kostenausgleiches: Sobald Unternehmen durch die emissionsarmen Produktionsprozesse Einsparungen machen und der tatsächliche CO2-Preis oberhalb des vereinbarten Preises liegt, muss diese Differenz an den Staat zurückgezahlt werden.

 

Klimaschutzverträge brechen stark mit dem neoliberalen Verständnis eines zurückhaltenden Staats – hast du das Gefühl, es gibt ein wirtschaftspolitisches Umdenken?

Stefan Körzell: Wenn wir die Transformation ernst nehmen, brauchen wir ein solches Umdenken. Ein Umdenken, das die Rolle von Markt und Staat neu definiert. Klimaschutzverträge sind ein Instrument, das diesen Ansatz verfolgt und eine aktive Transformationspolitik vorantreibt. Ohne einen handlungsfähigen Staat, der mit strategischen Investitionen die Transformation lenkt, gute Arbeit gestaltet und einen klaren Rahmen für eine nachhaltige Modernisierung setzt, werden wir weder die Klimaziele erreichen noch für eine faire Kostenverteilung oder gute Arbeitsplätze sorgen. Wir haben schlicht keine Zeit, um auf Marktlösungen zu warten.

Auch aus Sicht der Beschäftigten sind diese Instrumente von enormer Bedeutung. Unser Ansatz ist es, dass Wertschöpfung nicht in Regionen verlagert wird, die unter deutlich schlechteren Umwelt- und Sozialstandards produzieren. Gleichzeitig nimmt der Wettbewerbsdruck auf viele Branchen, die sich in der Transformation befinden, zunehmend zu. Das alles spricht dafür, viel aktiver in das Marktgeschehen einzugreifen. Aber, und das ist wichtig, nicht unkonditioniert und wahllos. Die US-Regierung macht es derzeit mit dem Inflation Reduction Act vor. Auch hier wird ein strategischer Ansatz verfolgt, der neben der Investitionslenkung auch klare Beschäftigungsziele vorgibt. Viele haben längst erkannt: das neoliberale Dogma ist überholt und passt nicht mehr in unsere Zeit.


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